Chemiefabrik-Brand in Frankreich Angst, Fake News und Misstrauen
Ein Feuerball, tote Vögel, braunes Leitungswasser: Nach dem Feuer in einer Chemiefabrik in Frankreich kursieren Fakes und Gerüchte. Die Behörden stehen wegen angeblich fehlender Transparenz unter Druck.
Gerüchte und gezielte Falschmeldungen verbreiten sich insbesondere in unübersichtlichen Situationen, nach Ereignissen, die Menschen verunsichern. Beispielsweise nach Attentaten schlägt die Stunde der Fake News, aber auch nach Unglücken wie in Nordfrankreich vergangene Woche.
Dort war in der Nacht auf Donnerstag in einer Chemiefabrik ein Feuer ausgebrochen. Schwarze Rauchwolken stiegen in der Normandie auf. Was vielen Menschen besondere Sorge bereitete: Die Fabrik wird von den Behörden als gefährliche Produktionsstätte eingestuft. Schulen und andere Einrichtungen blieben geschlossen, der Innenminister reiste umgehend in den Norden des Landes - wohl auch um zu zeigen, dass das Feuer nicht unterschätzt werde.
Falsches Video
Die Verunsicherung wurde in sozialen Medien aber gezielt angeheizt: Auf Twitter verbreitete ein Nutzer ein Video, das den Brand zeigen sollte. Zu sehen war ein riesiger Feuerball. Die Aufnahmen stammten allerdings weder aus Frankreich, noch aus dem Jahr 2019, sondern wurden 2015 in China aufgenommen. Eine gängige Methode, um gezielt Falschmeldungen zu verbreiten: Vorhandene Fotos oder Videos werden aus ihrem Kontext gerissen und als neu verkauft.
Zwar stellten verschiedene Faktenchecker fest, dass es sich um eine irreführende Darstellung handelte, doch kleinere Medien übernahmen die Fälschung offenbar zunächst. Das Twitter-Konto des Urhebers sowie das Video wurden mittlerweile gesperrt.
Gerüchte über vergiftetes Leitungswasser
Viele Menschen hatten sich nach dem Brand zudem gefragt, ob sie weiterhin das Leistungswasser trinken könnten. Auf Snapchat sowie Facebook und Twitter kursierten Gerüchte, das Wasser sei nicht mehr genießbar.
Angeblich sei diese Warnung von den Behörden gekommen - doch die dementierten diese Meldungen umgehend. Offizielle Vertreter versicherten, es sei unmöglich, dass das Wasser durch das Feuer braun geworden sei.
Sogar gefälschte Schreiben tauchten auf, denen zufolge das Wasser angeblich nicht mehr genießbar sei, wie Medien berichteten.
Foto von toten Vögeln sorgt für Aufsehen
Für Aufsehen sorgte ein Foto, das zwei tote Vögel zeigt. Das Bild an sich scheint zwar authentisch zu sein, allerdings wurden in sozialen Netzwerken immer mehr Details dazu erfunden. So wurden laut Medienberichten aus zwei Vögeln, die aus unbekannten Gründen tot am Boden lagen, Gerüchte über angeblich dutzende Tiere, die tot vom Himmel gefallen seien.
Kritik an Informationspolitik
Die Gerüchte und Sorgen sowie die Informationspolitik der Behörden lösten mittlerweile einen politischen Streit aus. Fast eine Woche nach dem Großbrand demonstrierten mehr als 2000 Bürger in Rouen für eine sofortige Aufklärung, Umweltschützer warfen den Behörden Vertuschung vor.
Wie die Präfektur nach massivem öffentlichem Druck bekannt gab, gingen mehr als 5200 Tonnen Chemikalien in Flammen auf. Die Regierung ordnete am Mittwoch zusätzliche Kontrollen in gefährdeten Werken an.
Viele Menschen erinnert das Vorgehen der Behörden an den Super-GAU im Atomkraftwerk Tschernobyl 1986. Damals hieß es offiziell, die radioaktive Wolke habe an der französischen Grenze Halt gemacht. Auch die französischen Anti-Terror-Gesetze verhindern Medien zufolge die Aufklärung: Danach können Chemiefirmen verwendete Substanzen geheim halten, wenn Anschläge befürchtet werden. Für Misstrauen in Rouen und Umland sorgen faulige Gerüche und der schwarze Ruß, der sich über Häuser, Gärten und Felder gelegt hat.
"Regierung hat bei Kommunikation versagt"
Die Tageszeitung "Libération" kommentierte, es sei zwar "verständlich, dass die Verantwortlichen eine Panik oder allgemeinen Evakuierung vermeiden wollten". Es sei aber "schwer zu verstehen, warum es so lange dauert, um Details über die in der Luft verteilten Stoffe und ihre Gefährlichkeit zu erfahren" - und warum einige Feuerwehrleute und Polizisten ohne "die geringste Schutzausrüstung zum Einsatzort entsandt wurden". Die Regierung habe bei der Kommunikation versagt. In der Nationalversammlung ist mittlerweile von einem Untersuchungsausschuss die Rede.
Der ARD-Korrespondent Marcel Wagner erklärt, ein Problem sei gewesen, dass die Nachrichten in der vergangenen Woche "komplett durch den Tod des früheren Präsidenten Jacques Chirac dominiert waren. Das hat vielen Betroffenen den Eindruck vermittelt, die Politik würde etwas verheimlichen wollen".
"Tatsächlich hat es gut fünf Tage gedauert, bis etwa die Liste sämtlicher Produkte, die bei dem Feuer verbrannt sind, veröffentlicht worden ist", sagt Wagner. Die Behörden dokumentierten zudem auch die Ergebnisse der Messungen möglicher Giftstoffe, die bislang keine Gesundheitsgefährdung ergeben hätten.
Die Regierung habe offen eingeräumt, "dass manche Messergebnisse, etwa was Dioxine angeht, noch gar nicht vorliegen oder Langzeitwirkungen unter Umständen gar nicht bekannt sind", sagt der ARD-Reporter. "Der Vorwurf, die Regierung handle nicht transparent oder wolle gar etwas verheimlichen, lässt sich seiner Einschätzung nach kaum halten.
ARD-Korrespondent Wagner meint, die Regierung handele durchaus transparent.
Langfristige Auswirkungen noch unklar
"Allerdings heizen politisch motivierte Attacken der Opposition auf die Regierung und ihre Kommunikation die Unsicherheit weiter an", erklärt Wagner. "Und nach aktuellem Stand ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Brand mittel- oder langfristig doch gesundheitsschädigende Auswirkungen haben könnte."