Dänemark setzt Duldung aus Wie sicher ist die Lage in Syrien?
Dänemark will seinen Kurs in der Flüchtlingspolitik weiter verschärfen. Zuletzt setzte das Land die Duldung von syrischen Flüchtlingen teilweise aus. Doch die Entscheidung ist umstritten.
Von Patrick Gensing, Redaktion ARD-faktenfinder
Dänemark setzt in der Asylpolitik weiterhin auf einen harten Kurs. Das Parlament diskutiert am Donnerstag einen Plan der Regierung, mit dem Flüchtlinge aus dem Land gehalten werden sollen. Zuvor hatte die teilweise Aussetzung der Duldung von syrischen Flüchtlingen im Land für Diskussionen gesorgt.
Syrische Flüchtlinge demonstrieren gegen die Entscheidung, wie ARD-Korrespondent Christian Blenker berichtet. Die Betroffenen sollen das Land innerhalb von 60 Tagen verlassen. Eine Abschiebung erscheint aber vorerst unwahrscheinlich, da die diplomatischen Beziehungen zum Assad-Regime fehlen. Allerdings fällt die rechtliche Grundlage für einen Aufenthalt in Dänemark weg und Betroffene müssen möglicherweise in Abschiebezentren.
"Fälschlich als Kronzeugen" zitiert
Hintergrund der dänischen Entscheidung ist die Einschätzung, die Lage in Teilen von Syrien lasse eine Rückkehr von Geflüchteten zu. Eine zentrale Rolle bei der Diskussion spielen dänische Berichte über die Situation in dem Land. Doch diese Berichte sind stark umstritten.
So wird die Expertin Bente Scheller von der dänischen Einwanderungsbehörde in einem Report zur Lage in Syrien ausführlich zitiert. Dieser Bericht aus dem Jahr 2019 und eine Fortschreibung aus dem Jahr 2020 gelten als Basis für den Kurs der Regierung in Kopenhagen. Scheller, die das Nahost-Referat der Heinrich-Böll-Stiftung leitet, erklärte auf Anfrage, ihre Aussagen seien in einen anderen Zusammenhang gestellt worden. Sowohl sie selbst als auch andere befragte Fachleute hätten deutlich gemacht, dass die vorliegenden Informationen über die Lage in Syrien "zutiefst bedenklich" seien und eine Rückkehr ausschließen. Deswegen verwahre sie sich dagegen, dass die dänische Regierung dies genau andersherum interpretiere "und uns fälschlich als Kronzeugen heranzieht".
Die Fachleute veröffentlichten eine Stellungnahme, in der sie sich von dem Bericht distanzieren. Zudem habe Scheller bei den dänischen Behörden angefragt, um die Audio-Aufnahme ihres Interviews zu bekommen. Bislang habe sie keine Antwort erhalten.
Syrischer General als Experte
Von zwölf in den dänischen Berichten zitierten Personen haben sich mittlerweile elf distanziert. Bei dem zwölften handelt es sich um Naji Numeir, einen syrischen General, der die Einwanderungs- und Passabteilung im Innenministerium von Assads Regime leitet. Er beteuert in dem Bericht, bei der Einreise drohe keine Strafverfolgung mehr, wenn Syrer während des Kriegs illegal geflüchtet seien.
Das Auswärtige Amt in Berlin zeichnet ein anderes Bild der Lage in Syrien: Die komplexen militärischen Auseinandersetzungen verschiedener Gruppierungen betreffen demnach weiterhin zahlreiche Städte und Regionen. Zudem habe die Kriminalität erheblich zugenommen. Staatliche Strukturen seien "in zahlreichen Orten zerfallen und das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch".
Auch länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) könnten von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden, schreibt das Amt. In diesem Zusammenhang komme es immer wieder zu Verhaftungen. Männer müssten bei einer Einreise damit rechnen, zum Militärdienst eingezogen oder zur Zahlung eines Geldbetrages zur Freistellung gezwungen zu werden. Eine vorab eingeholte Reisegenehmigung der syrischen Botschaft in Berlin stelle keinen verlässlichen Schutz dar.
Verhaftungen als Einnahmequelle
Auf Verhaftungen als Einnahmequelle weist auch Expertin Scheller hin: "Das Regime sieht, wie jüngst bei den Präsidentschaftswahlen, dass der Unmut auch in den von ihm zurückeroberten oder sogar permanent unter Kontrolle des Regimes befindlichen Territorien immer wieder aufflackert." Deswegen blieben derlei Einschüchterungen wie die Angst vor dem erzwungenen Verschwindenlassen relevant, so Scheller. Hinzu komme die Wirtschaftskrise. Da seien Verhaftungen "ein hervorragender Mechanismus, um Geld zu verdienen, da die Angehörigen schon für Informationen über die Verschwundenen sehr viel zahlen". In einer Untersuchung wird diese Praxis genauer analysiert und mit konkreten Beispielen dokumentiert.
Ministerium verweist auf nachgeordnete Behörde
Scheller meint, Menschenrechtsverletzungen gebe es in allen Landesteilen. Die "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" berichtet zudem kontinuierlich über anhaltende Kämpfe im Land. Die Vereinten Nationen veröffentlichten im April einen Bericht, in dem es heißt, zwischen Juli 2018 und Juni 2020 hätten Luftangriffe, Minen und Beschuss mehr als 2700 Kinder verstümmelt oder sogar das Leben gekostet. Auch die EU und UN sehen keine sicheren Regionen in Syrien.
Auf Anfrage teilte ein Sprecher des Ausländer- und Integrationsministeriums in Kopenhagen mit, man sei nicht an der Erstellung des umstrittenen Berichts beteiligt gewesen. Verantwortlich sei die nachgeordnete Einwanderungsbehörde. Diese wiederum verweist auf ihr Büro für Länderreporte, das Berichte verfasse und lediglich Einschätzungen sammele, aber nicht bewerte.
Keine Perspektiven - hoffen auf Europa?
ARD-Korrespondent Alexander Stenzel meint, für viele Geflüchtete komme eine Rückkehr nach Syrien nicht infrage - bei vielen aus Angst. So würden Geflüchtete als Verräter angesehen, da sie nicht mit Assads Führung gegen die Aufständischen gekämpft hätten.
Zudem sei die wirtschaftliche Lage im Land extrem schlecht. Stenzel meint, zwar könne die Sicherheitslage in einigen Teilen Syriens eine Rückkehr möglicherweise sogar zulassen - doch gebe es keinerlei Perspektiven: "Wo sollen die Menschen wohnen? Was sollen sie arbeiten?"
Auch die Vereinten Nationen verweisen auf die katastrophale Armut im Land. Hoffnung auf Besserung sei nach dem Krieg und angesichts der Corona-Pandemie sowie den strikten Sanktionen nicht abzusehen. Trotz der relativen Ruhe im Land verschlechtere sich die Lage weiter. Wegen der desaströsen Situation in Syrien und auch in den Flüchtlingslagern im Libanon wollen offenbar viele Menschen in die EU flüchten. Doch Europa schottet sich - wie das Beispiel Dänemark zeigt - weiter ab.