Europawahl 2024
Spitzenkandidatin der FDP Polarisierend, direkt, schlagfertig
Mit dem Label "streitbar" geht sie hausieren: Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl. Ihre Partei dümpelt in Umfragen bei fünf Prozent, und die Listenerste soll das Ruder herumreißen.
Waffenlieferungen sind eine heikle Angelegenheit. Wer wenige hat und trotzdem liefert, schafft Lücken im eigenen Land. Und gibt Kontrolle über die Nutzung dieser Waffen ab.
Die FDP kennt die Überlegungen. Und schickt trotzdem ihre derzeit wohl schärfste Waffe nach Brüssel: Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Die 66-Jährige soll es als Spitzenkandidatin für die Europawahl richten - in einer Zeit, in der die Partei in Umfragen bei fünf Prozent dümpelt. Ausgerechnet sie, die immer wieder weitere Waffenlieferungen an die Ukraine fordert - und sich dafür auch gegen die Regierung stellt, an der ihre Partei beteiligt ist. Oder vielleicht auch gerade deshalb sie? Weil man damit eine Querulantin los wird?
Eine der wenigen sichtbaren FDP-Frauen
"Die Alte nervt", soll der außenpolitische Berater des Kanzlers, Jens Plötner, mal über sie gesagt haben - behauptet jedenfalls Strack-Zimmermann, die das umgehend auf X weiterverbreitete.
Der Kanzlerberater wird nicht der einzige in Deutschland sein, der so empfindet. Strack-Zimmermann weiß das und hat daraus einen Wahlkampfspruch gemacht.
"Nervt, aber richtig", heißt es in einem Werbevideo. "Eurofighterin" steht auf einem ihrer Plakate. Und: "Streitbar in Europa". Streitbar ist sie - polarisierend, direkt, schlagfertig. Und sie ist eine der wenigen sichtbaren Frauen in der FDP überhaupt.
Einerseits steht er für die Listenersten der deutschen Parteien, die bei der Europawahl antreten. Entsprechend dieser Listen werden die Spitzenkandidaten bei ausreichender Stimmzahl als erste für ihre Partei ins EU-Parlament gewählt.
Andererseits steht der mittlerweile europaweit verwendete Begriff für jene Person, die von den europäischen Parteizusammenschlüssen im Europaparlament als Kandidat oder Kandidatin für den Chefposten der "EU-Regierung", den Präsidentenposten der Kommission, nominiert wurde.
Manche Europapolitikerinnen sind beides: Spitzenkandidatin ihrer deutschen Partei und für die Kommissionspräsidentschaft.
MASZ ist eine Marke
MASZ, wie sie ihren langen Namen manchmal abkürzt, ist eine Marke. Hätte man eine Werbeagentur beauftragt, die Verteidigungsexpertin zu inszenieren - sie hätte vielleicht gar nicht so viel anders gemacht. Hochgeknöpfte Bluse, Hosenanzug, Sneaker. Die Haare weiß, kurz, windschnittig zurückfrisiert. Worte wie Ansagen. Alles sitzt. Nüchtern, aber nicht bieder. Eher: militärisch.
Wird man so, weil man den Verteidigungsausschuss leitet, oder leitet man ihn, weil man so wirkt? Strack-Zimmermann lacht, wenn man ihr die Frage stellt. "Es gibt mittlerweile sogar eine Figur von mir bei der Augsburger Puppenkiste, die trägt Uniform, in Flecktarn."
Strack-Zimmermann ist schlagfertig und nimmt sich selbst nicht ganz so ernst. "Humor ist unheimlich wichtig in der Politik", sagt sie. Man könne nicht immer bierernst durch die Republik laufen. Oder fahren. Strack-Zimmermann steigt im Bundestag auch mal auf den Tretroller, um schneller voranzukommen. Und draußen aufs Motorrad - es ist ihr Hobby.
"Oma Courage" auf Tiktok
Mit 66 Jahren könnte sie sich dem eigentlich stärker widmen. Oder es als Großmutter von drei Enkelkindern ruhiger angehen lassen. Stattdessen hat sie sich im Wahlkampf jetzt entgegen anfänglicher Ablehnung einen Account bei Tiktok zugelegt, macht mit beim Kartoffelranking und listet in einem Videoclip auf, welche Kartoffelgerichte sie besonders mag. Pommes mit Ketchup nämlich, gefolgt von Chips.
Es ist der Versuch, auch bei den jungen Wählern anzukommen. 16- und 17-Jährige sind in Deutschland erstmals wahlberechtigt. Also erklärt Strack-Zimmermann jetzt auch in 30-Sekunden-Clips, warum eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik so wichtig ist. Und ist damit wieder bei ihrem Leib- und Magenthema.
"Oma Courage" - mit dem Slogan wollte sie im März noch für sich werben. Das Plakat sollte eine selbstironische Anspielung sein, auf ihr Alter, ihr couragiertes Auftreten und den alten Spruch: "Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa." Weil die EU lange als Abstellgleis für unleidige Politiksenioren galt.
Einziges Problem: "Mutter Courage" ist in Bertolt Brechts gleichnamigem Stück keine Heldin, sondern eine Kriegsprofiteurin. Das hätte gerade die studierte Germanistin wissen müssen. 24 Jahre lang hat sie in einem Kinderbuchverlag gearbeitet, ging erst später in ihrer Heimat Düsseldorf in die Kommunalpolitik, saß im Stadtrat. Erst vor sieben Jahre wechselte sie nach Berlin. Und jetzt nach Brüssel.
Verteidigungspolitik stärken
Ihr Ziel in Europa ist es, die Verteidigungspolitik stärker gemeinsam gestalten. Strack-Zimmermann setzt sich für eine gemeinsame Armee ein. Und sie hat der Kommissionspräsidentin den Kampf angesagt.
Kaum ein Wahlkampfauftritt vergeht, bei dem sie nicht davon spricht, Europa brauche "mehr von der Freiheit und weniger von der Leyen". Der ehemaligen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen wirft Strack-Zimmermann vor, die Bürokratie in Europa weiter vorangetrieben zu haben und sich zu sehr in Details einzumischen.
Was wird Strack-Zimmermann in der EU überhaupt bewirken können? Wieviel wird man noch von ihr hören in Brüssel? Viel, ist sie selbst und sind Parteikollegen überzeugt: Denn wenn eine sichtbar bleibe, dann doch wohl Strack-Zimmermann.
Manche allerdings wären froh, es würde ruhiger um sie. Damit nicht wieder jemand aus einer Regierungspartei für einen Oppositionsantrag zu Waffenlieferungen stimmt - wie Strack-Zimmermann es bei dem Unionsantrag für die "Taurus"-Lieferungen gemacht hat. Nachdem der Kanzler solchen Lieferung eine klare Absage erteilt hatte.
Diesen Einsatz für die Ukraine wird es im Bundestag künftig so nicht mehr geben. Eine laute und deutlich sichtbare FDP-Frau im politischen Berlin auch nicht.