US-Wahl 2024

Ursula von der Leyen
analyse

Nach Trumps Wahlsieg Was jetzt auf Europa zukommt

Stand: 06.11.2024 15:04 Uhr

Während Europa nach der ersten Wahl Trumps zum US-Präsidenten in Schockstarre verfiel, scheinen die Europäer diesmal gelassener zu reagieren. Kommissionspräsidentin von der Leyen will notfalls auf harte Konfrontation schalten.

So war es auch nach der ersten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten am 8. November 2016: Zu allererst stimmten sich Deutschland und Frankreich ab, um als wichtigste Akteure den EU-Kurs gegenüber Trumps "America First"-Stragegie in knappen Worten vorzuzeichnen.

Heute ist es nicht anders, ungeachtet der angeknacksten Achse Paris-Berlin. Der eher sanftmütige Tonfall in Richtung Trump erscheint dabei schon fast eine direkte Reaktion auf das eher altersmilde und wenig angriffslustige Auftreten Trumps auf seiner Wahlparty: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte, er sei bereit zur Zusammenarbeit, "mit ihren Überzeugungen und mit meinen Überzeugungen, mit Respekt und Ehrgeiz, für mehr Frieden und Wohlstand".

Der Satz dürfte mit Bundeskanzler Olaf Scholz, mit dem Macron telefoniert hatte, abgestimmt sein. Scholz hatte ebenfalls gratuliert und auf eine "seit langem erfolgreiche Zusammenarbeit" mit den USA verwiesen.

Beide taten dies übrigens auf der Platform X von Elon Musk, der die enorme Reichweite seines Mediums auch dafür genutzt hat, um Trump im Wahlkampf zu helfen. Die EU-Kommission hatte vor knapp einem Jahr ein Verfahren gegen X eröffnet, wegen "Verbreitung illegaler Inhalte" nach dem neuen Gesetz für digitale Dienste (DSA). Nun wird in Brüssel aber auch schon die Frage nach Musks möglicher politischer Rolle in einer Regierung Trump gestellt.

Brüssel könnte auf harte Konfrontation schalten

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gratulierte Trump "ganz herzlich". Der Fokus liegt auch bei ihr auf "künftiger Zusammenarbeit". Was herzlich klingt, ist aber wohl eher als Zeichen eines souveränen Selbstbewusstseins gemeint. Denn falls die Zusammenarbeit nicht klappen sollte, will Brüssel auf harte Konfrontation schalten. Man sei "mit allen Wassern gewaschen", heißt es in EU-Kreisen, um eigene Interessen besser verteidigen zu können.

Trumps erster Wahlsieg im November 2016 löste noch Schockwellen in Brüssel und in den meisten EU-Ländern aus. Damals war von einem "Betriebsunfall" der US-Geschichte die Rede, was den Eindruck verstärkte, die EU sei unflexibel, schwerfällig und nicht genügend vorbereitet auf Unbequemes in den transatlantischen Beziehungen, die bis dato als sichere Bank galten.

Diesen "Fehler" wollten die EU-Spitzen diesmal nicht noch einmal machen. Von der Leyen richtete schon vor Monaten eine "Trump-Task-Force" ein. Wichtigstes Ziel ist, zu verhindern, dass Trump die EU spalten könnte und Gegenmaßnahmen schnell aus der Schublade ziehen zu können, falls Trump es wagen sollte, angesichts eines gewaltigen Handelsdefizites einen Handelskrieg mit der EU vom Zaun zu brechen - mit drastischen Folgen für die ohnehin problembehaftete Industrielandschaft in Europa. 

Ungarns Orban will besondere "Vermittler"-Rolle

Heute fallen die Reaktionen auf Trumps Wahl komplett anders aus als beim ersten Mal im November 2016: Statt ungläubigem Staunen macht sich Pragmatismus breit. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer schrieb auf X, er wünsche sich einen Ausbau und eine Stärkung der Beziehungen.

Das klingt nicht viel weniger zugewandt als die Reaktionen des eingefleischten Trump-Unterstützers Viktor Orban aus Ungarn, der von einem "schönen Sieg" spricht. Die Ironie der Geschichte will es, dass Orban schon am morgigen Donnerstag als Gastgeber eines Gipfeltreffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft mit Regierenden aus 47 europäischen Staaten fungiert. Es ist eine Organisation, die Europa jenseits der EU-Mitglieder an einen Tisch bringen will.

Anschließend dürfte er bei einem informellen EU-Gipfel - ebenfalls in Budapest - die Gelegenheit für Trump-freundliche Botschaften nutzen. Eine besondere "Vermittler"-Rolle, wie von ihm selbst erhofft, wird man ihm jedoch nicht zubilligen.

Trumps Wahl könnte EU zusammenschweißen

Brüssel setzt keineswegs auf "Brückenbauer", sondern auf die notfalls knallharte Verteidigung vor allem der eigenen Wirtschaftsinteressen. Protektionistischer Druck aus Washington soll mit größtmöglichem Gegendruck beantwortet werden. Trump verstehe vor allem die Sprache der Stärke, heißt es in EU-Kreisen.

Falls Trump seine Drohung wahr macht und Produkte aus der EU mit Zusatzzöllen bis zu 20 Prozent überzieht, will Brüssel Ähnliches androhen. Die Hoffnung ist, dass die USA dann schon einlenken werden. Wenn nicht, könnte es haarig werden. Auch für die ohnehin gebeutelte Autoindustrie und ihre Zulieferer, denn die USA sind der wichtigste Absatzmarkt zusammen mit China.

In vielen Dingen ist Brüssel aber wirtschaftlich nicht optimal vorbereitet. Das zeigt der Ärger um jene "Sonderzölle" auf Stahl- und Aluminiumprodukte, die Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführt hatte.

Auch Trump-Nachfolger Joe Biden hätte daran wohl nicht gerührt, hätten sich die EU-Spitzen in seiner Amtszeit nicht für eine Rücknahme eingesetzt. Herausgekommen ist aber kein dauerhaftes Ende, sondern eine Pause - die endet im März 2025. Trump dürfte kaum ein Interesse daran haben, den Europäern ausgerechnet hier entgegen zu kommen.

Trumps Sieg muss die EU nicht spalten. Viele Reaktionen auf die Wahl deuten darauf hin, dass sie eher zusammengeschweißt wird und mehr auf die eigenen Interessen schaut. Und dass sie sich vor allem auf sich selbst verlassen muss - in der Wirtschaftspolitik, in Wettbewerbsfragen, aber auch bei Verteidung und Sicherheit. Nach der Devise "Europa zuerst".

Andreas Meyer-Feist, ARD Brüssel, tagesschau, 06.11.2024 14:52 Uhr