Thailand-Experte Will im Interview "Die Eskalation nützt niemandem"
Mehrere Tote, viele Verletzte - die Situation in Thailand ist eskaliert, eine politische Lösung scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Im Interview mit tagesschau.de erklärt Thailand-Experte Will die Hintergründe der Proteste und wie es zu der Situation kommen konnte.
tagesschau.de: Herr Will, warum ist die Lage in Thailand eskaliert?
Gerhard Will: Die Lage ist eskaliert, weil die Oppositionsbewegung gesehen hat, dass sie sich auf Dauer nicht durchsetzen kann und ihre Demonstranten nur bei der Stange halten kann, wenn sie die Situation weiter eskalieren lässt.
tagesschau.de: Eine politische Lösung wäre nicht möglich gewesen?
Will: Es gab verschiedene Versuche: Premierminister Abhisit Vejjajiva hat vor 14 Tagen einen Kompromissvorschlag gemacht, in dem auch Neuwahlen vorgeschlagen wurden. Ein Teil der Demonstranten wollte sich aber nicht darauf einlassen. Auch von Seiten der Regierung hat er Druck bekommen. Der Vorschlag sei ein zu weites Entgegenkommen gegenüber den Demonstranten.
tagesschau.de: Wem nützt die Eskalation?
Will: Letztlich niemandem. Auf kurze Sicht gesehen nützt sie den Kräften innerhalb des Militärs, die sich von vornherein dafür ausgesprochen haben, die Demonstranten gewaltsam zu unterdrücken und die Verhältnisse der alten Eliten zu behalten. Das ist aber eine Strategie, die weder besonders langfristig ist, noch auf Dauer erfolgreich sein kann.
tagesschau.de: Zentrum der Gewalt ist Bangkok. Wie sieht es im Rest des Landes aus?
Will: Viele Demonstranten haben Bangkok wieder verlassen. Diejenigen, die jetzt noch in Bangkok ausharren, sind wirklich nur ein harter Kern. Es wird zwar berichtet, dass auch in anderen Teilen des Landes der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, aber so weit ich weiß, gibt es dort keine derart gewaltsamen Auseinandersetzungen.
tagesschau.de: Warum konzentrieren sich die Proteste auf die Hauptstadt?
Will: Bangkok ist das Zentrum der wirtschaftlichen und sozialen Widersprüche, die das Land teilen. Die Leute, die nicht am Wohlstand Thailands teilhaben können, sind in die Stadt gekommen, um hier ihren Forderungen vorzubringen. Diese haben zunächst sehr viele Leute mobilisiert. Auf der anderen Seite hat die Opposition kein wirkliches politisches Programm. Sie sagt, die Regierung müsse weg. Konkrete Strategien hat sie aber nicht.
tagesschau.de: Was sagt König Bhumipol Adulyadej?
Will: Der König schweigt seit einigen Jahren. Es ist klar, dass seine Sympathien beim Regierungslager liegen, das sich auch auf seine Autorität beruft und auch mit Hilfe der Monarchie ihre Interessen durchsetzen will. Andererseits versteht er sich als der König aller Thais und kann nicht für eine politische Fraktion Stellung nehmen. Deswegen zieht er es vor, zu schweigen. Das Problem daran ist: Das politische System Thailands beruht darauf, dass bei solch schweren Konflikten der König ein klärendes Wort spricht und vielleicht einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Dadurch, dass er schon so lange schweigt, ist diese wichtige Funktion weggefallen.
tagesschau.de: Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es noch?
Will: Nachdem der erste Vorschlag des Premierministers vor 14 Tagen abgelehnt wurde, gibt es derzeit wenig Möglichkeiten für einen Kompromiss. Ich sehe derzeit vielmehr die Gefahr, dass die Demonstrationen niedergeschlagen werden.
tagesschau.de: Was würde das für die Zukunft Thailands bedeuten?
Will: Dadurch würden sich die Gräben in der Gesellschaft noch weiter vertiefen, die Chancen für eine politische Lösung werden sich weiter verschlechtern. Auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes hätte es verheerende Auswirkungen.
Das Interview führte Stefan Lakeband für tagesschau.de