Die russische Bereitschaftspolizei blockiert einen Platz in Chabarowsk, an dem sich Demonstrierende versammeln
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Demonstrationen in Russland Proteste werden als Einmischung dargestellt

Stand: 25.01.2021 14:43 Uhr

Russland behauptet, die Proteste im ganzen Land seien von den USA angeleitet worden. Als vermeintlicher Beleg dient ein Hinweis der US-Botschaft an die eigenen Bürger, Demonstrationen zu meiden.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell und Silvia Stöber

Das russische Außenministerium hat die diplomatische Vertretung der USA in Moskau vor den Folgen einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes gewarnt. Das berichtet der russische Staatssender RT DE unter Bezugnahme auf eine Mitteilung des Außenministeriums auf Telegram. Moskau warf Washington demnach vor, auf der Website der Botschaft über mögliche nicht genehmigte Protestaktionen am Wochenende zu ausführlich informiert zu haben. So würden die USA "Proteste in Ländern mit unliebsamen Regierungen" anstacheln.

Zugleich warnte das russische Außenministerium die USA vor einer "Berichterstattung" über nicht genehmigte Kundgebungen und teilte mit, Moskau werde dies als eine grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten betrachten und darauf entsprechend reagieren.

Warnung vor Demonstrationen

Tatsächlich hatte die US-Botschaft in Moskau am Freitag auf ihrer Seite die geplanten Proteste erwähnt. Auf Twitter informierte das US-Außenministerium über den Hinweis der amerikanischen Botschaft in Moskau. Darin hieß es, Medienberichte wiesen auf Demonstrationen im ganzen Land hin, um einen "oppositionellen Aktivisten" zu unterstützen. Den Namen von Alexej Nawalny nennt die US-Botschaft dabei nicht.

Diese Demonstrationen seien wahrscheinlich nicht genehmigt, heißt es weiter. US-Bürger sollten die Proteste und damit verbundene Aktionen meiden, empfiehlt die US-Vertretung ihren Bürgern.

Media sources indicate that on Saturday, January 23, demonstrations are being planned throughout Russia in support of an opposition activist. These demonstrations are likely to be unauthorized. Given the likely substantial police presence and possible dispersal of demonstrators into other areas of the cities, U.S. citizens should avoid these demonstrations and any demonstration-related activities.

Neben dem Appell, die Demonstrationen nicht zu besuchen, informierte die Botschaft über Hinweise auf geplante Routen in zwölf russischen Städten. In Moskau beispielsweise planten die Demonstranten, sich nahe des Puschkin-Platzes zu sammeln und ab 14.00 Uhr in Richtung Kreml zu ziehen. Der Puschkin-Platz ist ein traditioneller Ort für Protestkundgebungen.

Proteste in 125 Städten

Diese Information war aber weder neu noch vollständig: Mitstreiter Nawalnys hatten schon einen Tag zuvor auf Telegram zu Demonstrationen in fast 90 Städten aufgerufen. Am Ende kamen Zehntausende Menschen in 125 Städten zusammen, auch an Orten im Fernen Osten Russlands, wo Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt herrschten und obwohl Behörden und Polizei in der Woche zuvor versucht hatten, nicht nur auf Aktivisten, sondern auch in Lehreinrichtungen und Unternehmen Druck auszuüben.

Nach Angaben der Bürgerrechtsorganisation OWD Info wurden in 123 Städten mehr als 3500 Menschen festgenommen, in Moskau waren es allein 1396.

Ähnliche Hinweise zu Dänemark und den Niederlanden

Hinweise von US-Botschaften auf geplante Kundgebungen im jeweiligen Land sind alles andere als ungewöhnlich. Genauso twitterte das Ministerium entsprechende Hinweise auf Demonstrationen und Proteste am Wochenende beispielsweise in Dänemark und den Niederlanden, wo es zu Ausschreitungen kam.

Zu der geplanten Demonstration in Kopenhagen schrieb die US-Botschaft im Land:

A demonstration and march in protest of health-related restrictions in place in Denmark is scheduled to take place on January 23 beginning at 6:00 p.m.  The demonstration will begin in front of the Forum metro station. The exact march route and the ultimate end point is unknown currently. As such, you should anticipate congestion in the City Center Saturday and plan accordingly.  Several hundred people may attend.

Im Warnhinweis zu den Protesten in den Niederlanden schrieb die zuständige US-Botschaft:

A demonstration is expected on Saturday, January 23, 2021, beginning at approximately 4:00 pm and lasting until approximately 5:30 pm.  The group plans to assemble in front of the U.S. Consulate General on the Museumplein in Amsterdam.  Additionally, we have received reports of other possible demonstrations on the Museumplein on both Saturday, January 23, and Sunday, January 24.  

Weder die Niederlande noch Dänemark werteten diese Hinweise als Anleitung oder Einmischung von außen, noch wurde Berichterstattung durch US-Medien als solche angesehen.

Ablenkung von inneren Konflikten

Neben dem Vorwurf der Einmischung von außen wurden die Organisatoren der Proteste als "Feinde des Volkes" dargestellt, die Kinder zu den Demonstrationen lockten und sie damit in Gefahr bringen wollten. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow warnte, die Aktivisten wollten das Land destabilisieren, aber mit den wenigen Teilnehmern sei ihnen das nicht gelungen. Während die meisten Rundfunksender dieser Darstellung folgen, informieren sich immer mehr Menschen in den sozialen Medien. Nawalnys Video über den "Palast für Putin" wurde inzwischen mehr als 86 Millionen Mal aufgerufen. Entsprechend skandierten Demonstrierende am Samstag "Putin ist ein Dieb".

Der Soziologe Lew Gudkow vom Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum sagte dem ARD-Studio in Moskau, auch weil sich die Angst vor Repressionen in den vergangenen beiden Jahren verdoppelt habe, habe es bislang keine Massenproteste gegeben. Aber die Unzufriedenheit sei groß, besonders unter den 25- bis 40-Jährigen, die als gesellschaftlich aktivste Gruppe gelten würden. Sie hätten verstanden, dass es für sie unter Putin keine Perspektive gebe.

Offenkundig nehmen Unzufriedenen die immer wieder erhobene Behauptungen der russischen Führung über eine Einmischung "ausländischer Agenten" in innere Angelegenheiten nicht mehr ernst und nehmen stattdessen stärker ihre eigene soziale und wirtschaftliche Lage wahr.

Die Warnung der US-Botschaft an amerikanische Bürger vor ungenehmigten Demonstrationen mit erheblicher Polizeipräsenz in zwölf Städten jedenfalls kann nicht erklären, warum in mehr als 100 Städten Menschen zum Protest kamen. Nawalnys Leute rufen bereits jetzt für nächsten Sonntag zu neuen Protesten auf, diesmal in allen Städten Russlands.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Nova am 25. Januar 2021 um 16:06 Uhr.