Europa vor US-Wahl Für Trump nicht gewappnet
Sollte Donald Trump wieder US-Präsident werden, droht es sowohl für Europa als auch für die Ukraine brenzlig zu werden: Die NATO könnte zerbrechen, die Ukraine ohne US-Unterstützung dastehen.
Ein US-Präsident Donald Trump wäre ohne Zweifel das Wunschtraum-Szenario für Russlands Präsident Wladimir Putin, jedoch für Europa und die Ukraine gleichermaßen ein Alptraum-Szenario: Stünde doch damit deren Sicherheit auf dem Spiel.
Beispiel NATO: Ob das Militärbündnis eine zweite Trump-Amtszeit überstehen würde, ist zweifelhaft. Für die Zerstörung der NATO nämlich müsste Trump noch nicht einmal offiziell den Austritt der USA aus der von ihm schon lange als "obsolet" bezeichneten Allianz erklären. Es würde schon genügen, dass die USA Zweifel daran lassen, ob es seine europäischen Bündnispartner im Falle eines Angriffs wirklich verteidigt. "Dann wäre die NATO tot", bestätigt Christian Mölling, stellvertretender Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Denn die NATO beruht zu einem extrem großen Teil auf dem Schutzversprechen der Amerikaner."
"Schutzlos" ohne US-Nuklearschild
Schon während seiner ersten Amtszeit brachte Trump beim NATO-Gipfel in Brüssel 2018 das Bündnis fast zur Implosion. Ob er aber im Falle einer Wiederwahl erneut Berater haben wird, die ihn mit viel Mühe von einem Austritt abhalten können, ist fraglich.
Klappen aber die USA ihren nuklearen oder konventionellen Schutzschirm ein, den sie über Europa aufgespannt haben, bekommen Deutschland und seine osteuropäischen Nachbarn ein Problem: Die militärische Abhängigkeit Europas von den USA hat sich nämlich seit Trumps erster Amtszeit keineswegs verringert.
Etwa 100.000 US-Soldaten sind derzeit in europäischen NATO-Staaten stationiert, allein in Deutschland 35.000. Ohne die USA und deren Nuklearschild wäre Europa - so drückt es Politikwissenschaftler Mölling im NDR-Podcast "Streitkräfte und Strategien" aus - "schutzlos".
Kaum Fortschritte bei Eigenständigkeit
Wie aber ist es möglich, dass die Europäer zwar seit Jahren geloben, sich sicherheitspolitisch auf eigene Beine zu stellen - sich diese aber trotz allem weiter als so wacklig erweisen? Zwar hatte Ex-Kanzlerin Angela Merkel in einer vielzitierten Bierzelt-Rede Ende Mai 2017 - also zu Trump-Zeiten - den Deutschen einzuschärfen versucht: "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen." Daran, dass Europas Schicksal aber auch heute noch weitgehend in den militärisch starken Händen der USA liegt, haben weder Merkel selbst noch ihr Nachfolger Olaf Scholz maßgeblich etwas geändert - fast sechs Jahre nach der Bierzeltrede, fast neun Jahre nach der Krim-Annexion. Und trotz "Zeitenwende".
Zwar unternimmt die Europäische Union durchaus Versuche, militärisch zusammenzuwachsen: Bei den 2017 ins Leben gerufenen PESCO-Projekten können sich willige Staaten zusammenschließen, um gemeinsame Fähigkeiten - wie zum Beispiel eine Unterwasserdrohne - zu entwickeln. Parallel dazu gibt es einen EU-Verteidigungsfonds, mit dessen Hilfe gemeinsame Beschaffungen finanziert werden können. Doch mit beidem bewegt sich die EU nur im Trippel-Schritt-Tempo hin zu einer echten Verteidigungsunion: Mit acht Milliarden Euro - über Jahre gestreckt - ist der Beschaffungs-Topf gefüllt. "Der große Hebel ist das nicht", meint Christian Mölling. Zum Vergleich: Die europäische Rüstungsindustrie habe einen Jahresumsatz von rund 80 Milliarden.
Verhofstadt wettert über "Bankrotterklärung"
Wie schnell die EU sicherheitspolitisch an ihre Grenzen stößt, wird schon jetzt bei der Unterstützung der Ukraine deutlich: Er könne diesen Satz, man helfe dem Land "as long as it takes"- "so lange wie nötig" - nicht mehr hören, schimpfte vor wenigen Tagen der liberale EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt. Die Realität nämlich sehe so aus: Bei der Artilleriemunition habe Russland drei Millionen Stück pro Jahr zur Verfügung - zwei Millionen selbst hergestellt, eine Million aus Nordkorea. "Wir aber sind aber noch nicht einmal in der Lage, eine Million pro Jahr herzustellen." In der Tat ist völlig offen, ob die Europäer das Versprechen, nun bis März zu liefern, werden einhalten können.
Den aus seiner Sicht entscheidenden Grund für diese verteidigungspolitische "Bankrotterklärung" lieferte Verhofstadt gleich hinterher: "Es gibt keine gemeinsame Verteidigung, keine gemeinsame Beschaffung. Das ist das wahre europäische Desaster."
Hinzu kommt, dass die Europäer auch bei der Ukraine-Hilfe trotz aller Beschwörungsformeln keinen geschlossenen Eindruck machen: Ungarn blockiert seit Wochen EU-Milliarden; Bundeskanzler Olaf Scholz mahnte die europäischen Partner am Sonntag erneut, mehr zu investieren; die Deutschen wiederum waren bei Waffenlieferungen gerade in der Anfangsphase aus Sicht der Partner viel zu zögerlich. Anders als Großbritannien und Frankreich weigert sich Scholz bislang, reichweitenstarke Marschflugkörper wie "Taurus" zu liefern.
Kann Deutschland eine Führungsrolle erfüllen?
Woran sich sogleich die Frage anschließt, welches Schicksal die Ukraine erleiden könnte, sollten die USA ihre Unterstützung unter einem Präsidenten Trump auf Null herunterfahren. Schon jetzt blockieren die Republikaner seit Wochen ein wichtiges Milliarden-Unterstützungspaket im Kongress. Und dass es die Ukraine als souveränen Staat bereits nicht mehr geben würde, hätten nicht die USA seit Kriegsbeginn so massiv Waffen - und übrigens auch Geodaten - geliefert, steht für Experten außer Frage. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij äußerte jetzt im ARD-Interview mit Caren Miosga den Wunsch, die Deutschen mögen einspringen, wenn die USA in ihrer Führungsrolle ausfielen. Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung dies könnte oder wollte, gibt es indes bislang nicht.
Sollte die Ukraine jedoch zunehmend in die Defensive geraten oder Putin diesen Krieg gar gewinnen, so hätte das für Europa ernste Folgen, warnt Politikwissenschaftler Mölling. Erstens dürfte der imperialistische Hunger Putins und damit auch die Bedrohung für die Osteuropäer wachsen. Was wiederum bedeutet, dass Deutschland und die Westeuropäer stärker gefragt wären zu helfen und zu schützen. Das würde viel Geld kosten. Zweitens dürften innerhalb Europas die Schuldzuweisungen zunehmen, wer für die mangelnde Unterstützung verantwortlich sei: "Das hat Zersetzungscharakter", meint Mölling.
Noch ist dies alles ein "Was-wäre-wenn"-Szenario. Noch ist Donald Trump nicht wieder US-Präsident. Aber es ist ein Szenario, für das weder die europäischen NATO-Staaten noch die Ukraine ausreichend gewappnet scheinen.