Staatsanwaltschaft Koblenz Ermittlungen gegen Ex-Landrat im Ahrtal eingestellt
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat die Ermittlungen zur Flutkatastrophe abgeschlossen. Der ehemalige Landrat des Kreises Ahrweiler, Pföhler, wird nicht angeklagt.
Fast drei Jahre nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal in Rheinland-Pfalz mit 135 Toten hat die Staatsanwaltschaft Koblenz ihre Ermittlungen eingestellt.
Ein hinreichender Tatverdacht gegen den früheren Landrat des Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), und einen weiteren Mitarbeiter aus dem Krisenstab habe sich nicht ergeben, sagte der leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Koblenz, Mario Mannweiler. Beide werden nicht angeklagt.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte mehr als zweieinhalb Jahre wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in 135 Fällen und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Bei den Ermittlungen ging es um die Frage, ob durch anderes Handeln die Folgen zumindest teilweise hätten vermieden werden können.
Landrat wies Vorwürfe zurück
Schon kurz nach der Katastrophe wurden Vorwürfe laut, der damalige Landrat habe womöglich frühzeitige Warnungen vor Rekord-Pegelständen viel zu spät weitergegeben und den Katastrophenfall erst um 23 Uhr ausgerufen, als bereits mehrere Häuser von der Flut weggerissen waren.
Pföhler hatte die Vorwürfe zurückgewiesen, wie sein Anwalt am Mittwoch noch einmal bestätigt hatte. Auch der Mitarbeiter hatte zuvor über seinen Anwalt bestritten, sich strafbar gemacht zu haben.
Staatsanwaltschaft: Extremes Ausmaß nicht konkret vorhersehbar
Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass es sich um eine außergewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt habe, deren extremes Ausmaß für die Verantwortlichen des Landkreises Ahrweiler nicht konkret vorhersehbar gewesen sei.
"Die Flut 2021 hat alles, was die Menschen zuvor erlebt haben, weit übertroffen und war für Anwohner, Betroffene, Einsatzkräfte und Einsatzverantwortliche gleichermaßen subjektiv unvorstellbar", teilte die Behörde mit.
Gutachter: Beachtliche Mängel im Katastrophenschutz
Zwar sei der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler unzureichend organisiert gewesen, und das Führungssystem habe eine ganze Reihe von Mängeln aufgewiesen. "Die Verantwortung dafür trägt in erster Linie der politisch und administrativ gesamtverantwortliche ehemalige Landrat." Diese "durchaus beachtlichen Mängel", die ein Gutachter festgestellt hat, begründeten aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber keine Strafbarkeit.
"Uns ist bewusst, dass die Ahrflut unsägliches Leid über die Menschen im Ahrtal gebracht hat. Wir wissen, wie viel die Menschen dort mitgemacht haben und immer noch mitmachen. Wir wissen, wie viel Trauer und Erschütterung die Katastrophe ausgelöst hat und wie viele traumatisiert zurückgeblieben sind", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Mannweiler.
Er sprach den Hinterbliebenen und Opfern der Flutkatastrophe sein tiefes Mitgefühl aus. Dennoch sei es bei den Ermittlungen um eine rein strafrechtliche Aufarbeitung gegangen. "Es geht um die individuelle Schuld des Einzelnen. Wir haben nicht die Aufgabe, eine Naturkatastrophe als solche aufzuarbeiten, auch nicht das Katastrophenschutzsystem in seiner Gesamtheit", erläuterte Mannweiler.
Die Ermittler hätten sich freimachen müssen von Emotionen, was angesichts des Ausmaßes der Katastrophe und des dadurch ausgelösten menschlichen Leids schwierig gewesen sei.
Umfangreichstes Verfahren der Behörde bisher
Es war wohl das umfangreichste Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft bisher. Der Abschluss der Ermittlungen verschob sich immer wieder. Ein Grund war, dass die Staatsanwaltschaft das Ergebnis des Untersuchungsausschusses im Landtag hatte abwarten wollen.
Die Ermittlungen hatten sich lange hingezogen, auch weil sie eine bisher nicht gekannte Dimension hatten. Sie seien von erheblichen Herausforderungen geprägt gewesen, sagte der Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz, Mario Germano. "Nämlich Ermittlungen in einem von der Naturkatastrophe gezeichneten und teilweise zerstörten Gebiet zu führen. Die Menschen, die wir vernehmen mussten, waren zum Teil stark traumatisiert."
11.000 ausgewertete Notrufe
Mehr als 300 Zeugen wurden demnach vernommen. Dabei habe es sich vor allem um Mitarbeiter von Feuerwehren und Kommunen oder um Betroffene der Flut gehandelt, sagte Germano. Das Gros der Vernehmungen sei bis zum Frühjahr 2022 abgeschlossen gewesen. Mehr als 20 Terabyte an digitalen Daten seien gesichert und ausgewertet worden, mehr als 300 Gigabyte seien potenziell verfahrensrelevant gewesen.
Für den Zeitraum der Flut vom 14. bis 15. Juli seien bei Leitstellen der Feuerwehr und Polizei 15.500 Notrufe gesichert worden, im Katastrophengebiet hätten Ermittler im relevanten Zeitraum 11.000 Notrufe herausgefiltert und ausgewertet. Davon waren 6.200 für das Ermittlungsverfahren von Interesse.
Starke Regenfälle hatten Mitte Juli 2021 katastrophale Überschwemmungen an Flüssen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ausgelöst. Viele Gemeinden, insbesondere im Ahrtal, wurden verwüstet. Neben den 136 Todesfällen in Rheinland-Pfalz starben auch 49 Menschen in Nordrhein-Westfalen. Ein Mensch gilt weiterhin als vermisst. Außerdem wurden Hunderte Menschen verletzt, Tausende Häuser zerstört, Straßen und Brücken weggespült.