Interview zur US-Wahl "Obama muss harte Entscheidungen treffen"
Mit dem Wahlsieg des dunkelhäutigen Barack Obama habe das Land endlich seine rassistische Vergangenheit überwinden können, sagt der US-Politologe Jeremy Mayer im Interview mit tagesschau.de. Doch auf den künftigen Präsidenten kämen jetzt harte Entscheidungen zu.
tagesschau.de: Herr Mayer, waren Sie im geringsten überrascht vom Ausgang der Wahl?
Jeremy Mayer: Nein, ich habe bereits im Januar vorhergesagt, dass Obama gewinnt, sowohl in den Vorwahlen als auch bei der heutigen Wahl. Es war immer klar, dass diese Wahl für die Republikaner schwer zu gewinnen sein würde. Der Wirtschaft ging es bereits schlechter, Präsident George W. Bushs Unbeliebtheit erreichte Rekordwerte und der Irakkrieg wurde allgemein als Fehler angesehen.
Außerdem ist es immer schwer für eine Partei gewesen, nach acht Jahren im Weißen Haus die Macht zu behalten. Das ist nach Harry Truman nur noch Ronald Reagan gelungen, dem 1988 sein Vize George Bush nachfolgte.
Jeremy Mayer lehrt an der George Mason University in Washington DC Politik. Er veröffentlichte unter anderem Arbeiten über schwarze Politiker im amerikanischen Wahlkampf, die USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 sowie das Verhältnis der US-Medien zur Macht.
tagesschau.de: Welche Wählerschichten haben die Wahl entschieden?
Mayer: Bei einem Sieg, der so deutlich ausfällt, lag es daran, dass die Demokraten so viele weiße Wähler überzeugt haben wie seit Jahren nicht mehr. Erwähnt werden sollte auch die Tatsache, dass schwarze Wähler in bisher nicht gesehener Zahl abgestimmt haben.
tagesschau.de: Wie wird sich der Sieg Obamas auf die allgemeine Stimmung in den USA auswirken?
Mayer: Einerseits sind wir alle ganz krank von der ununterbrochenen Wahlberichterstattung, weshalb ich eine gewisse Erleichterung vorhersage. Andererseits ist da eine große Symbolkraft, wenn ein Schwarzer US-Präsident wird. Selbst weiße Konservative, die McCain gewählt haben, werden sich besser fühlen, weil ihr Land auf diese Art endlich seine rassistische Vergangenheit überwinden konnte.
"Palin war ein riesiger Fehler"
tagesschau.de: Die Nominierung der Gouverneurin von Alaska als Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten sollte die Kampagne der Republikaner eigentlich befördern. Wie schätzen Sie die Personalie Sarah Palin ein?
Mayer: Das mit Palin war ein riesiger Fehler von McCain. Sein bestes Argument, die Unerfahrenheit Obamas, wurde damit wirkungslos. Die Nominierung Palins erregte die Konservativen, vor allem die christlichen, aber McCain hätte deren Stimmen ohnehin bekommen. Er brauchte Unentschiedene, und da hat ihm Palin geschadet.
Außerdem hat sie ihm bei den nicht-schwarzen Minderheiten geschadet. Jedes Mal, wenn Palin in ein überwiegend weißes, ländliches Gebiet gegangen ist und vom "wirklichen Amerika" sprach, distanzierte sie sich gleichzeitig von diesen Minderheiten. Asiaten und Hispanics wurden nicht mit Palin warm. McCain hätte den Einwanderern eine starke Botschaft vermitteln können, aber mit Palin verschenkte er diese Möglichkeit.
tagesschau.de: Die USA haben schwere Probleme, vorrangig mit der Wirtschaft. Das war ja auch das wichtigste Thema der Kampagnen. Obama wird im Januar das Amt übernehmen. Wie bald kann er effektiv regieren?
Mayer: Bush hat es im Jahr 2000 gut hinbekommen, trotz der langen Auseinandersetzungen um den Ausgang der Wahl. Clintons Amtsübernahme 1992 war dagegen ein Desaster. Viele wichtige Posten blieben auch nach dem Amtseid Clintons wochenlang unbesetzt. Wenn Obama die Übernahme der Macht so gut organisiert wie seine Kampagne, sehen wir eine effektiv arbeitende Regierung womöglich sehr bald.
McCain im Kabinett?
tagesschau.de: Nach der Wahl ist immer die Rede vom "Uniter", demjenigen, der wieder Einigkeit herstellt. Wie kann Obama die US-Bürger, die nicht für ihn gestimmt haben, einbeziehen?
Mayer: Das ist das einzig Positive an der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation, dass sie dazu gut sein könnte, uns zusammenzubringen. Aber Obama muss harte Entscheidungen treffen. Dennoch, ich denke, dass er mehr "Uniter" sein wird als es McCain gewesen wäre. Obama wird vermutlich Republikaner in sein Kabinett holen.
tagesschau.de: Etwa auch John McCain?
Mayer: Nein, McCain wird keiner Regierung Obama angehören.
tagesschau.de: Der Kongress ist in der Hand der Demokraten, demnächst auch das Weiße Haus. Wie haben solche Konstellationen in der Vergangenheit funktioniert?
Mayer: Nicht besonders in der Regierungszeit von Carter und Clinton. Aber vielleicht erinnern sich die Demokraten, wie Regieren geht, nachdem sie so lange nicht die Macht im Weißen Haus hatten…
Mehr europäische Truppen in Afghanistan
tagesschau.de: Wie wird die Außenpolitik der Regierung Obama aussehen?
Mayer: Ich denke, dass es schnell zu einer wirtschaftlichen Koordination kommen wird. Gordon Brown, der britische Premier, hat beispielsweise ganz ähnliche Ideen wie Obama, wenn es um die Bewertung der Finanzmarktkrise geht. Mit Asien wird sich nichts groß ändern, zumal sich Bush in den letzten Monaten gegenüber Nordkorea auf einen Kurs begeben hat, wie ihn auch die Demokraten wünschen würden. Die Truppenstärke in Irak könnte sich rasch ändern, wenn es nicht bis Jahresende eine neue Vereinbarung darüber mit Bagdad gibt. Aber ich denke, Obama wird seine Rückzüge eher methodisch abwickeln. Also so, wie im Wahlkampf versprochen.
tagesschau.de: Und in Afghanistan? Wird Obama mehr Truppen von den alliierten europäischen Staaten fordern, und auch von Deutschland?
Mayer: Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Obama wird selbstverständlich mehr alliierte Truppen für Afghanistan und den Krieg gegen der Terror haben wollen. Er schickt mehr US-Soldaten dort hin, und er wird in Europa nach Lastenteilung fragen.
Die Fragen stellte Christian Radler, tagesschau.de, zzt. in Chicago