
Kriminalstatistik Falsche Berechnungen zur Ausländerkriminalität
Mit statistisch unsinnigen Zahlenvergleichen probieren nicht nur Rechtspopulisten immer wieder, eine angeblich höhere Kriminalitätsneigung von Ausländern zu beziffern. Auch zwei Bundesländer haben sich nun vertan.
"Obwohl im Bundesland X nur Y Prozent Ausländer leben, machen diese einen viel höheren Anteil der Tatverdächtigen aus!" - ist wohl eine der gängigsten Behauptungen, wenn jemand versucht zu beziffern, wieviel "krimineller" in Deutschland lebende Ausländer sein sollen.
Der Denkfehler: Um in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) als Tatverdächtiger erfasst zu werden, muss ein "Nichtdeutscher" keineswegs zur ausländischen Wohnbevölkerung gemäß Melderegister gehören. Der in der Kleinstadt Guben geschnappte Autoschieber auf der Rückfahrt nach Osteuropa gehört genauso zu den Nichtdeutschen in der Brandenburger PKS, wie der in Duisburg gefasste Drogenkurier aus den Niederlanden die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen in Nordrhein-Westfalen erhöht. Beide gehören aber nicht zu den in diesen Bundesländern wohnhaften Ausländern.
Die "Tatverdächtigenbelastungszahl" der Deutschen
Für Deutsche gibt das Bundeskriminalamt (BKA) in seiner jährlichen Kriminalstatistik für ganz Deutschland eine sogenannte Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ) an. Dabei wird die Zahl der deutschen Tatverdächtigen dividiert durch die Gesamtzahl der Einwohner mit deutscher Staatsangehörigkeit am Stichtag 31.12. des Vorjahres. Betrachtet werden jeweils nur Personen, die mindestens acht Jahre alt sind. Um zu viele Nachkommastellen zu vermeiden, wird diese Bruchrechnung nicht als Prozent (also pro Hundert) dargestellt und dafür mit 100 multipliziert, sondern auf 100.000 Einwohner normiert - also mit 100.000 multipliziert.
In der PKS 2023 (die für 2024 wird erst im April veröffentlicht) waren das 1.983 deutsche Tatverdächtige pro 100.000 Einwohner, jeweils im Alter ab acht Jahren. Als Prozentwert wären das also 1,983 Prozent. Demnach wurde etwa jeder fünfzigste Deutsche der Altersgruppe "Ü7" im Jahr 2023 als Tatverdächtiger für eine oder mehrere in Deutschland begangene Straftaten ermittelt.
Keine "TVBZ Nichtdeutscher" beim BKA
Für Nichtdeutsche gibt das Bundeskriminalamt (bislang) keine Tatverdächtigenbelastungszahl an und begründet das auch regelmäßig in ihren Veröffentlichungen der Kriminalstatistiken.
In der PKS 2023 heißt es beispielsweise: "Für die nichtdeutschen Tatverdächtigen wird keine Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ) berechnet, da die Bevölkerungsstatistik bestimmte Ausländergruppen, die in der PKS als nichtdeutsche Tatverdächtige gezählt werden, wie beispielsweise Personen ohne Aufenthaltserlaubnis, Touristinnen und Touristen, Durchreisende, Besucherinnen und Besucher, Grenzpendlerinnen und Grenzpendler sowie Stationierungsstreitkräfte, nicht enthält."
Dazu würden auch der Autoschieber und der Drogenkurier aus obigem Beispiel gehören - "Durchreisende und Besucher" also, deren Aufenthaltszweck vor allem in der Begehung von Straftaten besteht. Aber auch Touristen, die ohne oder mit dem falschen Fahrschein erwischt und angezeigt wurden. Sie alle erhöhen die Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger in Deutschland, ohne aber zur ausländischen Wohnbevölkerung zu gehören. Hinzu kommen "Personen ohne Aufenthaltserlaubnis", die später noch thematisiert werden.
Die Ablehnung des BKA ist einleuchtend: Wenn man den Anteil Tatverdächtiger unter den in Deutschland gemeldeten, ausländischen Einwohnern berechnen will, müssen die Tatverdächtigen auch zu genau diesen, in Deutschland gemeldeten, ausländischen Einwohnern gehören.
LKA mit vermeintlicher TVBZ für Nichtdeutsche
Trotz der BKA-Warnhinweise: Seit vergangenem Jahr werden für die Kriminalstatistiken der Bundesländer auch Tatverdächtigenbelastungszahlen für Nichtdeutsche wohl zumindest berechnet. Ob diese auch veröffentlicht werden, scheint den Landeskriminalämtern überlassen zu sein - in ihren bisher präsentierten Kriminalstatistiken fehlen diese teilweise.
In der ersten Version der Brandenburger PKS, die vergangene Woche vorgestellt wurde, gab es eine solche TVBZ auch für Nichtdeutsche (ohne ausländerrechtliche Verstöße). Die Formel laut Erläuterung für die nachfolgende Tabelle: "Die folgenden TVBZ stellen das Verhältnis der deutschen bzw. der nichtdeutschen Tatverdächtigen ab einem Alter von 8 Jahren mit Wohnsitz im Land Brandenburg im Verhältnis zur deutschen bzw. nichtdeutschen Bevölkerung des Landes Brandenburg ab einem Alter von 8 Jahren dar."
Es sollten bei dieser Formel also explizit nichtdeutsche Tatverdächtige ausgeklammert werden, die gar nicht zur Wohnbevölkerung gehören. Demnach wären pro 100.000 in Brandenburg gemeldeter Ausländer (Stichtag: 31.12.2023) im PKS-Berichtsjahr 2024 genau 8.900 als Tatverdächtige ermittelt worden. Männliche, nichtdeutsche Tatverdächtige laut Tabelle: 13.873 pro 100.000 Einwohner. Weibliche, nichtdeutsche Tatverdächtige: 3.260 pro 100.000 Einwohnerinnen.
LKA zieht Kriminalstatistik zurück
Wenn man die Zahlen jedoch rückwärts rechnet, kommt eine Zahl heraus, die sich an anderer Stelle in der Kriminalstatistik wiederfindet: Die der insgesamt 15.061 nichtdeutschen Tatverdächtigen (ohne ausländerrechtliche Verstöße) - vollkommen ungeachtet ihres Wohnsitzes.
Das LKA Brandenburg hatte demnach - entgegen der eigenen Definition - doch nicht nur die in Brandenburg wohnhaften Tatverdächtigen in diese Formel eingesetzt. Sondern auch alle beispielsweise bei Kontrollen am internationalen Flughafen BER oder der Landesgrenze zu Polen festgestellten, gar nicht in Brandenburg gemeldeten nichtdeutschen Tatverdächtigen.
Damit konfrontiert hat das LKA seine Kriminalstatistik umgehend zurückgezogen und eine Neuberechnung der TVBZ angekündigt, die inzwischen veröffentlicht wurde. In der entsprechenden Pressemitteilung hatte das Innenministerium den Fehler zwar eingeräumt, versuchte aber zu relativieren: "Im Zuge der Vorstellung der Kriminalstatistik spielte die TVBZ ohnehin keine Rolle."
Dabei hatte Innenministerin Katrin Lange (SPD) bei der offiziellen Vorstellung der Kriminalstatistik noch die "über 25 Prozent nichtdeutschen Tatverdächtigen" betont und darauf hingewiesen: "Der nichtdeutsche Bevölkerungsanteil in Brandenburg lag Anfang 2024 laut Amt für Statistik bei etwa 7,5 Prozent."
Brandenburg veröffentlicht korrigierte TVBZ
In der korrigierten Fassung sehen die Zahlen ganz anders aus. Anders als von Innenministerin Lange in einem Interview mit dem RBB behauptet, waren die Tatverdächtigenbelastungszahlen Deutscher und Nichtdeutscher demnach keineswegs "gleichermaßen" von dem Berechnungsfehler betroffen:
Während die TVBZ der in Brandenburg ansässigen Deutschen nach der Korrektur von 2.061 (Tatverdächtige pro 100.000 Einwohner, jeweils ab 8 Jahren) auf 1.745 gesunken ist, hat sich die TVBZ der nichtdeutschen Brandenburger sogar mehr als halbiert: von den ursprünglichen 8.900 auf nunmehr 4.100
Kriminalstatistische Abgründe im hohen Norden
Das LKA Schleswig-Holstein hat in seiner Kriminalstatistik gleich drei unterschiedliche Berechnungsmethoden aufgestellt, die alle irgendeinen Bezug darstellen sollen zwischen nichtdeutschen Tatverdächtigen und Ausländern in der Wohnbevölkerung.
Bei zwei seiner drei Berechnungsmethoden gibt das LKA Schleswig-Holstein Tatverdächtigenbelastungszahlen für Nichtdeutsche an - einmal inklusive ausländerrechtlicher Verstöße und einmal ohne. Das mit Abstand häufigste Delikt bei ausländerrechtlichen Verstößen ist der sogenannte unerlaubte Aufenthalt gemäß Aufenthaltsgesetz. Zur Erinnerung: Das Bundeskriminalamt lehnt die Berechnung einer TVBZ für Nichtdeutsche unter anderem wegen der vielen "Personen ohne Aufenthaltserlaubnis" ab.
Auch das LKA Schleswig-Holstein schreibt in seinem Erläuterungstext zur TVBZ: "Die Zahl der polizeilich registrierten ansässigen Tatverdächtigen beinhaltet keine Personen, (…) deren Aufenthalt gesetzlich nicht geregelt ist." Unmittelbar darunter aber: Eine Grafik mit einer TVBZ Nichtdeutscher für Straftaten inklusive "ausländerrechtlicher Verstöße", die so viel höher ist als die TVBZ ohne diese Verstöße, dass sie nur durch die massenhafte Einbeziehung Tatverdächtiger wegen "unerlaubten Aufenthalts" zu erklären ist. Menschen also, die wohl nur in Einzelfällen gleichzeitig ordnungsgemäß in Schleswig-Holstein gemeldet sein werden.
Dazu befragt antwortet die Pressestelle des Innenministeriums: "Der Aufenthaltsstatus der jeweils betrachteten ansässigen Tatverdächtigen bleibt dabei völlig außer Acht. Die Berechnungsformel für die TVBZ Schleswig-Holstein wurde also korrekt angewendet."
Absurde "Formel" für einzelne Nationalitäten
In einem anderen Kapitel in der Kriminalstatistik dividiert das LKA nichtdeutsche Tatverdächtige 19 verschiedener Staatsangehörigkeiten durch die Einwohnerzahl der Ausländer mit der jeweils gleichen Staatsangehörigkeit. Die Ergebnisse werden als Prozentwert angegeben. Darunter: der Vorjahreswert in Klammern. Dabei werden explizit auch Tatverdächtige einbezogen, gegen die ausschließlich wegen ausländerrechtlicher Verstöße ermittelt wurde.
Bei dieser Berechnung ist es also ausdrücklich egal, ob beispielsweise auch nur ein einziger, in Schleswig-Holstein wohnhafter Georgier unter den georgischen Tatverdächtigen war - den ansässigen Schleswig-Holsteinern mit der Staatsangehörigkeit "Georgien" werden dennoch sämtliche tatverdächtige Landsleute angelastet. Auch jene also, die allein deshalb als Tatverdächtige erfasst wurden, gerade weil sie nicht zur Wohnbevölkerung gehörten (unerlaubte Einreise/Aufenthalt).
Bei den Georgiern heißt das beispielsweise: aus 562 Tatverdächtigen im PKS-Berichtsjahr 2024 und 1.035 Einwohnern am 31.12.2023 wird laut LKA ein Anteil von 54,3 Prozent tatverdächtiger Einwohner mit der Staatsangehörigkeit "Georgien".
Verschlimmbesserung der Zahlen
Unter diesen 54,3 Prozent bei den Georgiern steht mit 7,4 Prozent ein deutlich niedrigerer Wert für das Vorjahr - also die PKS 2023. Dabei hatten im Vorjahr laut Statistik 250 Georgier weniger in Schleswig-Holstein gelebt, die Zahl der georgischen Tatverdächtigen war jedoch um 213 höher.
Auf einen Hinweis darauf, dass nach der aktuellen, ungeeigneten Berechnungsgrundlage im Vorjahr ja sogar 98,7 Prozent der ansässigen Georgier angeblich Tatverdächtige gewesen sein müssen (775 der 785 gemeldeten Personen, darunter 40 Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren), hat das LKA reagiert - und den Vorjahreswert in seiner Kriminalstatistik auf diesen vollkommen unlogischen Anteil von 98,7 Prozent geändert.
Der doppelt kriminelle Monegasse mit weißer Weste
Bei der Berechnungsmethode des LKA Schleswig-Holstein wäre es sogar möglich, dass es vermeintliche Anteile gibt, die über 100 Prozent liegen.
Angenommen in Schleswig-Holstein lebte am 31.12.2023 laut Melderegister exakt ein Mensch mit der Staatsangehörigkeit Monaco. Wenn dann im Sommer 2024 auf ihrer Deutschlandrundreise zwei andere Personen mit der Staatsangehörigkeit Monaco zum Beispiel wegen Beförderungserschleichung in einem Lübecker Bus als Tatverdächtige ermittelt wurden, würde es nach der Berechnungsgrundlage des LKA Schleswig-Holstein bedeuten, dass 200 Prozent der am 31.12.2023 gemeldeten Monegassen Tatverdächtige sind.
Auf einen Hinweis darauf hat das schleswig-holsteinische Innenministerium nicht mehr geantwortet.