Militärintervention in Syrien "Russland will einen Sieg Assads"
Ein Jahr nach dem Beginn der russischen Militärintervention in Syrien hat Moskau seine Ziele erreicht, erklärt Außenpolitik-Experte Stefan Meister. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt er Russlands Motive, und warum der Krieg noch lange weitergehen wird.
tagesschau.de: Vor einem Jahr begann das russische Engagement im Krieg in Syrien. Wie fällt die Bilanz des Kreml aus?
Stefan Meister: Russland hatte drei Ziele, um in den Syrien-Krieg einzugreifen: Das Regime von Bashar al-Assad an der Macht halten, die eigene Rolle in der Region zu verbessern und von den Amerikanern als einer der Hauptakteure bei der Lösung internationaler Konflikte anerkannt zu werden. Alle drei Ziele hat Moskau erreicht. Russland ist raus aus der internationalen Isolation, in die das Land im Zuge der Ukraine-Krise geraten war. Und es hat gegenüber den Amerikanern durchgesetzt, dass es eine Lösung des Konflikts ohne Moskau und Assad nicht geben kann und dass weitere Rebellengruppen bekämpft und bombardiert werden.
Moskau war auch militärisch erfolgreich. Assad hat in Syrien wieder die Oberhand gewonnen. Zahlreiche Rebellengruppen sind in die Defensive geraten. Das ist aus russischer Perspektive ein sehr gutes Ergebnis bei relativ wenigen eigenen Opfern.
Man muss aber auch sagen, dass die Art und Weise, wie Russland in Syrien kämpft, extrem gegen die Zivilgesellschaft gerichtet ist. Russland setzt auf ähnliche Mittel wie im Tschetschenien-Krieg, wo auch mit bunkerbrechenden Bomben keine Rücksicht auf zivile Opfer genommen worden ist. Das ist eine Politik der verbrannten Erde.
tagesschau.de: Warum unterstützt der Kreml das Assad-Regime?
Meister: Assad ist einer der wenigen Verbündeten Russlands in der Region. Zudem liegt in Syrien die einzige Militärbasis, die Russland außerhalb des postsowjetischen Raums noch hat. Hinzu kommt, dass Moskau verhindern wollte, dass noch ein weiterer autoritärer Herrscher in der Region verschwindet. Nach Libyen und Irak sollte nicht auch in Syrien ein Herrscher verschwinden, den Russland als Stabilisator ansieht.
tagesschau.de: Wenn Moskau schon alle Kriegsziele erreicht hat, warum gehen die Luftangriffe dann noch weiter?
Meister: Russland ist noch nicht da, wo es hin will. Die russische Regierung sieht alle oppositionellen Gruppen als Terroristen an. Solange Assad noch nicht die restlichen Gebiete im Land der "Opposition" zurückerobert hat, ist die Mission aus der Moskauer Perspektive nicht erfüllt. Deshalb konnte der Waffenstillstand, den Russland und die USA vor einigen Wochen ausgehandelt haben, auch nicht halten. Er entsprach weder den Vorstellungen Assads noch denen Moskaus. Assad und Putin hatten das Gefühl, militärisch so überlegen zu sein, dass sie auch die restlichen Territorien in Syrien zurückerobern könnten. Daran arbeiten sie gerade.
tagesschau.de: Trotzdem werden weiter Gespräche über eine Waffenruhe geführt, auch wenn sie kurz vor dem Scheitern stehen. Warum machen die Verhandlungen keine Fortschritte?
Meister: Derzeit gibt es zwischen den Verhandlungspartnern schlicht kein Vertrauen. Dazu hat auch das Verhalten beider Seiten in der vergangenen Waffenruhe beigetragen, als sowohl Russen als auch Amerikaner zivile Opfer getroffen haben.
Ich glaube zudem nicht, dass Russland ein echtes Interesse an einer Feuerpause hat. Der Generalstab in Moskau war von Anfang an skeptisch und wollte den Waffenstillstand nicht. Assad und Putin halten sich im Moment für militärisch so überlegen, dass die ihre Ziele lieber mit Gewalt durchsetzen wollen und damit Assad eine Zukunft sichern.
tagesschau.de: Wie könnte eine Verhandlungslösung aussehen, die für die russische Führung akzeptabel ist?
Meister: Russland will einen Sieg Assads. Dafür müssten alle Rebellengruppen zu Terroristen erklärt und bekämpft werden und Assad langfristig als Option für Syrien durch den Westen akzeptiert werden.
tagesschau.de: Halten Sie ein solches Ergebnis für möglich?
Meister: Nein. Das wäre für den Westen nicht akzeptabel. Assad hat in großen Teilen von Syrien keine Legitimation mehr und kann deshalb nicht Präsident bleiben. Für eine Lösung des Konflikts sind zudem noch ganz andere Akteure entscheidend - nämlich Saudi-Arabien und Iran, die in Syrien einen Stellvertreterkrieg führen. Ohne Einbindung dieser Länder ist der Konflikt nicht lösbar. Ich befürchte, dass der Krieg noch weiter eskalieren wird. Es wird noch mehr zivile Opfer geben. Es wird noch mehr Flüchtlinge geben.
tagesschau.de: Der Krieg ist teuer. Wie lange kann sich die angeschlagene russische Wirtschaft den Einsatz noch leisten?
Meister: Es ist letzten Endes eine Frage der Prioritäten, die die russische Führung setzt. Der Einsatz wurde ja bereits etwas zurückgefahren und damit preiswerter gemacht. Der Syrien-Feldzug war nie als langfristiges Engagement geplant. Ich denke, dass Russland seine Truppen in absehbarer Zeit weiter reduzieren wird. Ob das in sechs Monaten oder in einem Jahr passiert, kann ich nicht sagen.
Im Moment ist jedoch noch genug Geld da, um den Einsatz auf seinem aktuellen Niveau fortzusetzen. Die russische Wirtschaft schrumpft nicht, sie stagniert. Derzeit investiert der russische Staat viel in die Modernisierung der Armee und kürzt dafür im Sozialsystem. Wenn Putin diese Priorität so beibehält, lässt sich der Einsatz noch zwei oder drei Jahre in dieser Größenordnung finanzieren.