Blick auf die syrische Stadt Duma
Hintergrund

Krieg in Syrien Irreführende Berichte zu Angriffen in Duma

Stand: 09.04.2020 16:09 Uhr

Noch immer versucht Russland, den mutmaßlichen Einsatz von Chlorgas im syrischen Duma als pure Inszenierung abzutun. Dafür wurden nun Tweets eines BBC-Mitarbeiters verkürzt zitiert.

Von Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder

Der Krieg in Syrien hat große Teile des Landes verwüstet, Hunderttausende Menschen wurden getötet, Millionen sind bis heute auf der Flucht.

Die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Unabhängige Internationale Untersuchungskommission dokumentierte zwischen 2013 und Ende 2017 mehr als 30 Chemie-Attacken in dem Land. Mindestens 25 davon seien durch das syrische Militär ausgeführt worden, bei den restlichen seien die Verantwortlichen nicht eindeutig zu ermitteln.

Screenshot Dokumentation über Angriffe mit chemischen Waffen in Syrien

Die meisten dieser Attacken werden kaum noch thematisiert, ein Vorfall aus dem Jahr 2018 sorgt hingegen bis heute für internationales Aufsehen. So wird weiterhin darüber gestritten, was in Duma am 7. April des vergangenen Jahres geschah.

Verschiedene Behauptungen

Russland und Syrien behaupteten unter anderem, es habe dort gar keine Angriffe oder zumindest keinen Einsatz von Gas gegeben. Oder das Giftgas sei von Rebellen benutzt worden, um solche Attacken der syrischen Armee anzulasten.

Zudem wird immer wieder behauptet, Aufnahmen von Opfern seien inszeniert worden. So berichtete der russische Staatssender "Russia 1" am 9. April 2018 in seiner Hauptnachrichtensendung über ein professionelles Filmset, das Rebellen eingerichtet hätten. Als vermeintlichen Beweis präsentierte "Russia 1" Aufnahmen, die allerdings die Produktion eines vom syrischen Staat geförderten Propagandastreifens mit dem Namen "Revolution Man" zeigen.

Exklusiv-Interview mit einem Kind

Ende April 2018 präsentierte Russland in Den Haag verschiedene Zeugen aus Syrien, darunter einen elfjährigen Jungen. Sie sagten aus, es habe keinen Giftgasangriff in Duma gegeben.

Zuvor hatte ein Reporter des russischen Staatssenders das Kind exklusiv interviewt - angeblich ohne dass das Militär damit zu tun gehabt habe. Faktenchecker fanden allerdings heraus, dass das Interview auf dem Gelände einer Militäreinrichtung in Damaskus stattfand.

Zitat eines BBC-Producers

Seit einigen Tagen zitieren russische Medien nun Tweets eines BBC-Producers für Syrien. Die russische Botschaft in London twitterte, der BBC-Mitarbeiter habe behauptet, die "Assad-Sarin-Attacke" in Duma sei inszeniert gewesen.

Diverse russische Medien und Blogs übernahmen die Behauptung. Britischen und deutschen "Mainstreammedien" wird vorgeworfen, die vermeintliche "Breaking News" zu verschweigen.

Kein Einsatz von Sarin

Doch eine "Breaking News" liegt nicht vor. Denn die russische Botschaft zitierte den BBC-Producer verkürzt. Er hatte nämlich getwittert, er halte zwar Aufnahmen aus einem Krankenhaus in Duma für inszeniert, der Angriff habe aber definitiv stattgefunden. Seiner Meinung nach wurde kein Sarin eingesetzt, sondern möglicherweise Chlorin oder ein anderer Kampfstoff. Der Abschlussbericht der OPCW würde dies klären.

In einem Zwischenbericht hatte die OPCW bereits im Juli 2018 mitgeteilt, dass Experten an zwei Stellen in Duma Chlorgas nachgewiesen hätten, aber kein Sarin. Frankreich hatte am 12. April 2018 mitgeteilt, man habe Beweise für den Einsatz von Chlorgas durch das syrische Regime in Duma.

Opfer von Angriff in Duma

Dieses Bild soll nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Duma aufgenommen worden sein und zahlreiche Opfer zeigen. Russland und Syrien behaupten, der Einsatz von Chemiewaffen sei inszeniert.

Zuvor hatte das Recherchenetzwerk "Bellingcat" eine Untersuchung von Social-Media-Videos und Ergebnisse von Befragungen veröffentlicht. Das Ergebnis: Es sei höchstwahrscheinlich, dass syrische Hubschrauber Chlorgasbomben auf den Ort abgeworfen hätten. Diese seien von dem nahegelegenen Luftwaffenstützpunkt Dumayr aus in Richtung Duma gestartet. Die Aussage, es sei kein Sarin eingesetzt worden, ist also nicht neu, sondern bestätigt vielmehr vorliegende Befunde.

Keine Belege

Für seine Behauptungen bezüglich der Aufnahmen aus dem Krankenhaus legte der BBC-Producer zudem keine Beweise vor. Zweifel an der Authentizität der Aufnahmen wurden immer wieder geäußert. Ein neuer Sachstand ergibt sich aus den Tweets des BBC-Producers also nicht.

Das von der Hilfsorganisation Weißhelme veröffentlichte Foto zeigt einen kleinen Jungen, der sich eine Atemmaske auf das Gesicht drückt, neben ihm ein junges Mädchen.

Als Beleg für ihre Berichte über den Einsatz von Chemiewaffen veröffentlichten die Weißhelme Fotos von Patienten, die gegen die Symptome wie Atemnnot kämpfen. Unter anderem Russland bezeichnet die Aufnahmen als inszeniert.

Mischung aus Panik und Propaganda

Wie komplex die Aufklärung der Vorfälle tatsächlich ist, macht der Journalist James Harkin in einem Essay zu den Angriffen vom 7. April deutlich. Er stellt fest, dass selbst unter Augenzeugen unklar sei, was sich in Duma genau zugetragen habe. Klar sei, es habe an diesem Tag mindestens einen Chemieangriff gegeben - und als Angreifer komme nur die syrische Armee in Frage.

Der Journalist beschreibt Verschwörungstheorien und digitale Propaganda - unter anderem durch russische Staatsmedien - und vertritt die These, dass das syrische Regime auch in Duma Chlorgas eingesetzt habe. Allerdings nicht mit dem Ziel, möglichst viele Menschen zu töten, sondern um sie zu terrorisieren und in Panik zu versetzen. Die Szenen aus dem Krankenhaus sind Harkins Recherchen zufolge eine Mischung aus Panik und Propaganda: Zu sehen seien die Folgen der Angriffe mit Chlorgas sowie dramatische Bilder, die Aktivisten aufgenommen hätten.

Auch wenn weiterhin unklar ist, wie die Aufnahmen in dem Krankenhaus zustande kamen und was exakt am 7. April 2018 geschehen ist, so sprechen die vorliegenden Informationen eindeutig dafür, dass die syrische Armee in Duma Chlorgas eingesetzt hat - so wie in anderen von der OPCW dokumentierten Fällen ebenfalls.