Frage vom 28.03.2011 Was bedeutet eine "teilweise" Kernschmelze?

Stand: 21.05.2011 13:51 Uhr

Seit Wochen war es vermutet worden, jetzt ist es Gewissheit: Im japanischen Atomkraftwerk Fukushima I hat es eine Kernschmelze gegeben - allerdings nur "teilweise", wie die Regierung mitteilte.

Im Inneren des Reaktors sind mehrere hundert Brennelemente in denen jeweils wieder etwa 60 Brennstäbe gebündelt sind. Ein Brennstab ist nur wenige cm dick und besteht aus einer Hülle aus einer Zirkonium-Legierung. Da drin sind die einzelnen Brennstoff-Tabletten, ca. ein Mal ein cm groß. Der Brennstab ist nicht ganz voll, damit im Betrieb entstehende Gase und flüchtige Stoffe Platz haben. Genau solche Stoffe, sind rund um Fukushima nachgewiesen worden. Deshalb die Aussage: da müssen Brennstäbe beschädigt sein. Und jetzt wird eben auch deutlich – angesichts der Menge der Spaltprodukte, dass das nicht nur eine kleine Beschädigung ist, sondern dass der Reaktorkern wenigstens zum Teil geschmolzen ist oder war.

Folgen einer Kernschmelze kaum einzuschätzen

Durch die mangelnde Kühlung erhitzt sich der Kern auch dann, wenn er eigentlich schon „ausgeschaltet“ ist. Die Abfallstoffe, die im laufenden Betrieb entstehen, die strahlen selbst dann weiter. Bei 900 Grad etwa beginnen die Brennstoffe dann zu oxidieren und die Brennstabhüllen zu bersten, schreibt die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit. Was dann genau geschieht ist auch für Fachleute nicht zu überblicken: durch die sogenannte Nachzerfallswärme erhitzen sich die Brennelemente selbst immer weiter. Auch die Oxidation erzeugt Wärme. Je länger die Kühlung ausfällt, desto mehr schaukelt sich das auf. Auch wann genau was schmilzt, darüber gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Das hat damit zu tun, dass die verschiedenen Stoffe in Mischungen und Legierungen unterschiedlich reagieren. Ab 1200 Grad könnten die Steuerstäbe schmelzen, ab 1750 Grad das Metall der Brennstabhüllen. Das Uranoxid – der Haupt-Brennstoff – schmilzt zwar selbst erst bei 2800 Grad. Aber Experimente haben gezeigt, dass tatsächlich schon bei deutlich niedrigeren Temperaturen von 2250 Grad eine heftige Kernzerstörung beginnt.

Dadurch werden vor allem große Mengen an stark strahlenden Stoffen frei, die eben vorher im Brennstab eingeschlossen waren. Alles was jetzt flüssig wird, sinkt nach unten, bildet eine Suppe. Das zumindest – die teilweise Schmelze – hat in Fukushima längst stattgefunden, räumen Betreiber und Behörden jetzt ein. Die Frage ist: hat die Kühlung von außen ausgereicht, um den Vorgang zu stoppen, vielleicht das geschmolzene Material in einem Klumpen wieder hart werden zu lassen? Dann wäre die Kernschmelze gestoppt worden. Es wäre eine zeitweise Schmelze gewesen” Oder „suppt“ es noch? Und dann fragt sich: wie dicht sind die Barrieren nach außen, die Reaktordruckbehälter und das Containment?

Gnadenloser Wettlauf zwischen Kühlung und Nachzerfallswärme

Die Tatsache, dass jetzt so viele strahlende Stoffe nach außen gekommen sind und sich im Wasser wiederfinden, spricht dafür, dass es Lücken und Löcher gibt. Und es kann durchaus auch sein, dass die Masse noch flüssig ist, sich immer mehr erhitzt und dann durch die Umhüllung schmilzt. Nicht ganz klar scheint, ob dabei auch die Kettenreaktion wieder in Gang kommen kann – es ist wohl unwahrscheinlich aber denkbar. Jedenfalls könnte sich ein hocherhitzter und komplett flüssiger Kern auch so durch Stahl und Beton schmelzen. Wahrscheinlich – wegen der Schwerkraft – einfach nach unten.

Dann kann die Katastrophe neue Dimensionen annehmen: kommt die Glutmasse  mit dem Grundwasser in Kontakt, kann es Dampfexplosionen geben, auch Wasserstoffexplosionen sind denkbar. Im Ergebnis würden jedenfalls große Mengen an strahlendem Material weiterhin verstreut. Im Grunde ist das das Szenario einer so genannten „schmutzigen“ Bombe. Aber einer gewaltigen. Selbst wenn „nur“ strahlende Stoffe ins Grundwasser gelangen, würde das eine enorme Belastung für lange Zeit zur Folge haben.

Von einer teilweisen Schmelze gehen Fachleute schon seit zwei Wochen aus. Neu ist nur die Bewertung durch die japanische Regierung. Es ist ein gnadenloser Wettlauf zwischen Kühlung und Nachzerfallswärme. Und der wird noch mindestens Wochen andauern.

Fragen zu Fukushima
Die SWR-Uweltredakteure Werner Eckert und Axel Weiß haben im Blog zahlreiche Fragen zu Fukushima beantwortet. tagesschau.de hat diese ursprünglich für das Blog verfassten Texte nun zu einem Dossier zusammengefasst.