Krieg in der Ukraine Hoffnung auf Feuerpause für Mariupol
Die russische Führung hat eine Feuerpause für die Hafenstadt Mariupol angeboten. Die Ukraine äußerte sich zunächst skeptisch, schickt nun aber 45 Busse zur Evakuierung von Einwohnern. Aus der Stadt werden anhaltende Kämpfe gemeldet.
Russland hat erneut eine Feuerpause für die schwer zerstörte südukrainische Hafenstadt Mariupol angeboten. Die Maßnahme solle die Möglichkeit schaffen, Zivilisten über einen humanitären Korridor herauszuholen, erklärte das russische Verteidigungsministerium.
Der Fluchtweg soll demnach über die unter russischer Kontrolle stehende Stadt Berdjansk ins 250 Kilometer entfernte Saporischschja führen. Es sollten auch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beteiligt werden. Das IKRK erklärte, ein Team sei unterwegs in die Stadt, um Hilfsmittel auszuliefern und Menschen zu evakuieren.
Ukraine schickt Busse
Die ukrainische Regierung bezeichnete die russische Ankündigung in einer ersten Stellungnahme als Versuch der "erneuten Manipulation". Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner abendlichen Ansprache: "Wir glauben niemandem, keiner einzigen schönen Phrase." In der Vergangenheit waren Feuerpausen zumeist gescheitert. Nachrichtenagenturen berichteten zudem von anhaltenden Kämpfen in der Stadt. Es gebe Beschuss durch russische Truppen, die ukrainischen Kräfte hätten das Zentrum der Hafenstadt am Asowschen Meer aber noch immer unter Kontrolle.
Doch am Morgen erklärte die stellvertretende Regierungschefin, es seien 45 Busse auf dem Weg in die Stadt, um Zivilisten zu evakuieren, falls dies möglich sein sollte. "Wir tun alles Mögliche dafür, dass die Busse heute nach Mariupol gelangen und die Menschen abholen, die es noch nicht aus der Stadt heraus geschafft haben", so Iryna Wereschtschuk. In der vergangenen Nacht sei die ukrainische Regierung vom IKRK darüber informiert worden, "dass Russland bereit ist, den Zugang für humanitäre Konvois aus Mariupol zu öffnen".
Baerbock: Zivilisten müssen gerettet werden
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wies am darauf hin, dass "noch immer weit mehr als 100.000 Zivilisten" in Mariupol eingeschlossen seien. Sie erlebten seit Wochen "einen kaum vorstellbaren Albtraum ohne Strom, ohne Wasser, ohne Heizung in einer Stadt, auf die pausenlos russische Bomben, Raketen und Granaten fallen, und die dem Erdboden gleich gemacht wird".
Russland scheine "entschlossen, die Stadt zu erobern oder zu vernichten, egal um welchen menschlichen Preis". Sie rufe die russische Regierung auf, "sichere Korridore für Zivilpersonen zur freiwilligen Evakuierung und die Lieferung humanitärer Hilfe für diejenigen zu ermöglichen, die nicht gehen können oder bleiben wollen".
Russische Angriffe im Osten
Die russischen Truppen setzen eigenen Angaben zufolge ihre Angriffe im Osten der Ukraine fort. Die Ortschaft Solota Nywa südwestlich von Donezk sei nun unter russischer Kontrolle, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. Bis zu 60 Gegner seien getötet worden. Einheiten des von Russland als unabhängig anerkannten Separatistengebietes Luhansk seien unterdessen fünf Kilometer vorgerückt und lieferten sich Kämpfe mit ukrainischen Einheiten nordwestlich von Luhansk. Seit Mittwoch wurden nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums insgesamt 53 ukrainische Militärpunkte durch Luftschläge zerstört, darunter Flugabwehr-Raketensysteme sowie Munitions- und Waffenlager.
Das russische Verteidigungsministerium hatte am Mittwoch eine "Umgruppierung" seiner Truppen bei Kiew und Tschernihiw bestätigt. Das Ziel der Truppenverlegung sei "vor allem der Abschluss der Operation zur vollständigen Befreiung des Donbass", hieß es.
Großoffensive im Donbass?
Beobachter deuten dies als Vorstufe zu einer großen Offensive im Osten des Landes. Offenbar, weil in Kiew und im Westen die ukrainischen Truppen zunehmende Erfolge vermelden. Auch Selenskyj erklärte, Russland wolle seine Truppen im Donbass verstärken, weil dort eine große Offensive geplant sei. Dazu würden Truppen aus der Region Kiew abgezogen, die dort erfolgreich von ukrainischen Streitkräften zurückgeschlagen worden seien.
US-Militärs gehen davon aus, dass die russischen Streitkräfte begonnen hätten, sich aus der Region um das stillgelegte Kernkraftwerk Tschernobyl nördlich von Kiew zurückzuziehen.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Tanklager zerstört
Unterdessen gingen in der Nacht die Kämpfe in weiten Teilen der Ukraine weiter. Bei einem Raketeneinschlag in der Großstadt Dnipro wurde nach ukrainischen Angaben ein Treibstofflager zerstört. Trümmer hätten zudem zwei Tanklastwagen beschädigt, teilte der Leiter des Regionalrats, Mykola Lukaschuk, mit. Es habe keine Opfer gegeben.
Pawlo Kyrylenko vom Koordinierungszentrum der Region Donezk warf Russland den Einsatz von Phosphorgranaten vor. In der Kleinstadt Marinka hätten die von russischen Soldaten eingesetzten Waffen "ein Dutzend Brände" verursacht. Der Luftwaffe in Kiew zufolge feuert Russland sogar vom Kaspischen Meer aus Raketen auf Ziele in der Ukraine ab. Die Angaben der Kriegsparteien sind nicht unabhängig zu überprüfen.