Ex-Spitzendiplomat analysiert Äußerungen zu Syrien In der diplomatischen Zwickmühle
Die amerikanische UN-Botschafterin Rice hat indirekt eine Militärintervention in Syrien zur Diskussion gestellt. Ähnlich wie Rice äußerte sich auch Frankreichs Präsident Hollande. Was dahinter steckt, erklärt John Kornblum, ehemals Botschafter der USA in Berlin.
tagesschau.de: Als ehemaliger Botschafter in Berlin kennen Sie die diplomatischen Gepflogenheiten. Wie muss man Ihrer Meinung nach die Äußerung der amerikanischen UN-Botschafterin Susan Rice einschätzen?
John Kornblum: Ich glaube, die Äußerungen sind ein erster Versuch, die Diskussion in Richtung "Intervention" zu lenken. Das bedeutet aber nicht, dass die Amerikaner entschlossen sind zu intervenieren. Sie wollen vielmehr einen Konsens dafür aufbauen. Präsident Barack Obama hat in seiner letzten Fernsehansprache auf Bosnien in den 90er-Jahren verwiesen. Dort war die Situation ähnlich wie jetzt, nur dass Baschar al Assad in Syrien bislang schon größeres Unheil angerichtet hat. Das, was am Wochenende geschehen ist, hat schon viele Parallelen zu dem, was in Srebenica 1995 geschah.
Man weiß, dass die Lage ernst ist. Aber: Noch ist keine Entscheidung getroffen worden. So sieht es zumindest aus. Die Hoffnung ist immer, dass man noch verhandeln kann. Sollte aber eine der Verhandlungsparteien nur noch auf Gewalt setzen, wie Assad jetzt oder eben die Serben damals, dann setzt ein politischer Überlegungsprozess an. Und das hat Rice andeuten wollen.
tagesschau.de: An wen richtet sich diese Äußerung vor allem?
Kornblum: An die Syrer, an die Russen, an die Chinesen. Und natürlich auch an die amerikanische Bevölkerung. Ein solcher Satz wird natürlich auch sehr von den anderen UN-Diplomaten zur Kenntnis genommen. Die amerikanischen Medienkommentare zu Syrien zeigen deutlich, wie uneinig sich man über das weitere Vorgehen ist. Der Republikaner Mitt Romney hat den Demokraten Obama dafür kritisiert, dass dieser nicht aktiv genug ist. Dafür ist Romney von seinen eigenen Leuten kritisiert worden, die ihrerseits von einer Intervention abraten. Die Diskussion in den USA ist vor allem deshalb so schwierig, weil wir am Ende einer langen und schmerzhaften Phase stehen, die unser Militär über die Maßen strapaziert hat. Das Wahlvolk möchte nichts anderes als Frieden und den Verzicht auf Auslandseinsätze.
tagesschau.de: Inwieweit spricht Rice nicht nur für sich selbst als Botschafterin, sondern auch für den amerikanischen Präsidenten?
Kornblum: Ich bin sicher, dass dieser Satz abgesprochen worden ist. Vielleicht hat es sogar eine entsprechende Anweisung aus dem Weißen Haus gegeben. Der Präsident wird genau beobachten, wie sich die Debatte entwickelt und sich dann dazu äußern. Das ist diplomatisches Handwerk, um sich alle Möglichkeiten zu bewahren.
"Unangenehme Lage für Russland"
tagesschau.de: Welchen Eindruck wird das alles auf Russland und China machen? Zumal Wladimir Putin ja Deutschland besucht...
Kornblum: Die Russen wissen, dass sie ihre Syrien-Strategie zumindest ansatzweise überdenken müssen. Das macht die Lage für sie ziemlich unangenehm. Bisher haben sie alle Entschließungen zu Ungunsten Syriens blockiert, wie die Chinesen auch. Bisher waren sie der Auffassung, mehr durch Diplomatie als durch Bedrohung erreichen zu können. Aber die Ereignisse des Wochenendes zeigen deutlich, dass die Möglichkeiten der Diplomatie begrenzt sind. Ob und wie Putin das kommentiert, wird interessant sein. Ich kann nur hoffen, dass die Bundesregierung ihn diesbezüglich unter Druck setzt. Das wäre eine sehr gute Gelegenheit, ihm klarzumachen, dass wir eine andere Strategie brauchen.
tagesschau.de: Und wie sähe diese Strategie aus?
Kornblum: Russland und China müssten alle Entschließungen unterstützen und auch sehr viel mehr politischen Druck auf Syrien ausüben. Das hätte dann tatsächlich Bedeutung: Syrien müsste erkennen, dass es tatsächlich isoliert ist. Abgesehen vielleicht von Iran, aber der ist zurzeit nur wenig salonfähig. Wenn sich Russland und China gegen Assad wenden, dann nimmt ihm das die verbleibenden Schlupflöcher.
"Die Franzosen sprechen immer nur für sich"
tagesschau.de: Welche Rolle spielen die Äußerungen des französischen Präsidenten François Hollande? Auch er schließt ja einen Militäreinsatz nicht aus.
Kornblum: Mit den Äußerungen Hollandes verhält es sich ähnlich wie mit denen von Rice. Leider aber hat er sich nicht die Mühe gemacht, diese seine Äußerung als Europäer zu tätigen. Die Franzosen sprechen immer nur für sich selbst. Und: Hollande hält sich alle Optionen offen. Er sagt nicht, dass wir militärisch eingreifen sollen. Er weiß auch, dass es dafür zurzeit keinen Konsens gibt, bei aller Einigkeit des Westens gegenüber Assad. Die Frage einer militärischen Intervention entwickelt sich zu einer klassischen diplomatischen Zwickmühle. Das Problem muss gelöst werden, mit dem klaren Ziel, dass das Schießen aufhört. Die Möglichkeiten einer klaren Lösung aber sind sehr begrenzt. Und: Viele Lösungen können zu noch mehr Problemen führen.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de