Vorstoß der Ukraine Russland evakuiert offenbar Zehntausende Zivilisten
Aus der Region Kursk dringen nur wenige Informationen an die Öffentlichkeit. Doch die Kämpfe gehen offenbar weiter. Russland spricht von 76.000 evakuierten Zivilisten. Und auch an der Grenze zu Belarus wachsen die Spannungen.
Die Gefechte in der Kursker Grenzregion haben offenbar auch massive Folgen für die Zivilbevölkerung. Rund 76.000 Zivilisten seien in andere Regionen Russlands untergebracht worden, teilte der russische Zivilschutz nach Angaben der Staatsagentur Tass mit.
Für die Flüchtenden seien zusätzliche Züge in die Hauptstadt Moskau eingesetzt worden, außerdem wurden Hilfsgüter in das Grenzgebiet gebracht. In der gesamten Region Kursk wurde nach Angaben Russlands Raketenalarm ausgelöst. Die Bevölkerung wurde demnach aufgefordert, Schutzräume aufzusuchen.
Die ukrainischen Einheiten waren am Dienstag überraschend in die russische Region vorgedrungen. Inzwischen liefern sich russische und ukrainische Truppen dort den fünften Tag in Folge Gefechte. Verlässliche Details über die Kampfhandlungen gibt es derzeit nur wenige.
Allerdings hat Präsident Wolodymyr Selenskyj erstmals direkt Stellung zu dem Angriff bezogen. Armeechef Olexander Syrskyj habe ihm über "die Vorverlagerung des Krieges in das Gebiet des Aggressors" berichtet, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache.
Die Ukraine beweise damit, dass sie in der Lage sei, "für Gerechtigkeit zu sorgen, und garantiert genau den Druck aufzubauen, der nötig ist - Druck auf den Aggressor".
Truppen verlegt?
Der Umfang des Einsatzes bleibt aber unklar. Die Führung in Kiew macht weiterhin keine detaillierten Angaben zu dem Vorstoß ihrer Armee. Der russische Generalstab hatte hingegen erklärt, es seien mehr als 1.000 ukrainische Soldaten, ein Dutzend Panzer und etwa 20 weitere gepanzerte Fahrzeuge in die Region Kursk eingedrungen. Am Samstag gab das russische Militär bekannt, die fünffache Menge an ukrainischem Kriegsgerät zerstört zu haben. Überprüfen lässt sich das nicht.
Russland schickt allerdings offenbar weitere Soldaten in die Region, um den Vorstoß zurückzudrängen. Nach Angaben der ukrainischen Aufklärung hat Russland mit der Verlegung einer Brigade der Marineinfanterie von der besetzten Halbinsel Krim in die Region Kursk begonnen.
Ein Teil der Fahrzeugkolonne sei bei der Anfahrt zerstört worden. Auch diese Angaben können nicht unabhängig geprüft werden. Nach Einschätzung des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) in Washington versucht das russische Verteidigungsministerium weiter darauf zu verzichten, Truppen von der Front in der Ukraine selbst abzuziehen, um Einheiten in Kursk zu verstärken.
Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Sorge um AKW
Beobachter sind in Sorge, da sich in der Region ein Atomkraftwerk befindet. Das AKW Kursk nahe der Stadt Kurtschatow liegt etwa 100 Kilometer von der russischen Grenze zur Ukraine entfernt.
Die russische Atomenergiebehörde Rosatom warnte vor der Gefahr eines ukrainischen Angriffs auf das Atomkraftwerk. Der Chef der Internationalen Atomenenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, rief "alle Parteien zu maximaler Zurückhaltung" auf, um einen Atomunfall zu vermeiden.
An anderer Stelle scheinen die Kämpfe in dem Kriegsgebiet weniger zu werden. Laut ukrainischer Armee gab es an den übrigen Schauplätzen der Front auf ukrainischem Gebiet so wenig Kampfhandlungen wie seit dem 10. Juni nicht mehr.
Der bisher beispiellose Vorstoß der Ukraine war von Beobachtern als Versuch gewertet worden, russische Kräfte zu binden und somit an anderen Frontabschnitten Entlastung zu schaffen.
Belarus will Einheiten an Grenze verstärken
Dafür gab das mit Russland verbündete Belarus nun bekannt, seine Einheiten an der ukrainischen Grenze zu verstärken. Um auf "jede mögliche Provokation" vorbereitet zu sein, würden zusätzliche Truppen und Raketen in die südliche Grenzregion Gomel entsandt, so das belarusische Verteidigungsministerium.
Machthaber Alexander Lukaschenko informierte zudem über den mutmaßlichen Abschuss mehrerer ukrainischer Drohnen. Derartige "kriminelle Handlungen" könnten zu einer radikalen Eskalation der Lage führen, teilte das belarusische Außenministerium nach Angaben der Staatsagentur Belta mit. Sie seien zudem ein "gefährlicher Versuch, die derzeitige Konfliktzone in unserer Region auszuweiten". Belarus werde sein Recht auf Selbstverteidigung nutzen und auf jede Provokation angemessen reagieren.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.