Putins Reformen in Russland "Weiterhin die Zügel in der Hand"
Russlands Präsident Putin hat angekündigt, politischen Strukturen umbauen zu wollen. Was das für das Land und das System Putin bedeutet, erklärt ARD-Korrespondentin Ina Ruck im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Wie viel Neuanfang steckt in dem angekündigten Umbau?
Ina Ruck: Natürlich ist es eine Art Neuanfang, wenn eine neue Regierung installiert wird. Aber ich glaube, dass es aktuell nicht wirklich um einen Neustart für Russland geht, sondern eher um eine Umstrukturierung der Macht - eine Umstrukturierung in die Richtung, dass es für Wladimir Putin eine Möglichkeit gibt, auch nach dem Ablauf der letzten Amtszeit als Präsident weiterhin die Zügel in der Hand zu halten.
Putins neue Rolle im Staat
tagesschau.de: Was bedeutet das für Putins künftige Rolle?
Ruck: Wer Zweifel daran hatte, dass Putin auch nach 2024 an der Macht bleiben will, der dürfte seit Dienstag eines Besseren belehrt sein. Putin hat mit diesem Tag genau den Umbau des staatlichen Systems begonnen, den er braucht, um auch über das Ende seiner Amtszeit hinaus die Zügel in der Hand behalten zu können.
Vorher gab es immer noch leise Zweifel, ob er nicht vielleicht doch amtsmüde ist. Aber jetzt scheint klar: Er will sich zumindest die Möglichkeit offenhalten, weiterzumachen. Laut Verfassung muss er 2024 den Posten räumen, mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten als Präsident sind nicht erlaubt. Und die hat er dann schon zum zweiten Mal hinter sich. Nochmal so eine Rochade mit Medwedjew wie 2008 kommt wohl nicht in Frage, den Russen wäre das nur schwer zu vermitteln.
Putin hat sich deshalb dazu entschieden, den Staat so umzubauen, dass er sich einen neuen Posten schaffen kann. Wenn die Verfassungsänderungen verwirklicht werden wie geplant, wird der künftige Präsident nicht mehr so stark sein wie es Putin jetzt ist. Der nächste Präsident kann zum Beispiel die Regierung nicht mehr bestimmen. Gleichzeitig wird der Ministerpräsidenten aufgewertet. Jetzt wird der nächste Schritt sein, dass man ein Amt schafft, das über diesen beiden steht - also Regierung und Präsident übergeordnet ist.
Ein "Politbüro 2.0"?
tagesschau.de: Welches Amt könnte das sein?
Ruck: Manche gehen davon aus, dass der nationale Sicherheitsrat weiter gestärkt wird, ein schon jetzt sehr mächtiges Gremium. Es kann aber auch sein, dass der bisher eher unbekannte Staatsrat aufgewertet wird. Beide würden sich dazu eignen, sie mit größerer Macht auszustatten, um sie dann zu einer Art Politbüro 2.0 werden zu lassen, dem dann Putin vorsitzt - eine Rolle, in der er weiterhin die Geschicke des Landes leiten könnte.
Ich glaube, dass Putin tatsächlich keine Lust mehr darauf hat, das Tagesgeschäft zu leiten. Ich glaube eher, er will sicherstellen, dass das Land die Richtung nimmt, die er vorgesehen hat, dass er selbst unangetastet bleibt und dass er quasi zu einer Art Vaterfigur für das Land wird, die dann im Zweifel doch die letzte Entscheidung trifft. Dafür muss er sich eine neue Rolle schaffen. Einer der beiden Räte würde sich gut dazu eignen.
Parlament nickt ab
tagesschau.de: Was bedeuten die Reformen für die Demokratie im Land?
Ruck: Die Tatsache, dass das Parlament mehr Rechte erhält, ist eigentlich ein guter Schritt - genauso wie die Maßnahme, dass der Regierungschef gegenüber dem Präsidenten mehr Rechte bekommt.
Schaut man sich aber an, wie hier im Land Wahlen stattfinden, und wie das Parlament dann am Ende zusammengesetzt ist, kommt man zu einer anderen Einschätzung. Es ist also möglich, dass das Parlament nach der Umstrukturierung formal mehr Macht hat, in Wahrheit aber doch nur abnickt, was im Kreml entschieden wird. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass das Parlament sich emanzipiert. Aber dazu müsste es erstmal freie Wahlen geben, die zulassen, dass eine echte Opposition in diesem Parlament auftaucht. Bislang ist das nicht in Sicht.
Das Gespräch führte Konstantin Kumpfmüller, tagesschau.de