Fall Skripal Wie reagiert Putin?
Nachdem mehr als 20 Länder als Reaktion auf den Fall Skripal russische Diplomaten ausgewiesen haben, berät Moskau über die nächsten Schritte. Sicher ist, dass Putin reagieren wird. Wann, ist noch offen.
Nach der Ausweisung russischer Diplomaten aus mehreren EU-Ländern und den USA sowie einer Reihe anderer Staaten will Moskau über Gegenmaßnahmen beraten. Das Außenministerium und andere Behörden bereiteten bereits Schritte vor, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Wann diese beschlossen werden, war zunächst nicht bekannt. Die endgültige Entscheidung werde Präsident Wladimir Putin treffen, hieß es.
Es werde Maßnahmen gegen jedes einzelne Land geben, das russische Diplomaten ausweisen will, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa am Montagabend im russischen Fernsehen. Experten gehen davon aus, dass Russland mindestens ebenso viele Diplomaten ausweisen wird. "Die russische Seite ist gut vorbereitet, die Antwort wird sehr schnell kommen", sagte der Politologe Wladislaw Below der "Deutschen Presse-Agentur" in Moskau.
Gleichzeitig könne Moskau auch andere Strategien wählen, meinte der Deutschland-Experte von der Russischen Akademie der Wissenschaften. Großbritannien, die USA, Deutschland sowie zahlreiche weitere Länder verwiesen in einer bislang beispiellosen Gemeinschafsaktion russische Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter des Landes.
Großbritannien ist zufrieden
Die britische Premierministerin Theresa May hatte sich zufrieden über die Unterstützung aus dem Ausland nach dem Giftanschlag auf den früheren Doppelagenten Sergej Skripal gezeigt. Nach den Ankündigungen von 20 Ländern, ebenfalls russische Diplomaten auszuweisen, sagte May im britischen Parlament:
Zusammen haben wir die Botschaft gesendet, dass wir Russlands fortgesetzte Versuche, sich über internationales Recht hinwegzusetzen und unsere Werte zu unterminieren, nicht tolerieren.
In einer bislang beispiellosen Gemeinschaftsaktion wurden mehr als 100 russische Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter ausgewiesen. Innerhalb von sieben Tagen müssen sie das jeweilige Land verlassen. May stellte fest, es handle sich um die größte Aktion dieser Art in der Geschichte. Zuvor hatte Großbritanniens Außenminister Boris Johnson von einer "außergewöhnlichen internationalen Reaktion unserer Verbündeten" gesprochen.
16 EU-Länder beteiligt
Auf ihrem Gipfel am Freitag hatten die EU-Staaten Russland als Verantwortlichen für den Giftanschlag in Südengland benannt. Die 28 EU-Regierungen verurteilten in einer Erklärung den Anschlag "in schärfster Weise". Nun entschlossen sich 16 EU-Länder, russische Diplomaten auszuweisen, zuletzt auch Ungarn. Weitere Maßnahmen könnten folgen, erklärte EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Deutschland, Frankreich, Polen: 4
Litauen, Tschechien: je 3
Dänemark, Italien, Niederlande, Spanien: je 2
Estland, Finnland, Irland, Lettland, Kroatien, Schweden, Rumänien, Ungarn: je 1
Großbritannien hatte die Ausweisung von 23 Diplomaten angeordnet.
Staaten außerhalb der EU:
USA: 60
Kanada: 4
Ukraine: 13
Albanien, Australien: je 2
Georgien: 1
Norwegen: 1
Deutschland entschied, vier russische Mitarbeiter nach Hause zu schicken. "Nach dem Giftanschlag von Salisbury trägt Russland noch immer nicht zur Aufklärung bei", begründete das Auswärtige Amt den Beschluss:
Die Ausweisung der vier Diplomaten ist ein starkes Signal der Solidarität mit Großbritannien und signalisiert die Entschlossenheit der Bundesregierung, Angriffe auf unsere engsten Partner und Alliierten nicht unbeantwortet zu lassen.
Bundesaußenminister Heiko Maas hob hervor, die Entscheidung sei "nicht leichtfertig" getroffen worden. "Aber die Fakten und Indizien weisen nach Russland."
USA weisen 60 Diplomaten aus
Auch fünf Nicht-EU-Staaten schlossen sich an. Die USA allein verwiesen 60 russische Geheimdienstmitarbeiter des Landes. Zwölf von ihnen sind laut Weißem Haus bei den Vereinten Nationen in New York stationiert. Betroffen von den Ausweisungen seien russische Agenten, die in hohem Maße damit beschäftigt seien, "aggressiv Informationen zu sammeln", hieß es weiter vonseiten der US-Regierung.
Zudem verfügte US-Präsident Donald Trump die komplette Schließung des russischen Konsulats in Seattle. Dieses werde für Spionageaktivitäten gegen eine nahe gelegene U-Boot-Basis sowie gegen die Fabrik des Flugzeugherstellers Boeing genutzt, hieß es zur Begründung.
Moskau denkt an Vergeltung
Die Giftattacke hatte bereits zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Großbritannien und Russland geführt. Beide Länder ordneten bereits vor Tagen die Ausweisung von 23 Diplomaten des jeweils anderen Landes an.
Die Ausweisungen haben erste wirtschaftliche Folgen. der Rubel geriet unter Druck. Der Eurokurs stieg auf bis auf 71,05 Rubel, nachdem er zuvor bei 70,70 Rubel notiert hatte. Auch der US-Dollar legte zu. Der russische Aktienmarkt gab etwas nach.
May: Möglicherweise 130 Menschen Nervengift ausgesetzt
Moskau wies bis jetzt jegliche Schuld an dem Angriff auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal zurück. Bei dem Anschlag im britischen Salisbury waren Skripal und seine Tochter am 4. März schwer vergiftet worden. Die Täter nutzten dabei nach derzeitigem Ermittlungsstand den in der früheren Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok. Beide befinden sich weiter im Koma. Ärzte bezeichnen ihren Zustand als ernst, aber stabil. Premierministerin May wies jedoch darauf hin, er sei "unwahrscheinlich, dass sich an deren Zustand in naher Zukunft etwas ändern wird, und es kann sein, dass sie sich nie vollständig erholen."
Durch den Gift-Anschlag könnten May zufolge mehr als 130 Menschen dem verwendeten Nervengift ausgesetzt worden sein. Demnach haben die britischen Behörden Informationen, wonach Russland in den vergangenen zehn Jahren Forschungen zum Einsatz von Nervengiften anstellte. Wahrscheinlich sei es dabei um Tötungen gegangen, sagte May.
In Salisbury soll noch in dieser Woche mit der Dekontamination einiger Gebäude begonnen werden. Davon sind auch das Restaurant und der Pub betroffen, in dem sich Skripal mit seiner Tochter Julia am Tag des Attentats aufgehalten hat, wie der Fernsehsender Sky News berichtete. Es handelt sich nach Angaben der Polizei um eine reine Vorsichtsmaßnahme; die Öffentlichkeit sei nicht in Gefahr.
Nowitschok, das oft in Form eines extrem feinen Pulvers Verwendung findet, gelangt über Haut oder Atemwege in den Körper und führt meist binnen weniger Stunden zum Erstickungstod. Das Gift ist nur schwer nachzuweisen, die Überlebenschancen der Opfer sind gering. Selbst übliche Gegenmittel wie Atropin können meist nur wenig ausrichten.
Zu Nowitschok sind nur wenige Details bekannt. Vermutlich besteht es aus zwei an sich ungiftigen Komponenten, die ihre tödliche Gefahr erst beim Mischen entfalten.