Geschlechtsneutrales Piktogramm am Eingang einer Hoteltoilette mit der Aufschrift: "We don't care" (deutsch: "Uns egal").
Kontext

Gezielte Falschbehauptungen Transfeindlichkeit als "Kulturkampf"

Stand: 11.01.2023 16:07 Uhr

Gesetzliche Vorhaben, die trans Menschen mehr Selbstbestimmung garantieren sollen, haben in den vergangenen Monaten zu hitzigen Debatten geführt. Diese Diskussionen werden teilweise mit falschen oder irreführenden Behauptungen geführt.

Von Carla Reveland, Redaktion ARD-faktenfinder und Patrick Gensing für tagesschau.de

Das Selbstbestimmungsgesetz war von der Ampelkoalition als ein zentrales Projekt angekündigt worden. Doch bei der Umsetzung hakt es bis heute. Bundesjustizminister Marco Buschmann sagte in einem "Zeit"-Interview zu den Gründen für die Verzögerung: "Wir haben wahrgenommen, dass es Sorgen gibt, die sich auf die Rechtsfolgen des Geschlechtswechsels beziehen."

Der FDP-Politiker führt als Beispiel auf, dass sich Besucherinnen einer Frauensauna durch die Anwesenheit einer trans Frau in ihrer Privatsphäre gestört fühlen könnten. "Die Betreiberin einer Frauensauna soll auch künftig sagen können: Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an." Die Betreiber dürften in dem Fall nicht dem Risiko einer Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein. Das müsse sauber geregelt werden.

Dies sorgte auch in der Koalition für Diskussionen. Der Queer-Beauftragte Sven Lehmann betonte auf Twitter, das geplante Gesetz solle Diskriminierung abbauen, nicht neue schaffen. Trans-Verbände teilen die Befürchtung und warnen, eine solche Regelung könnte eine Basis sein für die rechtliche Ausgrenzung von trans Personen aus verschiedenen Teilen des öffentlichen Lebens.

Der Vorsitzende der SPDqueer Oberfranken Sebastian Kropp kritisierte den FDP-Politiker auf Twitter scharf und wundert sich, wie die "TERF-Erzählung von der Frauensauna eigentlich bei Marco Buschmann verfangen" konnte. Jenny Wilken von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e.V.) fügt auf Anfrage des ARD-faktenfinders hinzu, dass durch zahlreiche Briefe an Politikerinnen und Politiker gezielt versucht werde, auf das Selbstbestimmungsgesetz Einfluss zu nehmen und die Einführung des Gesetzes zu verzögern.

In transfeindlichen Kreisen werden die Aussagen Buschmanns hingegen teilweise als Bestätigung der eigenen Position gewertet und benutzt, um weitere Behauptungen in Sozialen Medien zu verbreiten.

Selbstbestimmungsgesetz enthalte unklare Aspekte

Paula-Irene Villa Braslavsky, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und Direktorin des Instituts für Soziologie an der LMU München, betont auf Anfrage des ARD-faktenfinders, dass es zum einen bei dem gesetzlichen Vorhaben tatsächlich einige unklare Aspekte gebe - beispielsweise: "Wer erhält aufgrund welcher Gründe Zugang - oder eben nicht - zu bestimmten Räumen? Wie lassen sich Schutzräume schützen?" Aber, so Villa Braslavsky weiter, diese Unklarheit sei weder neu noch einzigartig, "sondern war immer schon eine virulente Auseinandersetzung. In den 1980er-Jahren wurde diskutiert, bis zu welchem Alter Jungs in Frauenbuchläden rein durften, die 'Frauenräume' an den Unis hatten auch in den 1990er-Jahren immer wieder das Problem der 'Einlasskontrolle'".

"Diese Unklarheiten sorgen für Unruhe, Sorgen, Ängste, das ist durchaus verständlich", so die Soziologin. Allerdings führe dies dazu, dass diese Sorgen ausgenutzt würden, um teilweise bösartige, abwegige und diffamierende Behauptungen schlicht zu erfinden oder zumindest aufzubauschen, warnt Villa Braslavsky. "Es wird trans Personen all das 'Böse' unterstellt, was vor Jahrzehnten beispielsweise den Schwulen unterstellt wurde, nämlich kriminell-perverse Energie; sie werden als Sexmonster karikiert. Das ist auch angesichts der realen Fakten rund um sexualisierte Gewalt total abwegig. Wir wissen, dass diese vor allem im Nahbereich, in Partnerschaften, in den Familien stattfindet, oder in abgeschotteten Organisationen wie Kirche oder Vereine. Die Sauna oder der Frauenraum zählen eher nicht zu den Gewalt-Hotspots."

Trans Personen sind besonders gefährdet

Statt trans Personen als Gefahrenquelle herauszustellen, müsse der Fokus viel mehr daraufgelegt werden, eben jene vor Gefahren zu schützen, fordert Petra Weitzel, Erste Vorsitzende der DGTI. "Hier findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Studien belegen, dass trans Personen in vielen Bereichen des Lebens besonders von Übergriffen und Gewalt bedroht sind." So sind es laut einer Studie des US-amerikanischen Williams Insitute trans Personen, die von Problemen und Drohungen berichten, wenn sie beispielsweise öffentliche Toiletten aufsuchen wollen.

Viele sind zudem einer Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt; das Trans Murder Monitoring versucht international die tödliche Gewalt an trans, nicht-binären und gender-nonkonformen Personen zu erfassen und registrierte 327 Tötungsdelikte in den vergangenen zwölf Monaten für die Staaten, aus denen überhaupt Informationen vorlagen. Die überwiegende Mehrheit der Getöteten waren trans Frauen oder transfeminine Personen, die Schwarz, indigen oder of Colour waren. Viele der Getöteten waren migrantisiert und/oder Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter: Besonders das Zusammenwirken von Transfeindlichkeit, Rassismus und Sexarbeiterinnenfeindlichkeit steigert demnach das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden, immens.

Besondere Gefährdung von trans Personen
Die Vereinten Nationen schreiben: "Trans-Personen sind besonders gefährdet, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden, wenn ihr Name und ihre Geschlechtsangaben in offiziellen Dokumenten nicht mit ihrer Geschlechtsidentität oder ihrem Geschlechtsausdruck übereinstimmen. Heute hat jedoch die große Mehrheit der transsexuellen und genderdiversen Menschen in der Welt keinen Zugang zu staatlicher geschlechtlicher Anerkennung. Dieses Szenario schafft ein rechtliches Vakuum und ein Klima, das stillschweigend die Stigmatisierung und Vorurteile gegenüber diesen Personen begünstigt."

Kontinuierlicher Anstieg homo- und transfeindlicher Gewalt

Berlin erfasst als einziges Bundesland in Deutschland seit 2014 LSBTIQ*-feindliche Straftaten und verzeichnet einen kontinuierlichen Anstieg polizeilich registrierter Fälle. 2020 wurden 377, 2021 sogar 456 trans- und homophobe Taten erfasst. Dies sei der mit Abstand höchste jemals erfasste Wert, heißt es im Berliner Monitoring Bericht zu trans- und homophober Gewalt, der im Dezember 2022 veröffentlicht wurde.

Für den Themenschwerpunkt transfeindliche Gewalt, wurden für die Studie Befragungen durchgeführt - mit besorgniserregenden Ergebnissen: "Zwei Drittel der befragten trans* Personen (66 %) haben in den vergangenen fünf Jahren Gewalterfahrungen gemacht, fast die Hälfte (48,2 %) im vergangenen Jahr." Weiter heißt es: "Obwohl bei fast zwei Dritteln der berichteten Gewaltvorfälle unbeteiligte Personen zugegen waren, haben die Betroffenen nur in wenigen Fällen (sieben Prozent) Hilfe oder Solidarität durch Passant*innen erfahren." Knapp 80 Prozent gaben an, in den Sozialen Medien von Übergriffen betroffen zu sein.

Zu diesen Zahlen kommt eine mutmaßlich sehr hohe Dunkelziffer. Laut dem Berliner Monitoring Bericht erstatteten nur 13 Prozent der von den Vorfällen betroffenen Befragten polizeiliche Anzeige. Ein Grund: Viele trans Personen scheuen den Weg zur Polizei. Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD), erklärte im Gespräch mit der taz, der Umgang der Polizei mit trans Menschen sei ein "riesiges Thema". Dazu gehöre beispielsweise die Frage, wer von wem durchsucht werde. Oder ob ein Ergänzungsausweis bekannt und akzeptiert werde. Ulrich sagt, viele trans Personen trauten der Polizei nicht. Ähnliche Erfahrungen machen andere Fachleute und Verbände aus der LSBTQI*-Community.

Gendergerechte Sprache wird attackiert

Für Weitzel gibt es zwischen dem Anstieg transfeindlicher Straftaten und der Desinformation über trans Personen einen klaren Zusammenhang. Denn die Falschbehauptungen vermitteln ein falsches Bild transidenter Personen, welches sich auf die gesellschaftliche Wahrnehmung und Diskurse auswirke. "Die Erzählung, dass in Ländern mit Selbsbestimmungsgesetz die Probleme mit transidenten Personen steigen würden, hören wir immer wieder. Das ist aber schlichtweg falsch", sagt Weitzel. Auch dass der Entwurf der Bundesregierung für das Selbsbestimmungsgesetz medizinische Eingriffe für Kinder und Jugendliche einschließe, sei eine Lüge. Trotzdem halten sie sich hartnäckig.

Irreführende Behauptungen nutzen oft fehlendes Wissen aus. So kursieren im Kontext von Handreichungen für medizinisches Personal, mit denen schwangere trans Personen vor einer falschen Ansprache geschützt werden sollen. Darin wird beispielsweise erläutert, warum es geboten sein kann, im Krankenhaus nicht von einer Mutter zu sprechen, sondern beispielsweise von einem austragenden Elternteil - wenn nämlich ein trans Mann schwanger wird. Zahlreiche Medien, auch in Deutschland, behaupteten über diese Handreichung einer Uni in Australien, die Verfasserinnen und Verfasser wollten die Begriffe Vater und Mutter abschaffen. Das wiesen diese als falsch zurück. Tatsächlich gehe es in der Handreichung darum, die sprachlichen Optionen zu erweitern, um allen Menschen gerecht zu werden.

Stimmungsmache mit Bildern im falschen Kontext

Im Netz tauchen indes immer wieder Foto-Collagen auf, die beweisen sollen, wie gefährlich trans Personen seien. So zeigt eine Grafik 21 Personen, die wegen verschiedener Verbrechen verurteilt wurden. Was bei dieser Darstellung allerdings unerwähnt bleibt: Welchen Hintergrund diese Verbrechen haben und inwieweit sie etwas mit der trans Identität zu tun haben sollen. Ein Beispiel: Im Jahr 2007 hatte es in den USA ein besonders brutales Verbrechen gegeben. Von den zwei Verurteilten erklärte eine Person, die immer wieder durch Straftaten aufgefallen war, zwölf Jahre nach dem schweren Verbrechen, sie sei Transgender. Hier werden Verbrechen ohne Kontext in Zusammenhang mit einer Transidentität gebracht - offenkundig um Angst und Vorurteile zu befördern.

Nach Anschlägen ist es ein klassisches Instrument von Desinformationen, ohne jeden Beweis Behauptungen über Täter zu verbreiten. So wurde nach einem Schulmassaker in Texas im Mai 2022 behauptet, der Täter sei eine trans Person. Eine Behauptung, für die es keine Indizien oder Belege gab, die sich dennoch tausendfach verbreitete, wie unter anderem belltower news richtig stellt. In Deutschland verbreitete mitunter das rechtsextreme "Compact"-Magazin die Falschbehauptung - inklusive Bild und Nennung des vollen Namens.

"Ideologien, die um natürliche Ordnungen kreisen"

Die Besonderheit an irreführenden oder falschen Behauptungen über trans Personen: Sie verfangen in verschiedenen politischen Milieus. Soziologin Villa Braslavsky betont, es handele sich auf keinen Fall um ein rein "rechtes" Phänomen. Sie "würde eher von autoritären und anti-pluralistischen Szenen und Ideologien sprechen, es gibt dieses Feindbild ganz klar auch in linken Kontexten oder in der sich für liberal haltenden 'Mitte'."

Die Begründung sei aber in allen Fällen gleich: "Gender und trans Personen stehen für ein Verständnis von Geschlecht, das als (bedingt) gestaltbar, 'machbar', veränderlich, als gesellschaftlich konstituiert gilt". Geschlecht werde dabei "auch als Dimension individueller Freiheit und Selbstentfaltung verstanden, etwas, das wir an uns gestalten können, vielleicht sogar müssen". Das, so die Soziologin, fordere "all jene Ideologien heraus, die um 'natürliche Ordnungen' kreisen". In religiösen Ideologien sei es "nicht die Natur, sondern ein Gott oder ein Prophet, der angeblich unumstößliche Wahrheiten zu Geschlecht und zur Ordnung der Welt festlegt".

Doch nutzen Aktivisten das Thema offenkundig gezielt. Seit Anfang des vergangenen Jahres habe sich Transfeindlichkeit als zentrales Thema in der rechtsextremen Szene entwickelt, sagt Miro Dittrich vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). "Es war immer Thema der Rechtsextremen, aber nicht in dieser Zentralität. Es ist bis in den konservativen Bereich, wo auch Gesetze erlassen werden, anschlussfähig und hat sich so zum neuen Kulturkampfthema hochstilisiert", erläutert der Senior Researcher in Bezug auf die USA. Auch außerhalb des rechtsextremen Publikums würden die Inhalte geteilt und wiedergegeben, was rechte Akteurinnen und Akteure für Kampagnen und die Akquirierung neuer Leute nutzen würden.

Auch in der "Querdenken"-Szene verbreiten sich transfeindliche Narrative häufig. Dittrich sieht ähnliche Motive wie die Villa Braslavsky: "Das moderne Weltbild ist das Feindbild in dieser Szene. In ihrer Wahrnehmung werden Medien und Politikerinnen und Politiker von einer geheimen Elite gesteuert, welche die Menschen umerziehen wollen. Und hier wird das Thema trans als eine Methode gesehen, diese Umerziehung zu gestalten." Die Mechanismen, mit Desinformationen Ängste zu schüren, ähneln sich unabhängig davon, welche marginalisierte Gruppe betroffen ist. "Man sucht sich eine Minderheit aus, die sich nicht wehren kann und überzieht sie mit dem Framing, dass sie beispielsweise Frauen vergewaltigen würden", sagt auch Weitzel vom dgti e.V..

Argumente von Feministinnen werden übernommen

Viele der Argumente gegen trans Personen übernimmt die rechte Szene dabei aus dem feministischen Lager der sogenannten TERFs, was für transexkludierende radikale Feministinnen steht. Diese glauben, dass die Akzeptanz von trans Frauen und der Kampf für ihre Rechte zulasten von cisgeschlechtlichen Frauen gehe. "Das ist absurd, dass scheinbare selbsternannte Feministinnen hier gemeinsame Sache machen, also die Koalition mit Rechtsextremen eingehen, die wahrlich kein Interesse an Frauenrechten haben und denen all ihre politische Positionierung sich ja ganz klar gegen die Rechte von Frauen richtet", sagt Dittrich.

Kampagnen gegen trans Personen und Gender sind kein Zufall. Laut Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte fließt viel Geld zur Finanzierung der Anti-Gender-Mobilisierung. Europa hätte mehr als 700 Millionen US-Dollar an "Anti-Gender-Finanzierung" erhalten. Hierzulande finanziere unter anderem der deutsche Adel transfeindliche Inititativen, Beatrix von Storch sei dabei eine der wichtigsten Akteurinnen. "Im Jahr 2013 wurde Beatrix von Storch de facto zur Anführerin der christlich-fundamentalistischen Strömung, die etwa ein Drittel der AfD ausmacht", heißt es im Bericht.

Soziologin Villa Braslavsky meint zwar, dass solche Prozesse zu mehr Gleichberechtigung immer wieder auf Gegenbewegungen, Abwehr, Unverständnis, gar Gewalt gegen die Emanzipation ehemals marginalisierter Gruppen stießen. "Aber mittel- und langfristig normalisiert sich die Gleichstellung. Das ist historisch bei Frauen oder jüdischen Menschen deutlich. Zugleich sieht man, gerade auch bei diesen, wie brüchig und gefährdet die Gleichberechtigung von Gruppen und Personen ist, die als 'Minderheiten' oder als 'Anders' gelten."

Anmerkung der Redaktion: Patrick Gensing war bis 2022 leitender Redakteur des ARD-faktenfinders und arbeitet inzwischen nebenberuflich als freier Journalist.