US-Wahl 2024
Schriftstellerin Siri Hustvedt zur US-Wahl "Ich habe Angst vor einem Trump-Sieg"
Siri Hustvedt ist eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der USA. Im Interview mit WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich beklagt sie, in der Politik werde mit zweierlei Maß gemessen: Trump könne sich viel mehr erlauben als seine Konkurrentin. Die Aussicht auf einen Wahlsieg Trumps mache ihr Angst.
Clinton gegen Trump: Die Vernunft gegen die Emotion, Weltgewandtheit gegen Paranoia. Was ist da gerade los in den USA?
Siri Hustvedt: Das ist wirklich schwer zu sagen. Es gab schon immer rechte Kräfte in den USA. Die Republikaner hatten immer auch rassistische Botschaften, aber die wurden subtiler transportiert - an ihre Parteifreunde, an Wähler oder an die, die sie für sich gewinnen wollten. Sie erinnern sich vielleicht an Ronald Reagan. Er machte eine Vielzahl solcher Äußerungen in seinem Wahlkampf, zum Beispiel über die sogenannten "welfare queens", die "Sozialschmarotzer". Das waren klar rassistische Äußerungen. Er brauchte diese Stimmen und so bekam er sie. Die Republikaner spielen seit langer Zeit ein sehr gefährliches Spiel. Ich denke, diese Partei ist zu einem gewissen Grad spalterisch. Und Donald Trump steht auf eine Weise für die Basis der Partei, die nun explodiert.
Siri Hustvedt, Jahrgang 1955, ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und Essayistin. Bekannt geworden ist sie vor allem durch die Romane "Die unsichtbare Frau", "Die Verzauberung der Lily Dahl" und "Was ich liebte". Ihre Werke sind oft im künstlerisch-intellektuellen Umfeld angesiedelt und autobiografisch geprägt. Hustvedt ist mit dem Erfolgsschriftsteller Paul Auster verheiratet.
Was denken Sie über Hillary Clinton?
Hustvedt: Ich verehre sie sehr, weil ich weiß, wie hart es war…
... um so weit zu kommen? Ihr wird immer wieder vorgeworfen, nicht authentisch zu sein. Das ist einer der Stereotypen, mit denen Hillary Clinton abgestempelt wird.
Hustvedt: Wissen Sie, Frauen werden verurteilt, wenn sie etwas tun und wenn sie nichts tun, werden sie auch verurteilt. Ich habe selbst in kleinerem Maß entdeckt, dass zum Beispiel leidenschaftliche Ausbrüche anders wahrgenommen werden, wenn sie von mir kommen oder von einem Mann. Als ich meinen Doktor an der Hochschule machte, habe ich gelernt, wann ich emotional sein durfte und wann nicht, wann ich leise sprechen musste, weil sonst meine Seriosität angezweifelt würde. Hillary Clinton hat diese Lektionen gelernt, wieder und wieder. Trump kann brüllen und rot anlaufen - es scheint seinem Ansehen nicht zu schaden. Wenn Hillary Clinton so etwas täte, dann wäre ihr politisches Leben zu Ende. Wenn das jetzt heißen soll, sie sei nicht authentisch, sei's drum. Ich denke, es hat überhaupt nichts mit Authentizität zu tun.
Das Interview ist Teil der langen USA-Nacht im Ersten. WDR-Chefredakteurin Sonia Seymour Mikich und NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz treffen Amerikaner, die glauben, Donald Trump sei ihre letzte Hoffnung auf Arbeit und Veränderung. Sie besuchen Menschen, die den ersten schwarzen Präsidenten der USA auf der Straße feierten und heute ernüchtert sind. Sie sprechen mit der amerikanischen Schriftstellerin Siri Hustvedt und dem Washington Post-Journalisten Steven Ginsberg über den Wahlkampf, die Kandidaten und den Zustand der amerikanischen Gesellschaft.
"Extrem hart für eine Frau"
Hillary Clinton wurde lange Zeit nur "im Verhältnis zu" wahrgenommen, als Ehefrau von Bill Clinton, als First Lady, dann als Regierungsmitglied von Obama. Jetzt geht es nur um sie. Wie groß ist die Herausforderung, wie sehr muss sie sich von diesem alten Bild lösen?
Hustvedt: Es steht natürlich außer Frage, dass sie die First Lady war. Aber wir müssen uns auch daran erinnern, dass sie Senatorin von New York war. Sie war eine sehr gute Senatorin. Ich habe Hillary Clinton nie persönlich getroffen, aber ich kenne viele Menschen, die sie kennen, oder die sogar mit ihr gearbeitet haben. Sie alle sagen, dass sie wirklich charmant und charismatisch ist. Ich habe keinen getroffen, der das nicht so empfindet. Sie arbeitet sehr hart, aber das ist etwas, was eine Frau unsympathisch zu machen scheint. Ich denke, es ist extrem hart für eine Frau, in diese höchste Position hineinzufinden, denn es gibt sie noch gar nicht in der amerikanischen Kultur.
Der Sexismus sitzt tief
Donald Trump beschimpft Hillary Clinton und kommt damit durch - selbst bei seinen weiblichen Unterstützern. Wie kann das sein?
Hustvedt: Viele von uns, auch von uns Frauen, haben sexistische Ansichten. Auch ich, als Feministin, die sich immer wieder mit Wahrnehmung beschäftigt hat, bin empfänglich für solche sexistischen Gedanken. Was ich aber interessant finde ist, dass es Frauen gibt, die sich Donald Trump anschauen, wie er Frauen als Hunde oder Schweine bezeichnet, ohne sich erniedrigt zu fühlen. Wie sind sie dazu fähig? Es mag sein, dass ihr eigener Sexismus so tief sitzt, dass es zu einer Form von Selbsthass geworden ist. Oder zu einer Form der Komplizenschaft.
Hillary Clinton steht als Mitglied des Establishments in der Kritik - im Gegensatz zu Donald Trump. Wie sehr steht sie für das Althergebrachte?
Hustvedt: Es steht außer Frage, dass es, wenn wir Hillary Clinton zur Präsidentin wählen, keinen radikalen Schnitt zur Obama-Präsidentschaft geben wird. Wenn wir Donald Trump wählen, dann schon. Und dann steht außer Frage - lassen wir den Sexismus jetzt mal beiseite - dass Donald Trump offen ist für den radikalen Wunsch nach etwas ganz anderem. Ich befürchte, dass es Menschen gibt, die aus diesem Grund wählen, aus der Wut auf das Establishment heraus. Und das Establishment in den Vereinigten Staaten gilt als ein versnobter, elitärer, korrupter Haufen von Dummköpfen.
Manche sagen, durch Bernie Sanders sei Clinton nach links gerückt. Was ist da dran?
Hustvedt: Bernie Sanders hat die gesamte demokratische Partei nach links gerückt. Ich mag das Wort "Movement" und daher bin ich Sanders dankbar, so etwas in Bewegung gesetzt zu haben. Er hat wichtige Inlandsthemen gesetzt - zum Beispiel das kostenlose Studium und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten.
Auch Clinton darf Fehler machen
Wegen der E-Mail-Affäre, den Kommunikationspannen meinen viele, Hillary Clinton sei nicht aufrichtig. Wie kann sie das Vertrauen wieder zurückgewinnen?
Hustvedt: Zum Teil liegt das daran, dass die öffentlich Wahrnehmung Verblendung geschaffen hat. Also die E-Mail-Geschichte, die ist völlig überbewertet, ohne Relation. Und wenn man sich dann die Tatsache anschaut, dass die Geschäfte, die Donald Trump macht, wenn nicht illegal, zumindest im Graubereich des Legalen sind und dass das seine Chance auf die Präsidentschaft nicht schmälert, dann verblüfft mich das. Menschen machen Fehler - aber Hillary Clinton wird das nicht zugestanden.
Wie geht es Ihrer Meinung nach nun weiter?
Hustvedt: Die Wahrheit ist: Der demografische Wandel in den USA, die Tatsache, dass wir nicht mehr ein weißes, protestantisches Land sind, wie wir es mal waren, wird dieses Problem lösen. Auch bei Obamas Wahl kam ihm die Demografie zu Hilfe, die Schwarzen, die Latinos, die Asiaten und die jungen Menschen. Nun braucht Hillary Clinton die gleiche Koalition der Minderheiten.
Zu meinem Mann (Anm. d. Red: Der Schriftsteller Paul Auster), der ja zufällig ein weißer Mann über 60 Jahre ist, allerdings ganz anders denkt als die Trump-Wähler, sage ich immer: Diese weißen Typen über 60, die Trump unterstützen, die werden aussterben.
Was ist ihre Voraussage für den Wahlabend?
Hustvedt: Wir wissen nicht, was passiert. Und ich habe große Angst. Bei vorherigen Wahlen habe ich in Interviews auf die Frage "Was machen Sie, wenn George W. Bush gewinnt?" im Scherz gesagt: "Dann verlasse ich das Land". Wenn Trump zum Präsidenten gewählt wird, dann werde ich definitiv nicht das Land verlassen, sondern erst recht mehr Zeit für die Politik investieren, an die ich glaube. Das kann ich ohne zu zögern sagen. Aber ich habe große Angst.
Das Interview führte Sonia Seymour Mikich, WDR
Redaktion und Übersetzung von Christiane Justus, NDR und Caroline Hoffmann, WDR