Interview zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen "Man hört einander wieder zu"
Zwar ist das Verhältnis der deutschen Kanzlerin zu Obama angeblich noch nicht so herzlich wie zu seinem Vorgänger Bush. Doch gilt das auch für die deutsch-amerikanischen Beziehungen? Dort scheint es umgekehrt zu sein: Politisch verbindet beide Staaten seit Obama wesentlich mehr, sagt der SPD-Außenpolitiker Voigt im Gespräch mit tagesschau.de
tagesschau.de: Unter US-Präsident George W. Bush gab es eine Eiszeit in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Zwar schien das persönliche Verhältnis zwischen Bush und Merkel freundlich, doch politisch gab es wenig Überschneidungen. Was hat sich in den fünf Monaten, die Obama im Amt ist, verändert?
Karsten Voigt: Ton, Substanz und Perspektive. Man hört einander wieder zu. Beim Thema Klimawandel muss man die Amerikaner nicht mehr davon überzeugen, dass es das Problem überhaupt gibt. Beide Seiten wollen nun an einer gemeinsamen Problemlösung arbeiten. Und: Beide wollen nun wieder konventionelle und nukleare Abrüstung erreichen.
tagesschau.de: Also ist alles in Butter?
Voigt: Es wird immer Probleme zwischen einer Weltmacht und einer europäischen Mittelmacht geben, aber die Perspektive stimmt. Plakativ gesagt: Beim Thema Kampf gegen den Klimawandel war Bush schlechter als der US-Kongress, Obama ist in dieser Sache besser als der Kongress. Mit seiner Art und Weise, wie er an Probleme herangeht und sie löst, steht Obama Europa wesentlich näher als sein Vorgänger.
tagesschau.de: In der Wirtschaftskrise drängt Merkel auf eine gemeinsame nachhaltige Finanzpolitik. Warum bekommt Deutschland keinen gemeinsamen Kurs mit seinem wichtigsten Partner zustande?
Voigt: Bei der Finanzkrise gibt es auch große Übereinstimmungen in Analyse und im Handeln zwischen beiden Staaten. An einem Punkt ist man tatsächlich unterschiedlicher Meinung – der Währungspolitik. Deutsche und Amerikaner sind da unterschiedlich historisch geprägt. Die Deutschen fürchten aus der Erfahrung des 20. Jahrhunderts Inflation und Entwertung des Geldes und kümmern sich deswegen schon jetzt mehr darum, die neu aufgenommene Verschuldung durch eine Schuldenbremse mittelfristig in den Griff zu bekommen. Die Amerikaner haben andere Erinnerungen an die große Depression 1929 und haben keine Angst vor Inflation.
tagesschau.de: Wird Deutschland nur angehört oder hat es Einfluss auf Obamas Regierung?
Voigt: Unser Einfluss ist da am größten, wo wir die konkretesten Konzepte haben.
tagesschau.de: Zum Beispiel?
Voigt: Bei den Themen Klimawandel, alternative Energien oder Energiesparpolitik ist es konzeptionell eindeutig, weil wir politisch dort glaubwürdige Vorreiter sind. Dasselbe gilt auch für das Thema Abrüstung, den Umgang mit Russland, das Engagement in Afghanistan und die Reaktion auf die Entwicklung im Iran.
tagesschau.de: Beim Reizthema CO2-Reduktion sind die Europäer weit von den USA entfernt und fordern mehr Engagement. Wie wollen sie da zusammenkommen?
Voigt: Ich sehe das anders. In den USA muss das Umdenken langsam von unten wachsen. Die Mehrheiten müssen sich auch im demokratisch dominierten Kongress ändern, erst danach kann die Obama-Administration internationalen Konventionen beitreten. Wir unterscheiden uns mit Blick auf die Zielsetzung nicht.
tagesschau.de: Ein anderes kontroverses Thema ist Guantánamo. Haben Sie Obama mal gefragt, weswegen er ehemalige Guantánamo-Häftlinge nicht im eigenen Land aufnehmen will?
Voigt: Das versucht Obama – auch dort hat er Schwierigkeiten beim US-Kongress. In Deutschland war die Schließung von Guantánamo immer unstrittig, in den USA nicht. Das ist dort ein innenpolitisch kontroverses Thema. Allerdings wäre Deutschland meines Erachtens gut beraten, wie andere europäische Länder, offene Aufnahmebereitschaft zu signalisieren. Ich finde es unter europa- und außenpolitischen Gesichtspunkten problematisch, wenn wir da bestenfalls im europäischen Mittelfeld sind. Man kann dann trotzdem im Einzelfall genaue Bedingungen stellen, aber derzeit signalisieren deutsche Innenpolitiker wenig Aufnahmebereitschaft.
tagesschau.de: Was kann Deutschland den USA in Afghanistan bieten?
Voigt: Hier wird schon Erhebliches von deutscher Seite getan, auch bei zunehmenden Risiken. Das wird von der Obama-Administration auch anerkannt. Ich erwarte bei den jetzigen Gesprächen kein zusätzliches Drängen von ihm. Aber es besteht kein Zweifel, dass man in den Washingtoner Think Tanks und im Kongress froh wäre, wenn die Deutschen mehr böten.
tagesschau.de: Eine weitere Großbaustelle ist das Verhältnis zum Iran: Wo liegen die Unterschiede, was sind die gemeinsamen Ziele von Washington und Berlin in Teheran?
Voigt: Deutschland hat dort eine Botschaft, die Amerikaner nicht. Unsere Beziehungen zum iranischen Volk sind freundschaftlich und eng, mit der iranischen Regierung haben wir die gleichen Probleme wie die USA. Ganz sicher wird man innen- wie außenpolitisch eine abgestimmte Haltung gegenüber dem Iran hinkriegen.
tagesschau.de: In den Bush-Jahren waren die transatlantischen Beziehungen auf Sicherheitsfragen reduziert. Sehen Sie inzwischen wieder ein breiteres Themenfeld?
Voigt: Eindeutig, immerhin gehört Abrüstungspolitik wieder dazu.
tagesschau.de: Was ist mit kultur- und gesellschaftspolitischen Fragen?
Voigt: Früher brauchte ich 50 Prozent meiner Zeit bei Vorträgen, Interviews und Veranstaltungen, um zu begründen, weswegen wir trotz der Bush-Administration gute Beziehungen zu den USA benötigen. Jetzt erlebe ich keine Veranstaltung, bei der nicht bessere Beziehungen gewünscht werden. Da warne ich sogar vor eher übertriebenen Erwartungen.
tagesschau.de: Man entdeckt wieder Gemeinsamkeiten?
Voigt: Inzwischen wird auf deutscher Seite gesagt, dass wir beispielsweise bei der Integration von Einwanderern oder beim Engagement im Wahlkampf von den USA lernen können. Das hat man länger nicht gehört. Die Identifikation mit dem jetzigen Präsidenten ist hoch.
Das Interview führt Corinna Emundts, tagesschau.de.