Yücel und die Rüstungsexporte Gibt es einen schmutzigen Deal?
Außenminister Gabriel hat mit widersprüchlichen Äußerungen verwirrt, eine Freilassung des "Welt"-Journalisten Yücel sei an Rüstungsexporte in die Türkei gebunden. Was hat er tatsächlich gesagt? Wie ist es interpretiert worden? Wie überzeugend sind seine späteren Dementis und Erklärungen?
Gibt es einen Deal?
Ein schroffes "Nein" war alles, was der Minister am Sonntag im "Bericht aus Berlin" auf diese Frage geantwortet hat. Auch nach seinem Treffen mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Goslar hatte er schon am vergangenen Samstag kategorisch bestritten, eine Verbindung zwischen dem Fall Yücel und Rüstungslieferungen hergestellt zu haben.
Dabei ist seine - vom Auswärtigen Amt autorisierte - Aussage in einem "Spiegel"-Interview zu einer solchen Verbindung ziemlich eindeutig:
Die Türkei ist NATO-Partner und Partner im Kampf gegen den IS. Eigentlich sind beides Gründe, um gegenüber der Türkei keine derartigen Restriktionen im Rüstungsexport zu haben, wie wir das zum Beispiel gegenüber Staaten im Nahen Osten haben. Trotzdem hat die Bundesregierung eine sehr große Anzahl von Rüstungsexporten nicht genehmigt. Dabei wird es auch bleiben, solange der Fall Yücel nicht gelöst ist.
Gabriel nennt in seiner ursprünglichen Äußerung die Freilassung von Yücel also explizit als Kriterium, um den Genehmigungsstopp für "eine sehr große Anzahl von Rüstungsexporten" zu beenden und die Türkei in dieser Frage wieder als NATO-Partner zu behandeln. Entsprechend meldete es auch die Presseagentur Reuters bereits am Freitag um 10.22 Uhr unter der Überschrift: "Gabriel knüpft Rüstungsexporte an Türkei an Lösung im Fall Yücel." Hätte das Auswärtige Amt ein Interesse daran gehabt, einer solchen Verknüpfung zu widersprechen, hätte es das bereits eine Stunde später in der Regierungspressekonferenz richtig stellen können. Selbst auf ausdrückliche Nachfrage zum "Spiegel"-Interview erklärte dessen Sprecherin aber, sie könne den Fall nicht kommentieren, weil er ihr nicht bekannt sei. Erst mehr als 24 Stunden später kam dann die Rolle rückwärts des Ministers - verbunden mit heftiger Medienschelte.
Gibt es einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Fall Yücel und dem Rüstungsstopp?
Deniz Yücel sitzt seit dem 27. Februar 2017 in türkischer Untersuchungshaft.
Die Genehmigung von Rüstungsexporten unterliegt nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und den Richtlinien für Rüstungsexporte klaren rechtlichen Kriterien und kann nicht Verhandlungsmasse in Einzelfragen sein. Das weiß man auch im Auswärtigen Amt und verweist inzwischen bei entsprechenden Fragen nur noch auf die Verfahrenswege dieser Bestimmungen. Viele Rüstungsprojekte wurden auch nicht erst nach den Verhaftungen von Yücel und anderen Deutschen angehalten, sondern als Reaktion auf die Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des Ausnahmezustands seit dem gescheiterten Putsch 2016. Hätte Gabriel ein Signal an die Türkei senden wollen, hätte er also die Aufhebung dieses Ausnahmezustands ausdrücklich als ein sachgemäßes Indiz für eine schrittweise Normalisierung benennen können. Die türkische Regierung hat im übrigen an diesem Montag die Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere drei Monate beschlossen.
Will Gabriel eine Panzerfabrik für die Türkei?
Unter den vielen Rüstungsprojekten, die der Türkei wichtig sind, steht der Bau einer Panzerfabrik unter Beteiligung des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall ganz oben. Das Unternehmen hat dazu 2016 mit dem türkischen Lastwagenhersteller BMC das Gemeinschaftsunternehmen RBSS mit Sitz in Ankara gegründet. Mit dem Know-how und bereits vorhandenen Bauteilen von Rheinmetall könnte die Entwicklung des Panzers "Altay" deutlich beschleunigt werden. Doch das wäre nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Bundesregierung möglich. Nach dem Wortlaut des "Spiegel"-Interviews gehört deshalb auch dieses Projekt zu der "sehr großen Anzahl" von Rüstungsexporten, deren Freigabe Gabriel an die Freilassung von Yücel gebunden hat. Entsprechend hat sich die öffentliche Debatte auch schnell auf dieses Milliardenprojekt konzentriert.
Trotzdem hat es Gabriel selbst bei der Pressekonferenz am vergangenen Samstag in Goslar noch vermieden, die Panzerfabrik und andere Großprojekte ausdrücklich aus seinem Angebot an die Türkei auszunehmen. Stattdessen spricht er betont vage davon, zu den "alten Formen, wie wir sie in der Vergangenheit hatten" zurückkehren zu wollen, "wenn die Probleme gelöst sind". Entsprechend scharf fielen noch am Samstagabend die Reaktionen der Opposition aus. Auch aus der eigenen SPD-Fraktion kamen deutlich kritische Töne. Erst im "Bericht aus Berlin" am Sonntag - also rund 60 Stunden nach Veröffentlichung des "Spiegel"-Interviews - sprach Gabriel von einer "irren Vorstellung, wir wollten eine Panzerfabrik bauen" und fügte hinzu: "Ich weiß nicht, wer auf solche Ideen kommt!"
Mit Blick auf die Person Gabriel ist das nun eine späte, aber unzweideutige Festlegung, deren Glaubwürdigkeit auch aus seinem Umfeld bestätigt wird. Das ändert freilich nichts daran, dass die Türkei weiter großes Interesse an diesem Projekt hat und es auch in Deutschland erheblichen Lobbydruck gibt, die Panzerfabrik zu genehmigen. Es könnte deshalb schon sehr bald ein Streitthema in einer neuen Bundesregierung werden - mit oder ohne Gabriel.
Mit Minenschutz gegen den IS?
Nach der Darstellung des Außenministers geht es nun lediglich um eine Bitte der Türkei, ihre gepanzerten Fahrzeuge für den "gemeinsamen Kampf" gegen den sogenannten "Islamischen Staat" (IS) mit einer Schutzkomponente gegen Minen auszustatten. Darüber werde es schon in den kommenden Tagen Gespräche geben. Das sei eine "moralische Verpflichtung": In der Vergangenheit seien immer wieder türkische Panzer auf Minen des IS gefahren. Er wolle nicht erleben, "dass türkische Soldaten im Kampf gegen die Terrororganisation IS sterben, weil wir nicht bereit waren, Panzerschutzinstrumente gegen Minen zu liefern".
Kenner der Region schütteln über diese Darstellung freilich nur den Kopf. Die Türkei sei überhaupt nur einmal mit Bodentruppen gegen den IS vorgegangen, erläutert Guido Steinberg, Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Das war im Frühjahr 2017, als türkische Truppen in die Kämpfe um die strategisch wichtige Stadt Al-Bab eingegriffen hatten: "Der Türkei ging es dabei aber weniger um den IS, als um die Konkurrenz mit der kurdischen PYD." Mit dem Versuch der Einnahme von Manbij sollte ein weiteres Vordringen der kurdischen Kämpfer verhindert werden. Das hätte der PYD ein großes zusammenhängendes Gebiet im Norden Syriens verschafft, was die Türkei um jeden Preis verhindern wollte. Die hohen Verluste der türkischen Truppen führt Steinberg nicht auf fehlenden Minenschutz zurück, sondern auf unzureichenden Nachschub und eine chaotische Kriegsführung.
Noch deutlicher wird sein Urteil mit Blick auf die Zukunft: "Dass die Türkei in Zukunft noch den IS bekämpfen könnte, ist einfach falsch." Die letzten Gebiete der Terrormilizen lägen östlich der Stadt Deir ez-Zor, fernab der türkischen Grenze und außerhalb der Reichweite türkischer Bodentruppen.
Sehr realistisch sind dagegen mögliche offensive Einsätze von Panzern in den kurdischen Gebieten Syriens und des Iraks. Und tatsächlich hat der türkische Präsident Erdogan nun eine Großoffensive in den von der PYD kontrollierten Regionen Afrin und Manbij angekündigt. Da würde eine Nachrüstung mit Minenschutz die Kampffähigkeit natürlich deutlich erhöhen. Als Teil einer Offensivwaffe wäre das dann aber weder eine "defensive Schutzausstattung", wie es Gabriel nennt, noch ginge es um einen "gemeinsamen Kampf mit der Bundeswehr". Und es wäre bestimmt keine "absurde Debatte" zu hinterfragen, ob es bei einem solchem Rüstungsdeal wirklich um eine "moralische Verpflichtung" geht.