Fidesz gewinnt Parlamentswahl in Ungarn "Freie, aber keine fairen Wahlen"
In der EU ist Ungarns Premier Orban umstritten, daheim feiert er glänzende Wahlerfolge. Das liegt an populären Versprechen, sagt Jan Engels von der Friedrich-Ebert-Stiftung im tagesschau.de-Interview - aber auch an den jüngsten Verfassungsänderungen.
tagesschau.de: Viktor Orban steht in Europa wegen seines autoritären Regierungsstils in der Kritik - wieso ist er in Ungarn dennoch so beliebt?
Jan Engels: Der jüngste Wahlerfolg ist vor allem auf ein zentrales Wahlkampfversprechen zurückzuführen, nämlich die Wohnnebenkosten zu senken. Diese Maßnahme spürt jeder Bürger direkt auf seinem Konto, und deshalb ist seine Partei bei vielen Ungarn so beliebt. Und natürlich polarisiert Orban mit seinem "Freiheitskampf" stets gegen innere wie gegen äußere Feinde.
Jan-Niklas Engels, Jahrgang 1974, leitet seit August 2013 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest. Zuvor leitete der Diplom-Verwaltungswissenschaftler das Projekt "Internationaler Monitor der Sozialen Demokratie" der FES in Berlin.
tagesschau.de: Spielt ihm die Kritik aus Brüssel dabei zusätzlich in die Hände?
Engels: Er kann sich als starker Mann inszenieren, der ausländischer Bevormundung widersteht. Und damit trifft er den Nerv vieler Ungarn, die glauben, dass ihr kleines Land immer unter fremdem Einfluss stand, erst unter dem der Habsburger, dann war es Russland und heute wird Brüssel als das neue Moskau dargestellt.
25 Jahre nach der Wende und zehn Jahre nach dem EU-Beitritt spüren viele Menschen keine Verbesserung in ihrem Leben und sind deshalb frustriert. Und da ist eine mögliche Antwort, nach außen zu zeigen und zu sagen: Das ist nicht unsere Schuld.
tagesschau.de: Erklärt diese Enttäuschung auch den Stimmengewinn der rechtsextremen Jobbik?
Engels: Die Partei profitiert sicherlich von dieser Unzufriedenheit mit den Parteien und dem demokratische System. Man liest hier in der Zeitung fast täglich über Korruptionsskandale und das nährt einen gewissen Verdruss. Es wäre aber zu kurz gedacht, Jobbik nur als reine Protestpartei zu sehen. Sie ist auf dem Weg, eine etablierte Partei zu werden - immerhin hat sie 20 Prozent der Stimmen geholt - und wird häufig von jungen Menschen und auch oft von Studenten gewählt.
Jobbik hat sich im Wahlkampf ein neues Image verpasst und sich nicht offen antisemitisch, sondern eher als nationalistisch-bürgerliche Partei präsentiert. Das zeigt sich etwa an den Bildern des Parteivorsitzenden mit traditioneller Großfamilie. Dennoch soll es bei lokalen Wahlkampfauftritten diese Hetze gegeben haben, nur eben auf der großen politischen Bühne nicht mehr.
tagesschau.de: Inwieweit haben die Reformen der letzten Jahre, etwa die Änderung des Wahlrechts oder die Beschneidung der Pressefreiheit, zum Wahlsieg Orbans beigetragen?
Engels: Viele Beobachter sagen, dass es zwar freie Wahlen waren, aber keine fairen. Das liegt unter anderem an den Behinderungen anderer Parteien, wie des linken Oppositionsbündnisses, aber auch daran, dass Fidesz einen viel besseren Zugang zu den Medien hatte. Außerdem hat die Regierung ein für sie vorteilhaftes Wahlsystem eingeführt. Und die Partei hatte mehr finanzielle Mittel zur Verfügung. Eine gesetzlich festgelegte Obergrenze für Wahlkampfausgaben, die die Aktivitäten anderer Parteien eingeschränkt hat, hat Fidesz laut Tranparency International durch parteinahe Zivilorganisationen ausgehebelt.
tagesschau.de: Orban verweist stets auf die Erfolge seiner Regierung: In den letzten vier Jahren wurde die Staatsverschuldung abgebaut, das Haushaltsdefizit gesenkt und die Arbeitslosigkeit ging zurück.
Engels: Auf dem Papier sieht das auch sehr gut aus. Wenn man aber genauer hinschaut, ergibt sich doch ein anderes Bild. So hat die Regierung beispielsweise die privaten Rentenkassen verstaatlicht und dadurch die Verschuldung reduziert. Die rückläufige Arbeitslosigkeit ist vor allem auf staatliche Beschäftigungsmaßnahmen zurückzuführen, vergleichbar mit den deutschen Ein-Euro-Jobs. Obwohl diese Menschen weniger als den Mindestlohn verdienen, wurde der Bereich stark ausgebaut.
Zudem zählen neuerdings Ungarn, die im Ausland arbeiten, aber noch zu Hause gemeldet sind, mit in die Statistik. Deshalb spricht die Regierung von einem "Jobwunder". Nachhaltige Arbeitsplätze sind das nicht. Eher im Gegenteil: Die Armut nimmt laut OECD sogar zu.
tagesschau.de: Wie finanziert Orban seine teuren Wahlversprechen?
Engels: Orban versteht es zwar, populäre Projekte durchzusetzen, wie die Senkung der Einkommenssteuer auf 16 Prozent. Das ist aber Augenwischerei, denn die Maßnahme wird durch andere versteckte Steuern gegenfinanziert, etwa eine Abgabe auf SMS-Nachrichten oder Bankabhebungen. Außerdem hat Ungarn mit 27 Prozent eine der höchsten Mehrwertsteuern in Europa. Diese Abgaben belasten ärmere Menschen verhältnismäßig stärker als eine hohe Einkommenssteuer. Deshalb habe ich erhebliche Zweifel, ob diese Wirtschaftspolitik nachhaltig ist, oder ob es nicht in einigen Jahren ein böses Erwachen gibt. Schon jetzt lebt ein Drittel aller Ungarn am oder sogar unter dem Existenzminimum.
tagesschau.de: Immer mehr junge, gut ausgebildete Ungarn wandern aus - droht dem Land ein Brain-Drain?
Engels: Lange ist Ungarn von diesem Phänomen verschont geblieben. Die Menschen sind gerne in ihrem Land geblieben, anders als in anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks, wo die Freizügigkeit zu stärkerer Abwanderung geführt hat. Aber in den letzten zwei Jahren hat sich das deutlich geändert. Das liegt auch daran, dass Studieren teurer geworden ist und das Stipendiensystem abgebaut wurde. Deshalb verlassen immer mehr junge Leute, die gute Qualifikationen haben, die Fremdsprachen können, das Land.
tagesschau.de: Was könnte die EU tun, um die genannten Probleme zu bekämpfen und Ungarn möglicherweise zu demokratischen Reformen zu bewegen?
Engels: Die bisherigen Vertragsverletzungsverfahren haben nur wenig gebracht. Meiner Meinung nach bräuchte man deshalb eine Art "Grundwerte-TÜV" der EU. Das soll nicht heißen, dass Brüssel Vorgaben macht, was alles falsch läuft in Ungarn. Stattdessen sollten die Beteiligten eher über gemeinsame Werte sprechen und darüber zu möglichen Lösungen und Reformen kommen. Das Problem ist nämlich bisher, dass die EU in Ungarn oftmals nicht als Wertegemeinschaft, sondern lediglich als Finanzier großer Projekte gesehen wird.
Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de