"YanukovychLeaks" Der korrupte Ex-Präsident
"Er lebte wie ein Oligarch" - so beschreibt die Journalistin Kateryna Kapliuk im tagesschau.de-Interview den ukrainischen Ex-Präsidenten Janukowitsch. Knapp 25.000 Dokumente - die er vernichten wollte - hat sie mit Kollegen aus einem See gefischt, getrocknet, ausgewertet und online gestellt.
tagesschau.de: Im Februar 2014 haben Sie für acht Tagen dort gelebt, wo Ex-Präsident Viktor Janukowitsch herrschte: In seiner Residenz "Meschyhirja". Sie haben etwa 25.000 Dokumente aus einem See gefischt, sie in seiner Sauna getrocknet, eingescannt und ausgewertet. War das die außergewöhnlichste Recherche ihres Lebens?
Kateryna Kapliuk: Ja, das kann man so sagen. Es war schon merkwürdig in einem Haus zu leben, das vorher völlig verschlossen war, denn unter Janukowitsch war es unmöglich, auf sein Anwesen "Meschyhirja" zu kommen. Ein komisches Gefühl, den Reichtum aus der Nähe zu sehen. Zu Beginn haben wir uns Sorgen gemacht, dass vielleicht seine Bodyguards zurückkehren könnten, doch die sind zum Glück nicht mehr aufgetaucht.
"Keine Panik, wir digitalisieren alles"
tagesschau.de: Wie müssen wir uns die Arbeit von ihnen und den anderen Journalisten vorstellen?
Kapliuk: Weil wir nicht wussten, ob die Justiz uns erlauben würde, die Akten weiter einzusehen, mussten wir rund um die Uhr arbeiten, bevor sie die Akten abholen konnten. Das hat glücklicherweise etwas länger gedauert und sie haben uns unsere Arbeit fortsetzen lassen. Anfangs waren wir ratlos: Was sollten wir zuerst anschauen? Wir haben uns gesagt: Keine Panik, wir digitalisieren erst einmal alles. Das waren etwa 25.000 Seiten.
tagesschau.de: Wie viele davon haben Sie gelesen?
Kapliuk: Alle. Es hat Tage gedauert, bis ich alles gelesen hatte. Danach haben wir eine Struktur in die Dokumente gebracht - etwa Papiere zu einzelnen Banken gesammelt. Was für mich am Ende klar war: Dieser Mann war äußerst korrupt und er pflegte merkwürdige Beziehungen.
"Mehrere Millionen Dollar an Janukowitsch"
tagesschau.de: Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus den Dokumenten?
Kapliuk: Wir haben vor allem Details zu seinen Machenschaften gefunden, weniger über Staats-Angelegenheiten. Besonders sein exklusiver Lebensstil hat uns beeindruckt. Es gab Vermutungen, aber wir hätten nicht gedacht, dass er in einem solchen Luxus lebte: Alles war aus Gold, in der Garage standen Oldtimer, er hatte sogar eigens für ihn hergestellte Lebensmittel. In seinem Anwesen haben wir auch ein Buch aus dem 16. Jahrhundert gefunden - eines der ersten, das jemals in der Ukraine gedruckt wurde. Dazu gab es ein Zertifikat, auf dem stand, dass das Buch eigentlich einem Museum gehörte. Wie es in seine Hände kam, wissen wir nicht. Auf den Aufzeichnungen der Überwachungskameras sieht man, dass Janukowitsch bei seiner Flucht einige Bilder und Kunstwerke mitgenommen hat, dieses aber zum Glück nicht.
tagesschau.de: Wie hat er sein Luxusleben finanziert?
Kapliuk: Janukowitsch lebte wie ein Oligarch. Aber er war nie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Deshalb war es schon merkwürdig, woher das Geld für diesen Luxus kam. Laut der Akten hat er mehrere Millionen Dollar von Investoren bekommen, deren Namen wir leider nicht herausfinden konnten. Die meisten Transaktionen liefen über eine Bank, in der sein Sohn eine Rolle spielt. Welche Gegenleistung Janukowitsch für das Geld erbracht hat, ist nur schwer nachzuvollziehen.
tagesschau.de: Wie haben die Behörden auf "YanukovychLeaks" reagiert?
Kapliuk: Nachdem ich mehrere Artikel über einen Minister der Janukowitsch-Regierung geschrieben habe, haben auch die Strafverfolgungsbehörden ermittelt. Es war ein komisches Gefühl, als ich gemerkt habe, dass die Polizei mit einigen von meinen Informationen arbeitet. Beim ehemaligen Energieminister fand die Polizei teure Uhren und große Mengen Gold. Wir haben herausgefunden, dass er Beziehungen zu einer Erdgasfirma unterhalten hat. Unter Janukowitsch hatte diese mehrere Förderlizenzen bekommen, ohne an einer Ausschreibung teilzunehmen. Im März wurden die Lizenzen aberkannt.
"Es hat sich gelohnt"
tagesschau.de: Aber bisher ist niemand in Haft, oder?
Kapliuk: Nein, denn alle Minister und natürlich auch Janukowitsch selbst haben die Ukraine verlassen.
tagesschau.de: Würden Sie dennoch sagen, dass sich die ganze Arbeit gelohnt hat?
Kapliuk: Natürlich! Nur so konnten wir verstehen, wie die Janukowitsch-Regierung gearbeitet hat. Und auch wenn bisher keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurde: Sollten sie in die Ukraine zurückkommen, werden sie bestraft.
Millionen Zugriffe in den ersten Tagen
tagesschau.de: Wie war das Interesse der Ukrainer an den Dokumenten?
Kapliuk: In den ersten Tagen hatte unsere Seite mehr als eine Millionen Zugriffe. Ich glaube, dass der Einblick in sein Luxusleben besonders wichtig für die Menschen im Osten der Ukraine war. Denn er hat sich gerne als einer von ihren dargestellt. Mit unseren Unterlagen konnten wir diesen Eindruck korrigieren.
Mittlerweile hat das Interesse abgenommen. Das liegt auch daran, dass einige der Journalisten, die damals mitgearbeitet haben, mittlerweile im Osten des Landes recherchieren und schlicht keine Zeit mehr haben, die Unterlagen weiter auszuwerten. Wir planen aber, die Beziehungen von Janukowitsch zu seinen Ministern und den ukrainischen Oligarchen weiter zu beleuchten. Der Hauptgrund für das nachlassende Interesse ist aber, dass die Ukrainer einfach mit anderen Problemen konfrontiert sind. Immerhin ist die Lage in der Ostukraine immer noch instabil.
tagesschau.de: Wird "YanukovychLeaks" eine einmalige Sache bleiben?
Kapliuk: Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder in eine ähnliche Situation kommen werde. Diese Masse an Dokumenten war außergewöhnlich. Nach dem Erfolg von "YanukovychLeaks" haben wir ein zweites Projekt gestartet, dass sich mit den Machenschaften eines jungen Oligarchen beschäftigt: Sergej Kurtschenko. Er hat einen unglaublichen Aufstieg hinter sich. Wir haben 40 Ordner mit geschreddertem Material gefunden, das wir versuchen zu rekonstruieren.
Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de, im Rahmen der Netzwerk-Recherche-Konferenz