Spionagevorwurf in Russland US-Journalist in Untersuchungshaft
Seit vergangenem Jahr ist Evan Gershkovich Moskau-Korrespondent des "Wall Street Journal". Der Spionagevorwurf Russlands gegen den US-Journalisten könnte bis zu 20 Jahre Haft für ihn bedeuten.
Im September 1986 wurde in Moskau ein US-Korrespondent des "U.S. News and World Report" vom KGB wegen Spionageverdacht festgenommen - und 20 Tage später gegen einen in den USA inhaftierten Sowjetbürger ausgetauscht.
37 Jahre vergingen bis zum nächsten Fall - soweit offiziell bekannt. Der KGB-Nachfolger FSB vehaftete in der Millionenstadt Jekaterinburg im Ural Evan Gershkovich. Er ist seit Februar vergangenen Jahres Moskau-Korrespondent des "Wall Street Journal". Zuvor berichtete er für verschiedene Medien aus Russland.
"Auf frischer Tat ertappt"
"Bei dem Versuch, geheime Informationen zu erhalten, wurde der ausländische Bürger in Jekaterinburg inhaftiert", meldete die Presseabteilung des Inlandsgeheimdienstes. Es gehe um Spionage im Interesse der amerikanischen Regierung.
Kurz darauf sagte Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten: "Es gab ja schon eine Erklärung vom FSB. Das einzige, was ich ergänzen kann: Soweit wir wissen, wurde er auf frischer Tat ertappt."
Weitere offizielle Kommentare klangen, als sei in Russland die Unschuldsvermutung abgeschafft oder ausgesetzt. Von Maria Sacharowa, Sprecherin des Außenministeriums, hieß es: "In diesem Fall sprechen wir davon, dass er unter dem Deckmantel journalistischer Aktivitäten, eines Journalistenvisums und einer Akkreditierung an völlig anderen Aktivitäten beteiligt war."
Der 31-jährige "Wall Street Journal"-Korrespondent soll in und um Jekaterinburg unter anderem recherchiert haben, wie die Bevölkerung zu den Rekrutierungsbemühungen der Wagner-Gruppe steht. Die Wagner-Gruppe ist ein nichtstaatliches Militärunternehmen des Putin-Vertrauten Jewgenij Prigoschin, das zur Zeit neben der russischen Armee in der Ukraine kämpft.
Offiziell sprach der russische Geheimdienst davon, der Journalist habe Informationen "über die Aktivitäten eines der Unternehmen des russischen militärisch-industriellen Komplexes gesammelt".
Dem Reporter drohen bis zu 20 Jahre Haft
Die seit Kriegsbeginn verschärften Mediengesetze erschweren die Berichterstattung über Militärthemen und Militärunternehmen ohnehin erheblich. Weil aber unter dem Paragrafen 276 des Strafgesetzbuches ermittelt wird - wegen Spionage - drohen Gershkovich bis zu 20 Jahre Haft.
Der Korrespondent wurde am Nachmittag in geschlossener Sitzung vor das Moskauer Bezirksgericht in Lefortowo gestellt. Er plädierte nach Angaben der Nachrichtenagentur Tass auf "nicht schuldig" - das Gericht ordnete dennoch eine zunächst zweimonatige Untersuchungshaft an, die aber auch nach dem 29. Mai verlängert werden kann.
Mit großer Besorgnis und der Forderung nach Freilassung kommentierte das "Wall Street Journal" die Nachricht von der Festnahme des eigenen Korrespondenten, die Organisation "Reporter ohne Grenzen" forderte: "Journalisten dürfen nicht zur Zielscheibe werden!"