Interview zur US-Wahl "Fast ein Unmaß an Erwartungen"
Sind die Erwartungen an Obama seitens der Europäer und der Deutschen viel zu groß? Kann man nur durch einen Wechsel im Weißen Haus automatisch von einer Verbesserung der transatlantischen Beziehungen ausgehen? Michael Zürn, Experte für internationale Politik und transatlantische Beziehungen beantwortet diese Fragen im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Herr Zürn, sind die großen Hoffnungen, die Deutschland und Europa mit dem künftigen US-Präsidenten Barack Obama verknüpfen, überzogen oder berechtigt?
Michael Zürn: Obama ist von der amerikanischen Bevölkerung nicht gewählt worden, um die Weltprobleme möglichst mit europäischer Handschrift zu lösen. Sondern um die Probleme in den USA in den Griff zu kriegen und die Interessen Amerikas in der Welt zu vertreten. Da ist in der Tat bereits ein Element in der Enttäuschungsfalle angelegt. Das gilt natürlich auch für die USA selbst, auch dort gibt es fast ein Unmaß an Erwartungen. Umgekehrt glaube ich aber, dass er natürlich auch eine solche Stimmung des Wandels schaffen muss, um die Bevölkerung bei Entscheidungen mitzunehmen, die in einem Land wie Amerika nicht einfach durchzusetzen sind. Wenn man zum Beispiel bei der Klimafrage weiterkommen will, muss er in den amerikanischen Lebensstil tief eingreifen.
tagesschau.de: Dennoch haben viele US-Amerikaner darunter gelitten, dass Präsident Bush das Image ihres Landes in der Welt sehr beschädigt hat. Ist das nicht auch ein Wählerauftrag für Obama, das zu verändern?
Zürn: Die Amerikaner haben einerseits nicht dagegen, wenn sie gut angesehen sind in der Welt. Aber die Reaktionen in den USA auf seinen Auftritt gerade in Berlin haben andererseits deutlich gezeigt, dass es mit Skepsis wahrgenommen wird, wenn er außerhalb des Landes mehr Ansehen genießt als innerhalb der USA. Das nährt genau den Verdacht, dass er gerade nicht die Interessen ihres Landes vertritt.
tagesschau.de: Heißt das, die Europäer sollten lieber nicht allzu große Erwartungen mit der Wahl Obamas verknüpfen?
Zürn: Doch, ich verknüpfe große Hoffnungen mit ihm. Er hat enorme internationale Aufgaben vor sich: Zum einen die Weltfinanzkrise; dann sind die USA in zwei Kriege verwickelt, bei denen sich gezeigt hat, dass die militärische Macht alleine nicht ausreicht. Er muss die Frage beantworten, wie man mit den neuen Bedrohungen durch Terrorismus umgeht. Wie setzt man das Prinzip der "responsibility to protect" um ("Internationale Schutzverantwortung") - eine neue Norm der Vereinten Nationen, die eine globale Verantwortung zum Ausdruck bringt?
"Aufgaben so groß wie nach dem Zweiten Weltkrieg"
Und er muss in der internationalen Politik die europäischen Partner wieder an Bord bringen und gleichzeitig einen Umgang mit China und Russland finden. Ich traue ihm zu, dass er in einer Situation einer globalisierten Schockerfahrung aufgrund der Finanzkrise als neugewählter amerikanischer Präsident, der für gut ein Jahr sicher auf einer Welle der Begeisterung getragen wird, vieles erreichen kann. Das wird auch bitter nötig sein. Die Größe der Aufgaben ist vergleichbar mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
tagesschau.de: Rechnen Sie mit einer Verbesserung der transatlantischen Beziehungen?
Zürn: In der Form allemal. Die multilateralistische Denkweise - die Bereitschaft unter den Beteiligten eine gemeinsame Lösung zu finden, statt auf einseitige Vorgaben zu setzen - ist bei Obama nicht nur Rhetorik. Es wird wieder eine stärkere Politik durch die multilateralen Institutionen geben - das wird den Europäern gefallen.
Das bedeutet aber auch, dass die Anforderung an europäische und deutsche Beiträge wachsen wird. Wir werden stärker herangezogen, das tut aber auch der deutschen Debatte über Außenpolitik mal ganz gut. Dann müssen wir in eine ernsthaftere innenpolitische Debatte einsteigen, was wir eigentlich wollen und welchen Beitrag wir leisten wollen.
tagesschau.de: Was bedeutet das konkret bezogen auf den Afghanistan-Einsatz, wenn er - wie in seiner Berliner Rede im August angekündigt - Europa und Deutschland mehr als "Partner" betrachtet?
Zürn: Die militärischen Eingriffe können überhaupt nur Erfolg haben, wenn sie eine durch internationale Institutionen legitimierte Basis haben. Das ist der Unterschied zwischen dem Irak und Afghanistan. Der Afghanistan-Einsatz hat eine Grundlage durch eine Resolution der Vereinten Nationen. Wir sehen aber jetzt, dass das, was derzeit geschieht, nur zu einer gewissen Befriedung von Kabul und der näheren Umgebung, aber nicht des ganzen Landes ausreicht.
Testfall Afghanistan
Ein dauerhaftes Dahinvegetieren in dieser Situation, die weder Hü noch Hott ist, ist keine vernünftige Option. Entweder man bündelt die Ressourcen, um zu zeigen, dass man dieses UN-Prinzip anwendet, dass man Verantwortung für die ganze Welt übernimmt - wenn der Staat in der entsprechenden Region wirklich komplett gescheitert ist. Oder man bleibt in der Zuschauerrolle und hält sich aus regionalen Konflikten heraus.
Afghanistan ist der Testfall, ob man der Rhetorik der Vereinten Nationen, also der "responsibility to protect" wirklich folgt. Die deutsche Außenpolitik betont diese extrem. Wenn wir diese Debatte zugunsten einer globalen Verantwortung entscheiden, muss man natürlich auch die USA bei diesen Maßnahmen stützen. Man kann nicht sagen, dass wir dafür sind, aber das Umsetzen den Amerikanern überlassen.
tagesschau.de: Obama wird immer dafür kritisiert, dass er keine außenpolitische Erfahrung hat. Sehen Sie das als ein Problem bei der Lösung dieser schwierigen Fragen?
Zürn: Nein, er hat zwei Jahre lang einen heftigen Wahlkampf gegen extrem starke Gegner geführt - fast ohne Fehler. Und er hat einen hervorragenden außenpolitischen Beraterstab. Er ist sehr lernfähig und hat ein hohes Maß an schneller, intuitiver Intelligenz.
Es gibt allerdings ein Problem dabei: Dass andere meinen, er sei vielleicht unerfahrener als sein Vorgänger und das ausnützen, indem sie in dieser Situation stärker versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Das Verhalten hat der russische Präsident gleich offen gelegt. Dadurch würde die mangelnde Erfahrung des Präsidenten zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Ein Phänomen, dass wir bei Kennedy und Chruschtschow gesehen haben. Der dachte, er kann diesen jungen Kerl in Sachen Kuba über den Tisch ziehen.
Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de.