Krieg gegen die Ukraine Explosionen in Odessa - Rückzug bei Kiew
Der Schwerpunkt der russischen Angriffe in der Ukraine verlagert sich: In der Hafenstadt Odessa im Süden gab es Explosionen. Aus der Region um Kiew zogen russischen Truppen ab, in einer Stadt entdeckte die ukrainische Armee Dutzende Tote.
Auf die strategisch wichtige Hafenstadt Odessa hat es nach Behördenangaben einen Luftangriff gegeben. Die Detonationen in der Stadt im Südwesten der Ukraine waren am frühen Morgen zu hören, berichtete ARD-Korrespondent Oliver Mayer-Rüth. Zudem waren mindestens drei schwarze Rauchsäulen und Flammen vermutlich über einem Industriegebiet zu sehen. Die Metropole ist der größte Hafen der Ukraine und zentral für die Wirtschaft des gesamten Landes. Bislang war Odessa nicht im Fokus des Kriegsgeschehens.
Es war nicht sofort klar, ob es sich um Beschuss durch russische Kampfflugzeuge oder um andere Raketen handelte. Am Morgen wurde Luftalarm ausgelöst. "Odessa wurde aus der Luft angegriffen", erklärte der Berater des ukrainischen Innenministers, Anton Heraschtschenko. "In einigen Gebieten wurden Brände gemeldet. Ein Teil der Raketen wurde von der Luftabwehr abgeschossen. Es wird empfohlen, die Fenster zu schließen". Nach Angaben der Stadtverwaltung in Odessa wurde ein wichtiger Teil der "Infrastruktur" getroffen. "Wir hoffen, dass es keine Todesfälle gibt", sagt der Sprecher der Stadt, Sergej Bratschuk.
Kreml: Treibstoff-Lager in Odessa zerstört
Das russische Verteidigungsministerium teilte inzwischen mit, durch die Angriffe seien Treibstoff-Lager zerstört worden. Der Treibstoff diene der Versorgung ukrainischer Truppen im Gebiet der Stadt Mykolaiw. Die Einnahme von Mykolaiw wäre für Russland wichtig, um auf dem Landweg nach Odessa vorrücken zu können.
Szenen des Grauens nach russischem Abzug
Zuvor hatte die ukrainische Armee nach eigenen Angaben die Region um die Hauptstadt Kiew und weitere Gebiete im Norden wieder vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. "Irpin, Butscha und Hostomel und das gesamte Gebiet Kiew - vom Feind befreit", schrieb die stellvertretende Verteidigungsministerin Anna Maljar auf Twitter.
Vom Rückzug der Russen im Nordwesten der Metropole berichtete auch Präsidentenberater Olexij Arestowytsch. Um Kiew seien mehr als 30 Dörfer zurückerobert worden, sagte er. In der zurückerboberten Stadt Butscha stießen ukrainische Truppen auf Szenen des Grauens. Dutzende tote Zivilisten lagen auf den Straßen. Viele von ihnen seien von russischen Soldaten erschossen worden, twitterte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. "Sie waren nicht beim Militär, sie hatten keine Waffen, sie stellten keine Bedrohung dar", schrieb er. "Wie viele derartige Fälle ereignen sich gerade in den besetzten Gebieten?"
Das Bild der Nachrichtenagentur AP zeigt einen ukrainischen Soldat neben einer Leiche in der zurückeroberten Stadt Butscha. Mindestens 300 Zivilisten sollen getötet worden sein.
Auf einem Foto, das Podoljak in seinem Tweet teilte, waren erschossene Männer zu sehen, bei einem von ihnen waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Echtheit des Bildes konnte nicht unabhängig geprüft werden. Die Leichen konnten während der russischen Besatzungszeit nicht beigesetzt werden, verlautete nach Angaben der "Ukrajinksa Prawda" aus der Verwaltung. Die Berichte über die mutmaßliche Gräueltaten der russischen Soldaten konnten nicht unabhängig überprüft oder bestätigt waren.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte, die Russen hätten die Gebiete vor ihrem Abzug vermint. Der ukrainische Rettungsdienst teilte mit, dass bei einer Durchsuchung des Dorfes Dmytriwka mehr als 1500 Sprengkörper gefunden worden seien. Das russische Verteidigungsministerium antwortete nicht auf eine Anfrage zu diesen Angaben.
Selenskyj erwartet russische Angriffe im Osten und Süden
Nach dem Abzug der russischen Truppen rund um Kiew erwartet Selenskyj nun heftige russische Angriffe im Osten und Süden. "Was ist das Ziel der russischen Armee? Sie wollen sowohl den Donbass als auch den Süden der Ukraine erobern", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft in der Nacht. Der Angriff auf Odessa bestätigt Selenskyjs Erwartungen. Auch die russische Armee verkündete als neuen Schwerpunkt die vollständige Einnahme der südöstlichen Region.
Um den russischen Plänen entgegenzuwirken, werde die Abwehr der ukrainischen Streitkräfte in östlicher Richtung verstärkt, sagte Selenskyi. "Und das wohl wissend, dass der Feind Reserven hat, um den Druck zu verstärken."
Von der Krimhalbinsel ostwärts bis zur russischen Grenze kontrolliert Russland bereits die gesamte ukrainische Küste am Asowschen Meer - bis auf die Hafenstadt Mariupol. Westlich der Krim war Cherson zunächst eingenommen worden, wird aber wieder umkämpft.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Treffen Selenskyjs mit Putin weiter fraglich
Ob es nach den wochenlangen Friedensverhandlungen zwischen Vertretern Russlands und der Ukraine zu einem direkten Gespräch zwischen Selenskyj und Kremlchef Waldimir Putin kommt, ist weiter fraglich. Der ukrainische Chefunterhändler David Arachamija sprach im Staatsfernsehen von einem möglicherweise baldigen Treffen.
Dagegen teilte Russland mit, dass die Friedensgespräche für ein Treffen der Staats- und Regierungschefs nicht weit genug fortgeschritten seien. Zudem bleibe Moskaus Position zum Status der Krim und des Donbass unverändert. "Der Abkommensentwurf ist nicht soweit", sagte der russische Chefunterhändler Wladimir Medinski auf Telegram. "Ich wiederhole immer wieder: Russlands Position zur Krim und zum Donbass bleibt unverändert."
Selenskyj hat wiederholt ein direktes Gespräch mit Putin gefordert. Der Kreml lehnt dies bisher mit dem Hinweis darauf ab, dass Putin eine konkrete Grundlage - im Sinne abgeschlossener Vorverhandlungen - für diese Zusammenkunft fordert. Moskau fordert einen Verzicht der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft sowie die Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Separatistengebiete als eigene Staaten und der 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim als Teil Russlands.
Seit dem Beginn des russischen Einmarschs in das Nachbarland am 24. Februar wurden nach ukrainischen Schätzungen über 20.000 Menschen getötet. Fast 4,14 Millionen Menschen flohen nach UN-Angaben vor den Kämpfen in der Ukraine ins Ausland.