Parlamentswahl in der Türkei AKP holt sich absolute Mehrheit zurück

Stand: 01.11.2015 23:06 Uhr

Bei der Parlamentswahl in der Türkei hat die AKP offenbar die absolute Mehrheit errungen. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, dass die Partei von Präsident Erdogan nun wieder alleine regieren könne. Premier Davutoglu erklärte sich und seine Partei zum Wahlsieger.

Die regierende AKP hat die absolute Mehrheit im türkischen Parlament zurückerobert. Der staatliche Fernsehsender TRT berichtete nach Auszählung von fast 99 Prozent der Stimmen, dass die Partei von Präsident Erdogan nun wieder alleine regieren könne. Demnach kommt die AKP auf fast 50 Prozent der Stimmen. Wegen einer Sperrklausel von zehn Prozent könnte sie aber 316 der 550 Sitze in der Nationalversammlung in Ankara gewinnen. Diese werden je nach Bevölkerungszahl auf die 81 Provinzen verteilt.

Ein offizielles Ergebnis der Wahl liegt jedoch noch nicht vor. Die Wahlkommission teilte mit, ein offiziell geprüftes Ergebnis werde erst in elf oder zwölf Tagen vorliegen. Zunächst hätten alle Parteien die Gelegenheit, Beschwerden einzureichen. Diese müssten zuerst geprüft werden. Wahlleiter Sadi Guven bestätigte jedoch bereits, dass vier Parteien den Sprung ins Parlament geschafft hätten.

Kurden-Partei schafft erneut Sprung ins Parlament

Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu schaffte die pro-kurdische HDP äußerst knapp die Zehnprozenthürde und zieht damit erneut in das Parlament ein. Auf den zweiten Rang kommt demnach die Mitte-Links-Partei CHP mit unverändert rund 25 Prozent der Stimmen, gefolgt von der ultrarechten MHP, die mit rund zwölf Prozent und einem Verlust von vier Prozentpunkten zu den Verlierern der Wahl gehört.

Dennoch ist sich auch ARD-Korrespondent Michael Schramm sicher, dass die vorliegenden Zahlen belastbar sind: "Die AKP wird alleine weiterregieren können, das ist schon jetzt vor Verkündung des amtlichen Endergebnisses klar."

Davutoglu für Verfassungsreform

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erklärte sich und seine Partei zum Sieger. In seiner Rede forderte er erneut eine Verfassungsreform. "Ich rufe alle Parteien, die in das Parlament einziehen auf, sich auf eine neue zivile nationale Verfassung zu verständigen", sagte Davutoglu in einer Ansprache vom Balkon des Parteigebäudes in Ankara.

Für eine von Erdogan angestrebte Verfassungsänderung ist sie aber auf die anderen Parteien angewiesen, weil es dazu einer Zweidrittelmehrheit bedarf. Die AKP strebt ein Präsidialsystem mit Erdogan an der Spitze an. Nach dem Wahldebakel im Juni hatte die AKP das Präsidialsystem im aktuellen Wahlkampf aber nicht mehr zum Thema gemacht. Beherrschendes Thema der Regierungspartei war angesichts der eskalierenden Gewalt im Land der Kampf gegen den Terrorismus.

Kritik von HDP

Kritik wurde unterdessen aus den Reihen der HDP laut. Die Partei sprach von "unfairen Wahlbedingungen". Der Co-Vorsitzende Selahattin Demirtas bemängelte, dass die HDP durch wiederholte Anschläge und Angriffe auf die Partei nicht in der Lage gewesen sei, einen Wahlkampf zu führen.

Es war bereits die zweite Parlamentswahl in diesem Jahr für die Türken. Bei der ersten Wahl im Juni hatte die AKP ihre absolute Mehrheit erstmals seit Übernahme der Regierung im Jahr 2002 verloren. Dazu hatte wesentlich der überraschende Einzug der pro-kurdischen HDP ins Parlament beigetragen. Nach dem Scheitern von Koalitionsgesprächen hatte die Opposition dem Präsidenten vorgeworfen, dies in Kauf genommen zu haben, um Neuwahlen zu erzwingen. Eine Koalitionsbildung scheiterte, deshalb setzte Erdogan die nun erfolgte Neuwahl an.

Das Wahlsystem in der Türkei
Parteien in der Türkei müssen mindestens zehn Prozent der Stimmen erhalten, um ins Parlament einziehen zu können. Die Hürde ist damit doppelt so hoch wie in Deutschland.
Die 550 Sitze der Nationalversammlung werden je nach Bevölkerungszahl auf die 81 Provinzen der Türkei verteilt. Vergeben werden sie nach einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht.
Mit 276 Sitzen kann eine Partei alleine regieren. Um die Verfassung zu ändern, ist eine Zweidrittelmehrheit (367 Abgeordnete) nötig. Eine 60-Prozent-Mehrheit (330 Abgeordnete) reicht allerdings aus, um das Volk in einem Referendum über eine Verfassungsänderung abstimmen zu lassen.

Wahlergebnis ist auch für Deutschland von Bedeutung

Das Wahlergebnis in der Türkei hat auch Bedeutung für die EU und für Deutschland. Die Türkei ist das wichtigste Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Die EU drängt die Regierung in Ankara, ein Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen möglichst bald in Kraft treten zu lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Türkei jüngst Finanzhilfen, Visa-Erleichterungen für türkische Bürger und Unterstützung bei den EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt.

Wahltag verlief weitgehend friedlich

Bei der heutigen Wahl waren gut 54 Millionen Staatsbürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung lag Schätzungen zufolge bei rund 87 Prozent.

In Diyarbakir im türkischen Kurdengebiet lieferten sich Demonstranten und Polizei nach Bekanntwerden der ersten Ergebnisse gewaltsame Auseinandersetzungen vor der Zentrale der HDP. Die Polizei trieb die Menge mit Tränengas und Wasserwerfern auseinander. Ansonsten lief der Wahltag weitgehend friedlich.