Nahost-Experte zur Konflikt-Region "Es geht um die Vorherrschaft"
Der Iran und Saudi-Arabien befinden sich seit Jahren in einem Kalten Krieg, sagt Nahost-Experte Steinberg. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er die Hintergründe des Konflikts, die Folgen für die Region und wie der Westen darauf reagieren sollte.
tagesschau.de: Nach Saudi-Arabien haben nun auch Bahrain, der Sudan und die arabischen Emirate ihre Beziehungen zum Iran abgebrochen. Droht der Konflikt die gesamte Region zu destabilisieren?
Guido Steinberg: Saudi-Arabien und der Iran sind die beiden großen Führungsmächte in der Region und befinden sich seit Jahren de facto in einem Kalten Krieg. Allerdings nimmt der Konflikt seit einiger Zeit an Schärfe zu. Deshalb ist durchaus mit weiterer Unruhe und weiteren Konflikten zu rechnen.
Damit ist außerdem eine wichtige Hoffnung der letzten Monate geplatzt: Nach dem Atom-Abkommen mit dem Iran glaubten viele, dies würde auch helfen, die Spannungen in der gesamten Region abzubauen. Wir sehen nun aber, dass das Gegenteil der Fall ist.
tagesschau.de: Müssten sich aber nicht alle Länder im Nahen Osten sicherer fühlen, wenn der Iran auf Atomwaffen verzichtet?
Steinberg: Prinzipiell ja, aber in Saudi-Arabien gibt es eine andere Lesart des Abkommens: Durch die Aufhebung der Sanktionen stehen dem Iran zusätzliche Mittel zur Verfügung, Regionalpolitik zu betreiben und seinen Einfluss auszubauen. Das wollen die Saudis unter allen Umständen verhindern und deshalb reagieren sie auch so aggressiv in der aktuellen Auseinandersetzung.
"Lösung für Syrien noch unwahrscheinlicher"
tagesschau.de: Was bedeutet das Zerwürfnis für den Syrien-Konflikt? Beide Länder engagieren sich in dem Krieg, Saudi-Arabien aufseiten der Rebellen, Iran unterstützt dagegen Präsident Bashar al-Assad.
Steinberg: Ich glaube nicht, dass die jüngsten Ereignisse den Krieg in Syrien maßgeblich beeinflussen werden. Denn die beiden Länder sind nur zwei von vielen wichtigen Akteuren in dem Krieg. Für eine Verhandlungslösung müssten sich zunächst einmal die USA und Russland einigen. Und auch von den regionalen Mächten hat die Türkei deutlich mehr Einfluss auf den Ausgang des Kriegs als Saudi-Arabien.
Nichtsdestotrotz wird eine friedliche Lösung damit noch unwahrscheinlicher. Wichtig wäre es, den Iran stärker in Verhandlungen einzubinden, denn Teheran ist neben Russland der wichtigste Unterstützer von Machthaber Assad.
tagesschau.de: Auch im Jemen stehen sich die beiden Mächte indirekt gegenüber.
Steinberg: Wir haben einen regionsübergreifenden Stellvertreterkrieg: Saudi-Arabien konzentriert sich auf den Konflikt im Jemen, während der Iran mehr auf Syrien blickt. Die Saudis sind fest entschlossen, iranische Einflussgewinne etwa im Libanon, in Syrien, im Irak und eben im Jemen mit allen nur möglichen Mitteln zu bekämpfen. Das will Teheran nicht zulassen und unterstützt deshalb im Gegenzug die Huthi-Rebellen.
Streit um politische und religiöse Hegemonie
tagesschau.de: Anlass der jüngsten Krise war die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien. Die Ursachen liegen aber tiefer - was sind die Gründe für den jahrzehntelangen Konflikt?
Steinberg: Zum einen geht es um die politische Hegemonie in der Region. Beide Länder beanspruchen die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten. Zum anderen gibt es auch eine ideologisch-religiöse Komponente. Die konservative sunnitische Monarchie Saudi-Arabien steht der schiitisch geprägten revolutionären Republik Iran gegenüber. Beide beanspruchen die Führerrolle im Islam. Saudi-Arabien herrscht über die heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina, was immer wieder zu Konflikten führt, etwa als bei der letzten Hadsch schiitische Pilger bei einer Massenpanik ums Leben kamen.
Beide Länder versuchen ihren Einfluss, nicht nur in der Region, sondern auch beispielsweise in Pakistan oder Afghanistan, auszubauen und den jeweils anderen zurückzudrängen. Das ist auch die Ursache des Konflikts im Jemen: Saudi-Arabien hatte Angst, dass das Land in die Einflusssphäre des Iran gerät und deshalb im März 2015 den Krieg begonnen.
Ideologische Unterstützung für Islamisten aus Riad
tagesschau.de: Wie verändert der Konflikt die Beziehungen zum Westen? Die Lage der Menschenrechte in Saudi-Arabien sorgt seit langem für Unmut in Europa. Sollte die Bundesregierung angesichts der Massenhinrichtung von 47 Menschen die Beziehungen zu Riad grundsätzlich überdenken?
Steinberg: Die Beziehungen zu Saudi-Arabien sind sehr schwierig, das ist klar. Die Verurteilung und Hinrichtung des Geistlichen Nimr ist sehr fragwürdig. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir Saudi-Arabien als Partner brauchen, etwa bei der Bekämpfung von Terrorismus, in Syrien oder in der Energiepolitik.
Das Problem, das die Bundesregierung eher angehen sollte, ist die ideologische Unterstützung für Islamisten. Die Führung in Riad geht zwar oberflächlich konsequent gegen Terrororganisationen vor - auch die meisten der 47 Hingerichteten waren Sunniten und Anhänger von Al Kaida. Allerdings bereitet Saudi-Arabien mit seiner extremistischen Ausrichtung des Islam den geistigen Boden für die Jihadisten, und das sollte die Bundesregierung problematisieren.
tagesschau.de: Die Grünen haben gefordert, die Handelsbeziehungen zu Saudi-Arabien auszusetzen.
Steinberg: In Bezug auf Waffenlieferungen kann ich das nachvollziehen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat ja auch verhindert, dass Leopard-Panzer nach Riad geliefert werden. Aber einen generellen Handelsstopp halte ich nicht für sinnvoll. Denn ein Handelsembargo würde das Königshaus kaum zum Umdenken in puncto Menschenrechte bringen. Dazu ist der Einfluss Deutschlands und auch Europas auf das Land zu gering. Außerdem würde man sich dadurch eine Verhandlungslösung für Konflikte in der Region, also in Syrien oder im Jemen, zusätzlich erschweren.
"Saudi-Arabien ist strategischer Partner der USA"
tagesschau.de: Könnten die USA Einfluss nehmen? Immerhin gibt es seit Jahrzehnten ein starkes Bündnis zwischen Washington und Riad.
Steinberg: Das Problem ist, dass die USA auf Saudi-Arabien angewiesen sind. Zum einen ist es einer der letzten starken Verbündeten in der Region. Und die USA brauchen - wie auch Deutschland - die Hilfe der Saudis im Kampf gegen den Terrorismus und für die Eindämmung Irans. Zum anderen werden die USA langfristig weiterhin auf Öl-Importe angewiesen sein. Und letzten Endes dürfen wir nicht vergessen: Die USA vollstrecken selber noch die Todesstrafe. Deshalb werden sie kaum von Saudi-Arabien fordern, diese nicht gegen gefährliche Terroristen zu verhängen.
Innere Spannungen im Königreich
tagesschau.de: Versucht das Königshaus mit der Eskalation des Streits mit dem Iran auch von inneren Problemen ablenken? Immerhin leidet das Königreich unter dem niedrigen Ölpreis und unter gesellschaftlichen Spannungen.
Steinberg: Ich sehe für Saudi-Arabien zwei große Herausforderungen: Zum einen die breite Unterstützung dschihadistischer Gruppen im eigenen Land. Viele Saudis schließen sich dem IS und Al Kaida an. Diese bedrohen nicht nur die Sicherheit in anderen Ländern der Region, sondern auch auch in Saudi-Arabien selbst und letzten Endes in Europa. Und zum anderen die Unzufriedenheit der schiitischen Minderheit im Osten des Landes.
Der niedrige Ölpreis schadet dem Haushalt enorm. Dabei wird er ja von Riad selbst forciert, um Ölproduzenten in anderen Ländern aus dem Markt zu drängen - etwa amerikanische Firmen, die Teersande aufbereiten wollen. Deshalb werden die Saudis wahrscheinlich nicht umhinkommen, ihre sehr kostspielige Regionalpolitik zu ändern, wenngleich das Jahre dauern kann.
Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de