Demonstration in Washington "Angst - nur weil wir schwarz sind"
"8:46" stand auf vielen T-Shirts. So lange hatte der weiße Polizist auf George Floyd gekniet - bis der Schwarze starb. Gegen solche Fälle von Polizeigewalt demonstrierten Tausende in Washington - an einem Ort von besonderer Bedeutung.
"Was wollen wir?", fragt Bürgerrechtler Al Sharpton. "Gerechtigkeit" antwortet die Menge am Fuße des Lincoln Memorials. Genau 57 Jahre nach Martin Luther Kings berühmter "I have a dream"-Rede hat der Reverend, ein Veteran der Bürgerrechtsbewegung, diese Neuauflage des Marsches auf Washington organisiert.
Afroamerikaner hätten damals unterwegs nicht einfach irgendwo anhalten und aufs Klo gehen können, erinnert Sharpton. Oder in ein Restaurant oder ein Hotel. "Aber sie kamen trotzdem - und weil sie 1963 kamen, konnten wir jetzt zurückkommen. Anreisen wie wir wollen und Absteigen wo wir wollen. Sie haben die Türen für uns geöffnet. Aber es gibt noch einige Türen für uns zu öffnen - und einigen Leute was klar zu machen."
"Warum ist er angekettet? Er kann doch gar nicht laufen"
Die Rentnerin Lisa McDaniel, das eigentlich schwarze Haar platinblond gefärbt, ist extra aus Cincinnati in Ohio hergeflogen: "Ich bin hier, weil mein Vater hier mit Martin Luther King Jr. marschiert ist. Jetzt folge ich in seinen Fußstapfen. Es ist dringend: die Ereignisse in der letzten Zeit haben gezeigt, dass es immer noch sehr viel Ungerechtigkeit gibt in dieser Welt."
Vor allem der Fall Jacob Blake empört Lisa - so wie viele hier: Der Afroamerikaner war am vergangenen Sonntag von einem weißen Polizisten sieben Mal in den Rücken geschossen worden. Jetzt ist er querschnittsgelähmt. "Der Mann ist mit Handschellen an sein Krankenhausbett gekettet. Warum ist er angekettet? Er kann doch gar nicht laufen."
"Wir müssen der Wandel sein"
Die Familie von Jacob Blake fordert vom Podium aus Gerechtigkeit und Polizeireformen - genau wie die Geschwister von George Floyd. Sein gewaltsamer Tod in Minneapolis Ende Mai hatte zu landesweiten Protesten geführt und die Bürgerrechtsbewegung neu mobilisiert. Floyds Schwester Bridgett trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck "I can't breathe" ("Ich kann nicht atmen"). Das waren die letzten Worte von George Floyd. Und "8:46" steht darauf. So lange hatte der weiße Polizist auf ihm gekniet - bis George Floyd starb.
"Mein Bruder kann heute nicht sprechen. Wir müssen seine Stimme sein. Wir müssen der Wandel sein. Und wir müssen sein Erbe sein.
"Unserem Präsidenten ist das egal"
Wie schon 1963 haben sich überwiegend Afroamerikaner auf den Weg nach Washington gemacht - aber auch viele Weiße mischen sich in die Menge. Jacky aus New Jersey beispielsweise. "Genug ist genug", steht auf dem T-Shirt der 55-Jährigen. "Es ist ekelhaft, wie die Schwarzen in diesem Land behandelt und misshandelt werden. Und kein Wort dazu aus dem Weißen Haus. Unserem Präsidenten ist das egal."
US-Präsident Donald Trump verunglimpft die Black-Lives-Matter-Demonstranten schon seit Wochen pauschal als gesetzeslosen Mob und Terroristen. Baptisten-Pfarrer K.W. Tulloss, der aus Los Angeles angereist ist, zuckt mit den Achseln: "Der Präsident hat keine Ahnung wie wir leben. Er will immer Reality Shows. Aber das ist die Realität: Wir haben Angst um unser Leben - nur weil wir schwarz sind."
Kamala Harris kam nicht persönlich nach Washington. Sie nutze die Demonstration für einen Wahlkampfauftritt per Video.
"Wir sind trotzdem da, weil es uns so wichtig ist"
Die Demokraten dagegen nutzen die Chance für einen Wahlkampfauftritt - wenn auch nur halbherzig: Kamala Harris, die frischgekürte Vize-Präsidentschaftskandidatin kommt nicht persönlich, sondern schickt nur eine Videobotschaft.
Auch Martin Luther King III. ist einer der Redner an diesem Tag. Sein Vater und die anderen hätten damals für das Recht zu Wählen gekämpft. Und das sei jetzt wieder in Gefahr:
"Unser Wahlrecht steht unter Beschuss - durch diskriminierende Vorschriften und Kürzungen. Jetzt macht es Covid-19 gefährlich, vielleicht sogar tödlich in der Schlange zu stehen. Wir sollten nicht unser Leben riskieren müssen, um unsere Stimme abzugeben.
Das Risiko, sich beim Marsch auf Washington anzustecken, gehen die Demonstranten dagegen bereitwillig ein. Natürlich sei es eine Sorge, sagt beispielsweise Pfarrer K.W. Tulloss aus Los Angeles, der wie fast alle hier Maske trägt. "Aber wir sind trotzdem da, weil es uns so wichtig ist."