
Desinformation Wie mit dem digitalen Euro Ängste geschürt werden
Die Vorbereitungsphase für die Einführung einer europäischen digitalen Währung soll im Herbst enden. Für Verschwörungsideologen ein Untergangsszenario. Dabei sind die Pläne noch gar nicht abgeschlossen
Eine "digitale Diktatur", mit der "andere Meinungen sanktioniert" und letztendlich eine "Weltregierung" geschafft werden solle: Wenn man den zahlreichen verschwörungsideologischen Kanälen in den sozialen Netzwerken glauben schenken würde, wurde im März der Untergang der Welt, wie wir sie kennen, beschlossen. Der Grund: Eine Rede der Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, über den digitalen Euro.
Allerdings wird diese Rede bereits von vielen der Weltuntergangsapologeten falsch wiedergegeben. Denn anders als von vielen behauptet, kündigte Lagarde nicht die Einführung des digitalen Euros bereits für Oktober an. Lediglich die Vorbereitungsphase würde sie gerne bis Oktober abschließen. Das ist allerdings deutlich weniger überraschend, als es in den sozialen Netzwerken behauptet wird. Denn das Ende der Vorbereitungsphase, die im Oktober 2023 von der EZB eingeleitet wurde, war für Ende dieses Jahres vorgesehen. Vor der Vorbereitungsphase gab es bereits eine zweijährige Untersuchungsphase.
Das Ende der Vorbereitungsphase bedeutet jedoch nicht, dass der digitale Euro auch direkt eingeführt wird. Vielmehr startet im Anschluss die finale Phase, bei der die potentielle Entwicklung und Umsetzung der Anwendungsfälle für den digitalen Euro erarbeitet werden soll. "Da wird dann sozusagen die Einführung vorbereitet", sagt Christoph Schneider, Professor für Finance an der Universität Münster. Die Implementierung des digitalen Euros sei frühestens ab dem Jahr 2027 geplant.
Rahmenbedingungen müssen noch ausgestaltet werden
Da sich die Planungen für den digitalen Euro bislang in der Vorbereitungsphase befinden und die EU die entsprechenden Gesetze dafür in die Wege leiten muss, sind viele Aspekte noch nicht abschließend beschlossen und werden noch verhandelt. "Das ist ein wichtiger Punkt: Die EU muss zunächst einmal die rechtliche Grundlage schaffen und der EZB sozusagen das Mandat geben, das zu machen", sagt Peter Tillmann, Wirtschaftswissenschaftler an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Viel hänge daher davon ab, wie die EZB den digitalen Euro in Abstimmung mit den Banken ausgestaltet. Es sei geplant, dass die Sparerinnen und Sparer nicht direkt mit der EZB zu tun haben, sondern über ihre Hausbank Zugriff auf den digitalen Euro erhalten, so Tillmann.
"Was mich an diesen Verschwörungserzählungen ein bisschen irritiert, ist die Tatsache, dass die EZB wenn sie es unbedingt wollte, die Einführung ja übers Bein brechen könnte", sagt Schneider. "Aber wenn man sich mal diesen Zeitplan anschaut, dann sieht man wie viel Zeit sie sich nehmen, um den digitalen Euro einzuführen. Zudem ist bislang noch nichts endgültig entschieden worden."
Zahlreiche Zentralbanken planen Einführung
Im Netz wird jedoch bereits unter anderem behauptet, durch den digitalen Euro würden Steuern zukünftig einfach direkt abgebucht werden können. Tillmann hält das jedoch für äußerst unwahrscheinlich. "Erst einmal ist die EZB und der digitale Euro getrennt von staatlichen Stellen. Also der Staat hat überhaupt gar keine Zugriffsmöglichkeiten." Die EZB wiederum habe keine Steuerbefugnis.
Lars Hornuf, Professor für Finanzwirtschaft und Finanztechnologie an der TU Dresden, weist zudem darauf hin, dass der automatisierte Steuereinzug bereits heute technisch möglich sei und aus Bequemlichkeit tatsächlich häufig stattfinde. "Allerdings gibt es keinen gesetzlichen Rahmen dafür, dass Steuern ohne Zustimmung der Steuersubjekte automatisiert eingezogen würden. Und eine andere gesetzliche Regelung ist für den digitalen Euro bislang nicht vorgesehen."
Generell hänge viel davon ab, wie anonym der digitale Euro am Ende ausgestaltet werde, sagt Hornuf. Das sei vor allem eine technische Frage. Je anonymer der digitale Euro, desto höher der Datenschutz. Allerdings würde es dadurch auch schwerer werden, illegale Machenschaften nachzuverfolgen.
Die Experten verweisen zudem darauf hin, dass der digitale Euro lediglich als Alternative zum Bargeld und anderen digitalen Anbietern eingeführt werde. "Es wird niemand dazu gezwungen werden, den digitalen Euro zu nutzen", sagt Tillmann. Hinzu komme, dass die EZB nicht die einzige Zentralbank ist, die solche Pläne hat. Der Seite "CBDC Tracker" zufolge prüfen weltweit mehr als 100 Länder und Währungsunionen die Einführung von digitalem Zentralbankgeld, in einigen Ländern wurde es sogar bereits eingeführt.
Bargeld soll nicht abgeschafft werden
Dass mit der Einführung des digitalen Euros das Bargeld abgeschafft wird - wie in den sozialen Netzwerken behauptet -, ist laut der Experten nicht vorgesehen. Auch die EZB schreibt auf ihrer Seite, dass der digitale Euro das Bargeld ergänzen würde, aber nicht ersetzen. "Bargeld würde im Euroraum weiterhin zur Verfügung stehen, ebenso wie die anderen privaten elektronischen Zahlungsmittel, die derzeit verwendet werden", so die EZB.
Hinzu kommt, dass weder die EZB noch die EU die Bargeldausgabe so einfach einstellen könnten, sagt Hornuf. Denn damit wären erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen verbunden. Außerdem bräuchte es dafür politische Mehrheiten in den Mitgliedsstaaten. Das Bargeld ist derzeit auf EU-Ebene rechtlich auf Verfassungsebene verankert. Die EU hatte zudem mehrmals angekündigt, Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel zu stärken. Die EZB arbeitet an einer neuen Generation von Euro-Banknoten, die voraussichtlich in einigen Jahren eingeführt werden sollen.
Verschwörungserzählungen schon recht alt
Behauptungen, dass das Bargeld abgeschafft oder über Zahlungsweisen wie den digitalen Euro eine staatliche Überwachung eingeführt werden soll, sind alles andere als neu. Sie finden sich bereits in alten Verschwörungsnarrativen wieder. "Die Erzählung, dass bestimmte dunkle Mächte Kontrollmittel einführen möchten, gerade hinsichtlich Geld und Finanzmitteln, sind schon recht alt", sagt Jan Rathje, Senior Researcher beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS).
Schon in den Protokollen der Weisen von Zion werde unterstellt, dass Jüdinnen und Juden insgeheim die Ausgabe von Papiergeld befördern würden, welches nicht an den Goldstandard gebunden sei, erläutert Rathje. Die Protokolle der Weisen von Zion sind ein weit verbreitetes antisemitisches Pamphlet, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand.
Rathje hält es durchaus für sinnvoll, sich kritisch mit digitalen Währungen auseinanderzusetzen, doch müsse dies auf faktischer Ebene und nicht im Rahmen von Verschwörungserzählungen stattfinden. Verschwörungserzählungen spielten im Gegensatz zu legitimer Kritik auf vermeintlich existierende geheime Pläne einer boshaften Elite an.
Welche Risiken Digitalwährungen bergen können, zeigen autoritäre Staaten wie China. Dort werden Apps wie WeChat zum Bezahlen genutzt, die von der chinesischen Regierung als Instrument zur Überwachung eingesetzt werden. Auch Elon Musk hat Bestrebungen eine Digitalwährung auf seiner Plattform X einzuführen.
Skepsis gegenüber staatlicher Kontrolle
Verschwörungserzählungen und falsche Behauptungen zum digitalen Euro werden aus unterschiedlichen Kreisen verbreitet. Akteure, die Finanzanlagetipps geben, machen Stimmung gegen den digitalen Euro, ebenso wie Akteure aus rechtslibertären oder verschwörungsideologischen Kreisen. Sie alle eint Rathje zufolge die Skepsis gegenüber staatlicher Kontrolle.
"Es gibt durchaus Streitigkeiten zwischen diesen unterschiedlichen Lagern und unterschiedliche Positionen zueinander. Sie haben unterschiedliche Hintergründe und Motivationen, aber sie können sich zumindest auf das Feindbild einigen", so der Politikwissenschaftler.
Unterkomplexe Antworten
Auch die AfD lehnt den digitalen Euro "strikt" ab und setzt sich immer wieder für den Erhalt des Bargelds ein - auch wenn es gar nicht abgeschafft werden soll. Im aktuellen Parteiprogramm heißt es: "Unser Bargeld ist in Gefahr." Mit der Unterstützung von Bundesregierung, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank werde seine schleichende Abschaffung betrieben, was Staat und Banken die "totale Kontrolle" eröffne. Mit Einführung des digitalen Euros seien "Vollüberwachung und Steuerung bis hinein in private, ja intime Lebensbereiche [...] buchstäblich vorprogrammiert".
Das zeige laut Rathje die rechtslibertäre Position der Partei, die allgemein eine Skepsis gegenüber supranationalen Institutionen und Zusammenschlüssen wie der Europäischen Union und somit auch mit ihr verbundenen Zahlungsmittel hege. Die AfD nutze hier ebenso wie andere Akteure die Komplexheit des Themas, um Ängste zu schüren und unterkomplexe Lösungen oder Weltbilder zu präsentieren, so Rathje.