Russland und der Westen Verwirrung stiften
Wie wird Russland auf den Syrien-Angriff reagieren? Der Westen ist verunsichert. Kein Zufall. Denn genau das will Moskau - Verwirrung stiften. Dahinter steckt Strategie.
Die Luftschläge der USA, Großbritanniens und Frankreichs mögen primär einen symbolischen Wert gehabt haben. Die Botschaft: Wer Chemiewaffen einsetzt, muss mit der Vergeltung der internationalen Staatengemeinschaft rechnen. Doch die Militäraktion stellt auch das ramponierte Verhältnis des Westens zu Russland auf eine erneute Probe. Moskau steht an der Seite der syrischen Führung. Nicht Präsident Baschar al-Assad sei für den mutmaßlichen Giftgasangriff verantwortlich, so die Sichtweise Russlands, sondern die Aufständischen in Syrien hätten ihn inszeniert.
Wie so oft geht es also auch bei diesem Schlagabtausch um die Deutungshoheit. Viele Beobachter in Berlin erkennen darin eine Strategie, die sie Russland auch bei vielen anderen Streitthemen unterstellen: Moskau wolle vor allem eines erreichen: Verwirrung stiften - gerade auch bei den Menschen im Westen, und damit Vertrauen in die Demokratie erschüttern.
Keine Beweise im Fall Skripal
Die britische Premierministerin Theresa May stellte heute einen Zusammenhang her - zwischen dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien einerseits und dem Anschlag auf den Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia im südenglischen Salisbury Anfang März andererseits. May sagte nach der Militäraktion gegen Syrien: "Wir können nicht erlauben, dass der Gebrauch chemischer Waffen normal wird. Innerhalb Syriens, auf den Straßen Großbritanniens oder irgendwo sonst in unserer Welt."
Nicht nur Großbritannien, viele westliche Länder - darunter auch die deutsche Bundesregierung - gehen davon aus, dass russische Kräfte für den Anschlag auf den Doppelagenten verantwortlich sind. Ein Argument: Skripal sollte mit dem Nervengift Nowitschok getötet werden. Einem Kampfstoff, der einst in der Sowjetunion hergestellt wurde.
Ermittlungen im Fall Skripal: Nicht nur Großbritannien, viele westliche Länder - auch die deutsche Bundesregierung - gehen davon aus, dass russische Kräfte für den Anschlag auf den Doppelagenten verantwortlich sind.
Und doch: Britische Geheimdienste konnten bislang nicht beweisen, dass Russland für den Mordversuch an Skripal verantwortlich ist. Geschweige denn, ob gar der russische Präsident den Auftrag dazu gegeben hat. Auch im politischen Berlin ist nicht von Beweisen, sondern von "Plausibilitätsketten" die Rede. Wer sonst hätte ein Interesse, den Mann zu töten, der sowohl für den russischen als auch den britischen Geheimdienst arbeitete?
Kampf um die Deutungshoheit
Doch es bleiben Fragen: Warum sollte Moskau Skripal gerade jetzt töten? In zwei Monaten beginnt die Fußball-WM in Russland, die der russische Präsident Wladimir Putin sicherlich auch für einen Image-Gewinn nutzen möchte. Wie passt das zusammen?
Wieder also der Kampf um die Deutungshoheit. Und wieder - Verwirrung in der Öffentlichkeit. Viele Regierungen der westlichen Länder hätten sich gewünscht, dass Moskau alles dafür tut, den Fall Skripal auch von russischer Seite aus aufzuklären - am besten gemeinsam mit den Briten. Die zurückgelehnte Haltung Russlands aber empfinden viele im Westen so, als würde Moskau den anderen bewusst auf der Nase herumtanzen.
Das Misstrauen ist groß - vor allem seit der Ukraine-Krise. Ein Grund: die sogenannten "grünen Männchen" oder "höfliche Menschen". Gemeint sind bewaffnete Kämpfer, die bei militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine auftauchten. Das Besondere: Auf ihren Kampfanzügen waren keine Hoheitsabzeichen zu erkennen und damit eben keine Symbole, die zeigen, für welchen Staat sie eigentlich kämpften und ihr Leben riskierten.
"Hybride Kriegsführung"
Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheit spricht von einer "hybriden Kriegsführung": Es standen sich nicht Soldaten gegenüber, die klar zuzuordnen gewesen wären. Stattdessen herrschte wieder einmal Verwirrung. Erst habe Russland bestritten, die "grünen Männchen" überhaupt zu kennen, sagt Kamp. Dann sei von russischen Soldaten die Rede gewesen, die mit Waffen Urlaub gemacht hätten. Und am Ende seien genau diese Kämpfer von Russland für ihre Tapferkeit ausgezeichnet worden.
Solche hybriden Elemente nehmen die westlichen Länder längst nicht nur auf dem Schlachtfeld wahr, sondern auch in der digitalen Welt. Davon betroffen ist nach Ansicht des Verfassungsschutzes auch Deutschland. So sei der jüngste Hackerangriff auf das Datennetz des Bundes, der im Februar bekannt geworden ist, Russland zuzuordnen. "Wir haben es als einen Cyberangriff russischen Ursprungs wahrgenommen", sagte Verfassungschutz-Präsident Maaßen.
Und wieder stellt sich die Frage: Wo sind die Beweise? Der russische Präsident selbst gibt Anlass dazu, über seine milde Haltung gegenüber Hackern zu spekulieren. Bereits im Juni 2017 verglich Putin Hacker mit Künstlern, die morgens aufstehen und ein gutes Bild malen wollten.
Hackerangriffe, Fake News
In der Tat sei Putin nicht dafür bekannt, mit großer Verve gegen inländische Hacker vorzugehen, die sich im Ausland betätigten, sagt Linus Neumann vom Chaos Computer Club. Er fügt jedoch hinzu: Hacker-Angriffe gebe es nicht nur von russischer, sondern auch von amerikanischer und chinesischer Seite.
Putin sei nicht gerade dafür bekannt, mit großer Verve gegen inländische Hacker vorzugehen, die sich im Ausland betätigten, sagt Linus Neumann vom Chaos Computer Club.
Dabei verfolgten diese Länder unterschiedliche Ziele. Während China vor allem Wirtschaftsspionage unterstellt werde, lautet der Vorwurf an die USA: Möglichst viel überwachen, möglichst viel sammeln. Russland wiederum werde nachgesagt, seine Hacking-Ergebnisse auch politisch auswerten zu wollen. Soll heißen: Russische Cyber-Operationen haben möglicherweise das besondere Ziel, dass Spionage-Ergebnisse am Ende veröffentlicht werden sollen, um Schaden anzurichten. All diese Zuschreibungen, betont Neumann, seien aber mit Vorsicht zu genießen.
Zur hybriden Strategie gehören neben den Hackerangriffen auch Desinformationskampagnen, also das Verbreiten von Fake News. Deutschland bekam das im Jahr 2016 zu spüren. Im "Fall Lisa" ging es um Vorwürfe, die plötzlich im Internet kursierten, wonach eine 13-jährige Russlanddeutsche von südländisch aussehenden Männern entführt und vergewaltigt worden sei. Die Folge: Ein Streit zwischen Russland und Deutschland auf höchster Ebene. Auch der damalige Außenminister und jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sah sich genötigt, sich einzuschalten und in Richtung Moskau zu sagen: Es gebe keinen Grund, den Fall für politische Propaganda zu nutzen.
Einfluss nehmen mit günstigen Mitteln
In den USA wird aktuell darüber diskutiert, wie groß der Einfluss Russlands auf die letzte US-Präsidentschaftswahl gewesen sein mag. Es gebe Beweise der Nachrichtendienste, so William Courney von der Denkfabrik Rand Corporation, dass sich Russland eingemischt habe und dass Putin die Einmischung höchstpersönlich angeordnet habe. Dabei seien die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, etwa auf Facebook, effektiv und kostengünstig gewesen.
Hat sich Russland in die US-Präsidentschaftswahl eingemischt? Hat Putin die Einmischung gar höchstpersönlich angeordnet?
Putin könnte es also gelingen, Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen - auch mit relativ günstigen Mitteln. Ob er wirklich Auftraggeber ist, lässt sich oft nicht eindeutig beweisen. Eine Strategie, die nach Ansicht des Sicherheitspolitik-Experten Kamp einen Grund hat. Der russische Präsident habe den Zerfall der Sowjetunion als eine historische Katastrophe erlebt. Sein Ziel sei es, Russland wieder als Großmacht zu etablieren, so Kamp. Militärisch sei Russland den USA und seinen NATO-Partnern zwar unterlegen. Doch die vielen Mittel der modernen hybriden Bedrohung könnten ihm helfen, dass er mit Ländern wie den USA auf Augenhöhe wahrgenommen werde.
In einer früheren Version war irrtümlich vom Tod des ehemaligen Doppelagenten Skripal die Rede. Wir haben den Fehler nachträglich korrigiert.