Nach Giftgas-Angriff in Syrien Wie die OPCW Sarin nachweist
Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen hat den Angriff im syrischen Chan Scheichun untersucht. Der Einsatz von Giftgas sei "unbestreitbar". Doch wie wird Sarin eingesetzt und wie prüft die Organisation?
Noch immer ist strittig, wer hinter dem Angriff im syrischen Chan Scheichun mit 86 Toten steckt. Die Internationale Organisation für das Verbot von Chemiewaffen hat den Vorfall nun analysiert. Die OPCW untersuchte biologische Proben von zehn Opfern des Angriffs in Chan Scheichun. Die Experten kamen zu dem Schluss: Ja, es wurde Giftgas eingesetzt. Das sei "unbestreitbar". Es sei Sarin oder eine ähnliche Substanz eingesetzt worden. Angaben zu den Tätern machte die OPCW dabei nicht.
Sowohl unter dem Beitrag zum Thema auf Facebook, als auch in den Kommentaren zum Beitrag auf tagesschau.de finden sich skeptische Äußerungen, die vor allem zwei Punkte kritisch hinterfragen: Zum einen wird angemerkt, dass die Ersthelfer vor Ort keine Schutzkleidung trugen und sich somit unweigerlich selbst hätten vergiftet müssen. Zum anderen wird das Ergebnis der Kontrolleure der OPCW generell in Frage gestellt. ARD-faktenfinder hat deshalb bei dem Chemiewaffenexperten und langjährigen leitenden Mitarbeiter der OPCW, Ralf Trapp, nachgefragt.
Wie wird Sarin als Kampfstoff eingesetzt?
Sarin ist eine Flüssigkeit - der Siedepunkt der reinen Verbindung liegt bei 158 Grad C. Es zählt zu den gefährlichsten Nervengasen. Selbst das Einatmen einer niedrigen Konzentration kann innerhalb weniger Minuten zum Tod führen. Eine Luftvergiftung ist in der Regel die Folge einer explosiven Freisetzung oder eines gezielten Versprühens der Substanz.
Chemische Waffen enthalten laut Trapp in der Regel eine kleine Menge Sprengstoff, die so dimensioniert ist, dass sie die Granate (oder Bombe) zerlegt und das Sarin in die Luft versprüht. Die Menge an Sprengstoff ist aber gleichzeitig so bemessen, dass der chemische Kampfstoff nicht verbrannt wird. Es gibt auch alternative Waffen, die so konstruiert sind, dass sie den Kampfstoff in die Umgebungsluft versprühen. Nach allen verfügbaren Berichten aus Chan Scheichun nach dem 4. April geht der Experte Trapp davon aus, dass die Mehrzahl der Opfer über die Atemluft kontaminiert wurde.
Ralf Trapp ist Chemiker und Toxikologe. Er war langjähriger leitender Mitarbeiter der Organisation für das Verbot der Chemischen Waffen (OVCW) und ist heute unabhängiger Berater zu Abrüstungsfragen. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Nachweis und die Kontrolle von chemischen und biologischen Kampfstoffen.
"Eine Entgiftung mit Wasser ist sinnvoll"
Spezialeinheiten in der Armee und Ersthelfer der Feuerwehr oder medizinischer Dienste sind für den Fall des Einsatzes chemischer Kampfstoffe natürlich mit Schutzmaske und vollem Schutzanzug mit Handschuhen ausgestattet. Sowohl in Chan Scheichun - als auch bei dem Giftgas-Einsatz in Ghuta im Jahr 2013 - waren solche Schutzmittel für die Bevölkerung nicht verfügbar: "Was man nicht hat, kann man nicht anziehen", so Trapp. "Wir haben dieselben Szenen 2013 in Ghuta gesehen, mit vergifteten Leuten, die per Auto in Hospitäler gebracht und dort mit Wasserschläuchen entgiftet wurden. Dass in Ghuta Sarin in erheblichen Mengen eingeseztz wurde, steht außer Zweifel." Sarin ist eine wasserlösliche Substanz. "Eine Entgiftung mit Wasser ist durchaus wirksam, wenn man genug davon hat", so Trapp.
Es sei richtig, vor Ort Opfer einer Sarinvergiftung mit Wasser oder besser karbonisiertem Wasser behelfsmäßig zu entgiften. Zwar sind sekundäre Vergiftungen der Helfer, wenn diese nicht selbst geschützt sind, dabei durchaus möglich. Eine behelfsmäßige Dekontamination mit Wasser verringert aber das Risiko und die Schwere solcher Sekundärvergiftungen.
Sarin noch nach Wochen im Blut nachweisbar
Die Aussage der OPCW, dass in den biologischen Proben von Opfern aus Chan Cheichun Sarin oder ein dem Sarin verwandtes Nervengas nachgewiesen wurde, kann nach Meinung Trapps als gesichert angesehen werden. Sarin und ähnliche Nevenkampfstoffe verblieben nach einer Vergiftung noch über längere Zeit - einige Wochen - an Einweißmolekülen und DNS gebunden im Blut.
OPCW arbeitet mit geprüften Labors
Die OPCW kann bei ihren Untersuchungen von Proben auf ein internationales Netzwerk von Labors zurückgreifen. Laut Trapp sind diese Vertrauenslabors regelmäßig damit befasst, die zum Nachweis von chemischen Kampfstoffen nötige Analytik zu trainieren. Zudem müssten die Labors ihre Fachkompetenz und Qualitätsstandards in offiziellen Ringversuchen regelmäßig nachweisen, um von der OPCW akzeptiert zu werden.
Die Methoden im Falle eines zu untersuchenden Chemiewaffeneinsatzes seien ausführlich erprobt, so Trapp: von der Probenahme über Probentransport und Vorbereitung bis zur Analytik und Berichterstattung. Die Verfahren zur Qualitätssicherung ensprächen damit höchsten Standards.
Proben und Kontrollproben werden untersucht
Neben den Originalproben werden in den Labors auch sogannte Kontrollproben eingereicht. Die Labors wissen dabei nicht, welche der Proben tatsächlich von einer Untersuchung eines aktuellen Falls stammen und welche Proben zur Qualitätskontrolle beigefügt wurden.
Bei der Präsentation der jüngsten Untersuchen teilte OPCW-Chef Ahmet Üzümcü mit, die Proben der Opfer aus Chan Scheichun seien in vier Labors unabhängig voneinander untersucht worden. Das werde gemacht, so Trapp, um etwaige Unstimmigkeiten zwischen den Ergebnissen verschiedener Labors aufklären zu können und Ergebnisse, die fälschlicherweise auf einen Kampfstoff hinwiesen, auszuschließen.
Untersuchung vor Ort ermöglicht weitere Analysen
Die OPCW kündigte in Den Haag weitere Einzelheiten zu den Laboruntersuchungen an. Zudem stünde ein OPCW-Team bereit, um vor Ort weitere Analysen vorzunehmen und Proben zu nehmen - "sollte die Sicherheitslage es erlauben".
Neben der Untersuchung von biologischen Proben der Opfer sieht auch Trapp eine große Chance in der Untersuchung von Umweltproben aus Chan Scheichun. Dazu zählten beispielsweise Bodenproben an der Einschlagsstelle oder Proben etwaiger Munitionsreste. Zusammen mit anderen Daten wäre es damit denkbar, den genauen Hergang der Sarin-Freisetzung zu rekonstruieren, so Trapp. Zudem wäre es so möglich, "forensische Informationen über das freigesetzte Nervengas zu bekommen und unter Umständen nachweisen zu können, aus welcher Quelle es stammte oder zumindest, nach welchem Verfahren es hergestellt wurde."
Denn bei einer direkten Untersuchung des eingesetzten Kampstoffes sei es möglich, Verunreinigungen und Zusatzstoffe nachzuweisen und, falls solche verfügbar sind, mit früheren Proben zu vergleichen. "Diese Art der analytischen Untersuchung ist an den biologischen Proben der Opfer wie Blut, Urin und Gewebeproben nicht möglich."