Rechtsextreme Netzwerke "Highscore" für den Christchurch-Attentäter
Weltweit hat der Anschlag von Christchurch Entsetzen ausgelöst. Auf manchen Online-Plattformen wird die Tat hingegen gefeiert. Hunderte Gamer benennen sich sogar nach dem rassistischen Terroristen.
"Invaders must die", "Eindringlinge müssen sterben" - so feiert ein rechtsextremes Online-Lexikon das Attentat von Christchurch. Die Zahl der Toten wird dort als "Highscore" aufgeführt. Der Täter rangiert auf Platz 4 einer Liste, die in Computerspielmanier Amokläufer, Attentäter und Terroristen nach der Anzahl ihrer Opfer bewertet.
Gaming und Rassismus
Die Huldigung von Tätern ist in Online-Communities weit verbreitet. Ein Beispiel ist die vom US-Softwareunternehmen Valve betriebene Gaming-Plattform Steam. Mit nach eigenen Angaben mehr als 100 Millionen registrierten Nutzern ist Steam der weltweit erfolgreichste Online-Gaming-Dienst. Nutzer können dort PC-Spiele kaufen, herunterladen und spielen. Dabei vernetzen sie sich mit anderen Gamern. Die Community tauscht sich hauptsächlich über Spiele aus, es gibt thematische Foren und Gruppen.
Diese werden aber nicht nur zur Diskussion über Spiele verwendet, sondern auch zur Verbreitung rechtsextremer Inhalte, zum Beispiel durch Werbung für das rechtsextreme Online-Netzwerk Reconquista Germanica.
Gruppennamen wie "Waffen-SS" sind in der Steam-Community keine Seltenheit. Dort verehrt man Amokläufer, äußert sich frauenfeindlich und zollt rassistisch motivierten Attentätern Respekt. Beliebt ist zudem die Verwendung der Namen und Fotos von Attentätern als Usernamen und Profilbilder. So auch der des Attentäters von Christchurch.
Mehr als 300 Christchurch-"Fans"
Schon kurz nach dem Attentat in Neuseeland weist der Medienwissenschaftler Christian Huberts in einem Tweet darauf hin, dass Accounts auf Steam den Namen des Attentäters verwenden, um ihm Tribut zu zollen. Auch sein "Manifest" wird geteilt. Huberts fordert Steam auf, dagegen vorzugehen.
Steam äußert sich dazu nicht. Das Online-Gaming-Magazin "Kotaku" geht den Vorwürfen ebenfalls nach und berichtet, dass Steam nach einer Anfrage des Magazins über 100 der betreffenden Nutzerprofile gelöscht habe. Die Namen seien aber nach wie vor über die Suchfunktion auffindbar.
Auch mehr als eine Woche nach dem Attentat finden sich noch Accounts auf den Namen des rechtsextremen Australiers. Es sind weiterhin über 300 Profile, die ihn verwenden oder verwendet haben.
Steams rechtsextreme "Bubble"
Gemessen an der Größe von Steam seien das Ausmaß der Sympathiebekundungen für rechte Attentäter im Vergleich zu anderen Plattformen wie den Image-Boards 4chan und 8chan trotzdem überschaubar, argumentieren der Politikwissenschaftler Maik Fielitz und sein Assistent Stephen Albrecht. Sie forschen zu den Strategien rechter Bewegungen im Netz.
Rechtsextreme Online-Aktivisten könnten bei Steam eine Nische besetzen, weil die Gaming-Community - insbesondere Spiele mit Bezug zum Zweiten Weltkrieg und Ego-Shooter - von jeher auch Spieler anziehe, die Hassbotschaften und fremdenfeindlichen Inhalten gegenüber eher empfänglich seien. Fielitz vergleicht: "Wie andere Plattformen muss auch Steam erst einen Umgang finden, mit massenhaftem Upload von Hassbotschaften zurecht zu kommen."
Deren Verbreitern spiele Steams eher laxer Umgang mit den eigenen Community-Regeln in die Hände. Die würden meist erst strikt umgesetzt, wenn die Plattform in negative Schlagzeilen gerate, so Albrecht.
Im Falle von Steam sei außerdem schwer einschätzbar, ob die Mehrheit der Inhaber der Accounts, die sich nach Attentätern benennen und ihre Bilder verwenden, tatsächlich ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild hätten, oder ob es sich um Trolling und Provokation handele, stellt Albrecht fest und warnt: "Es spielt in die Hände der rechtsextremen Minderheit, sich durch mediale Aufmerksamkeit aufzuwerten."
Vorbild Breivik
Ob nun Provokation oder rechtsextreme Überzeugung - die Verklärung von Anschlägen und Amokläufen auf Steam ist real. Und sie ist nicht neu. Auch andere rechtsextreme Attentäter werden dort bis heute gefeiert - so beispielsweise der Norweger Anders Breivik, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen tötete.
Hunderte Steam-Nutzer aus verschiedenen Staaten von den USA über Skandinavien und Deutschland bis Russland haben sich nach ihm benannt, in ihren Profilen beschreiben sie sich als rassistisch und rechtsextrem.
Radikalisierung auf Steam?
In mindestens einem Fall ist Steam nicht nur der virtuelle Ort, an dem einem Attentäter nach seinem Verbrechen gehuldigt wird. David S., der Attentäter von München, der 2016 neun Menschen erschoss, war selbst auf Steam aktiv und hat sich dort möglicherweise radikalisiert. Wie andere Nutzer hatte auch er sich dort rechtsextrem und rassistisch geäußert.
Trotzdem wird bis heute darüber gestritten, ob seine Tat als rechtsextrem motiviert einzustufen sei. So führte er sie am 22. Juli 2016 aus - genau fünf Jahre nach dem Terroranschlag in Norwegen. Wissenschaftler kamen in Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Tat von David S. politisch motiviert gewesen sei. Das LKA ließ ein Gegengutachten erstellen, wonach es sich nicht um Rechtsterrorismus gehandelt habe.
Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden in dem Fall kritisierte der Politikwissenschaftler Florian Hartleb gegenüber "Vice". Zunehmend gedeihe auch in den Nischen von Plattformen wie Steam eine Subkultur, die von militantem und rassistischem Hass geprägt, höchst interaktiv und darüber hinaus international vernetzt sei.
Der Radikalisierungsprozess von David S. über US-amerikanische Plattformen wie Steam wurde nicht einmal geprüft, geschweige denn diskutiert. Die Umfeldanalysen der Münchner Behörden bezogen sich maßgeblich auf das schulische und familiäre Umfeld von S., und nicht auf den virtuellen Raum, in dem sich 90 Prozent seines Lebens abspielte.
Virtuelle Internationale der Nationalisten
Die Ideologie der Attentäter in den USA, in Norwegen, Deutschland und Neuseeland ähnelt sich stark. Längst haben die Rechtsextremen eine Internationale der Nationalisten etabliert und tauschen sich weltweit aus.
Wie schon Breivik veröffentlichte auch der Attentäter von Christchurch ein "Manifest", in dem sich typische Narrative finden, wie sie bei Rechtsextremen in Europa populär sind. Beide Texte zirkulieren unter anderem auf Steam.
Das Christchurch-"Manifest" nimmt dabei explizit auf Internet- und Gamingkultur Bezug. Der Täter ist bemüht zu zeigen, dass er die Diskurse der Szene versteht und stellt sich gezielt als Teil der Subkultur dar, um deren Anerkennung er buhlt.
Hass aus dem Netz im "real life"
So ist die Inszenierung der Tat für die Verbreitung über soziale Medien optimiert: Der Attentäter von Christchurch streamte seine Tat über eine Helmkamera live auf Facebook - ein Blickwinkel, den der Betrachter aus der Gaming-Szene von Ego-Shooter-Spielen gewohnt ist.
In der Wochenzeitung "Der Freitag" analysiert Politikwissenschaftler Fielitz, dass jeder Schritt des Christchurch-Attentäters mit Andeutungen auf digitale Memekulturen verbunden gewesen sei. Die Gewalt, die ansonsten online verbreitet werde, habe der Täter auf die Straße getragen und sich Nachahmung "aus den Untiefen rechter Netzwelten" gewünscht. Das sei ihm gelungen. "Viele folgten seiner Anweisung und produzierten im Minutentakt Bilder, Texte und Videos, die den Täter als glorreichen Kämpfer huldigen."
Sicherheitsbehörden müssten daraus Konsequenzen ziehen und ein Verständnis für radikalisierende Versatzstücke von Spielkulturen entwickeln, so Fielitz gegenüber tagesschau.de. Gleichzeitig dürfe nicht die gesamte Gaming-Community stigmatisiert werden.
Auch Christchurch-Attentäter auf Steam?
Inzwischen verbreitete der Soziologe Roland Sieber über Twitter, er habe das Steam-Profil des Attentäters von Christchurch identifiziert. Dieser sei Mitglied der Gruppe "White Power Australia" gewesen und habe im Jahr 2015 unter dem Namen "Adolf Hi..." gespielt.
Das betreffende Profil existiert nach wie vor. Kommentare auf dem Profil vom Tag des Anschlags enthalten Herzen, den Namen des Attentäters und bezeichnen ihn als "good guy". Der Nutzer war eine Woche zuvor zum letzten Mal online. Zweifelsfrei überprüfbar ist seine Identität nicht. Valve äußerte sich nach einer Anfrage von tagesschau.de nicht zu dem Sachverhalt.
Ob der Attentäter von Christchurch wirklich auf Steam aktiv war, ist also nicht klar. Spuren hinterlässt seine Tat dort aber in jedem Fall.