Tutorial Von wann ist der Tweet?
Gab es einen Tweet, der den Anschlag von Manchester ankündigte? Kurz nach der Tat Ende Mai verbreiteten mehrere Medien diese Falschmeldung im Netz. Dabei lässt sich in wenigen Schritten klären, wann ein Tweet online ging.
Der Kurznachrichtendienst Twitter hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Informationskanal entwickelt. Insbesondere bei Breaking-News-Situationen suchen Interessierte dort gezielt nach Informationen in "Echt-Zeit" - von Augenzeugen oder auch verifizierten Accounts bespielsweise von Behörden oder Medien.
Ab und an steht man als Twitter-Nutzer aber vor der Frage: Wann wurde ein Tweet erstellt? Diese Frage kann von besonderer Bedeutung sein, wie die Berichterstattung zum Terroranschlag auf ein Konzert in Manchester am 22. Mai zeigt.
Gleich mehrere Medien, darunter die britische Zeitung "Daily Mail", veröffentlichten zwischenzeitlich Berichte, wonach ein Twitter-Nutzer mit arabisch wirkendem Profil Tweets zum Attentat scheinbar bereits vor der Tat veröffentlicht hatte. Der Account @owys663 twitterte unter anderem eine Flagge der Terrorgruppe "Islamischer Staat" mit dem Hashtag #manchesterarena und kurz darauf unter demselben Hashtag: "Are you forget our threat? This is the just terror".
Zeitstempel mit Datum für jeden Tweet
Einziger Hinweis für die betreffenden User und Journalisten, wann der Tweet veröffentlicht wurde, war offenbar der Zeitstempel, den jeder Tweet automatisch zugewiesen bekommt. Dieser Zeitstempel beinhaltet zunächst das Veröffentlichungsdatum und danach eine Uhrzeit - im obigen Beispiel der 22. Mai 2017 um 18:32 Uhr. Der Anschlag von Manchester ereignete sich aber am 22. Mai gegen 22:30 Uhr Ortszeit. Ein zeitlicher Unterschied, der vielen Usern auffiel. Screenshots des Accounts wurden in den Stunden nach der Tat tausendfach geteilt und retweeted. Wenig später wurde der Account gesperrt.
Zeitstempel abhängig von der Zeitzone
Die Lösung für diesen Fall ist einfach: Der User des Twitter-Accounts @owys663 wusste nichts von dem bevorstehenden Manchester-Attentat. Er befand sich schlicht in einer anderen Zeitzone. Denn der bereits erwähnte Zeitstempel eines Tweets wird abhängig von der Zeitzone dargestellt.
Was das bedeutet, wird durch folgenden Vergleich deutlich: Zum Zeitpunkt der Tat war es in Manchester etwa 22:30 Uhr - an der Ostküste der USA aber beispielsweise fünf Stunden früher - nämlich 17:30 Uhr. Andersherum: Wenn ein Twitter-User wie @owys663 in den USA um 18:32 Uhr twitterte, war in Manchester die Tat bereits geschehen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Medien - auch in den USA - bereits über den Anschlag berichtet.
Verwirrung durch die Zeitverschiebung
Zudem ist zu beachten: Der Zeitstempel bei Twitter zeigt normalerweise die Zeitzone des Betrachters - nicht des Erstellers. Ist die Zeitzone des Betrachters nicht weiter definiert - beispielsweise wenn er nicht bei Twitter eingeloggt ist - dann wird offenbar ortsunabhängig die US-Zeitzone Pacific Time angezeigt. Pacific Time ist die Zeitzone der US-Westküste: Dort, in San Francisco, befindet sich das Twitter-Hauptquartier.
Der Blick auf einen Tweet der "Washington Post" macht das Dilemma deutlich: Der folgende Tweet trägt für User in Deutschland - nicht eingeloggt - den Zeitstempel 17:19 Uhr. Wegen der Zeitverschiebung und der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit war es im Moment der Veröffentlichung in Manchester bereits 00:19 Uhr - also deutlich nach der Tat. Zur besseren Visualisierung von Zeitunterschieden zwischen unterschiedlichen Orten können kostenfreie Internet-Konferenzplaner wie dieser hilfreich sein.
Wie kann man einen Tweet im Zweifel prüfen?
Wie erwähnt, wird jeder Tweet mit einem Zeitstempel versehen. Die Anzeige dieses Zeitstempels orientiert sich an der Zeitzone des Betrachter-Profils. Im Seitenquelltext - also auf der Ebene der Programmiersprache, ist für jeden Tweet im Netz aber ein Zeitstempel im sogenannten Unix-Format hinterlegt. Die Unix-Zeit ist ein für Programmierer entwickeltes Format und als solches unabhängig von Zeitzonen. Sie ist relativ leicht umzurechnen und kann dann als Datum mit Uhrzeit angezeigt werden.
Davon wussten die Mitarbeiter der "Daily Mail" nach dem Anschlag von Manchester augenscheinlich nichts. Denn obwohl die Tweets zunächst noch online erreichbar waren, wendete sich die Redaktion an Twitter. So wurde öffentlich bei Twitter beklagt, warum "der Tweet, der den Angriff in Manchester 'vorhersagte' nicht an die Polizei weitergeleitet" worden war. Kurz darauf twitterte die "Daily Mail" eine Bestätigung von Twitter, dass der besagte Tweet erst nach der Tat im Netz veröffentlicht worden war.
Klarheit gibt die Unix-Zeit im Seitenquelltext
Um einen Tweet zu überprüfen, muss dieser Tweet - am besten auf einem stationären Rechner - online angezeigt werden. Der Zugang zum Seitenquelltext verbirgt sich in der Regel in einem Kontextmenü. Dieses wird durch einen Klick mit der rechten Maustaste auf den Tweet geöffnet - optional durch das Drücken der Funktionstaste F12.
Suche nach dem Begriff "data-time"
Mit der Tastenkombination Strg + F wird ein Suchfenster im Browser geöffnet. In das Suchfenster kann nun ein Wort eingetragen werden, dass dann im Seitenquelltext gesucht und automatisch farbig markiert dargestell wird. Die Unix-Zeit eines Tweets findet sich im Seitenquelltext direkt hinter dem Stichwort "data-time".
Im Fall des Tweets der "Washington Post" lautet die entsprechende Stelle im Seitenquelltext: (...) data-time="1495498768" (...). Allein die Zahlenreihe hinter dem Wort "data-time" ist in diesem Fall relevant. Der restliche Programmiertext kann vernachlässigt werden. Die markierte Zahl wird durch die Tastenkombination Strg + C im Zwischenspeicher abgelegt. Wahlweise kann der markierte Text auch über das Kontextmenü (Klick mit der rechten Maustaste über der Markierung) kopiert werden.
Unix-Zeit in reale Zeit umrechnen lassen
Um die Unix-Zeit in ein lesbares Format von Datum und Uhrzeit umrechnen zu lassen, braucht man einen sogenannten Converter. Im Netz gibt es dazu ungezählte Anwendungen, die man jederzeit durch die Eingabe von entsprechenden Suchbegriffen in Online-Suchmaschinen finden kann: Unix Converter, Unix Umrechnung, oder ähnliche Begriffe helfen bei der Suche.
Durch die Tastenkombination Strg + V (oder über den Begriff Einfügen im Kontextmenü) muss die Unix-Zeit nun im Converter eingefügt werden. Nun kann der Converter die Unix-Zeit in eine lesbare Zeit mit Datum und Uhrzeit umrechnen.
Im Fall unseres Tweets der "Washington Post" ist das Ergebnis nun 00:19 Uhr GMT. Die sogenannte Greenwich Mean Time entspricht zufälligerweise auch der Ortszeit von Manchester. Der Tweet der "Washington Post" wurde also gepostet, als die Tat in der Manchester Arena schon fast zwei Stunden zurücklag.
Besondere Achtsamkeit bei Screenshots
Für das Beispiel des bereits gelöschten Accounts @owys663 kann dieser Test nicht mehr durchgeführt werden. Denn die genannten Tweets sind nicht mehr online abrufbar. Aber die Tweets am Tag des Manchester-Attentats machen deutlich, dass besondere Aufmerksamkeit vor allem dann geboten ist, wenn Screenshots in Sozialen Medien geteilt - die betreffenden Quellen aber nicht mehr online abrufbar sind.
Zeitformat kann Hinweis geben
Die Tweets des Users @owys663 - als Screenshots verfügbar - lohnen einen zweiten Blick: Denn das in diesen Tweets angezeigte Datum entspricht nicht den in Europa geltenden Konventionen. Wer seinen Twitter-Kanal beispielsweise in Deutschland verortet hat, bekommt ein Datum in der Regel wie folgt angezeigt: 17:19 - 22. Mai 2017.
Die Tweets von @owys663 sind dagegen mit einem englischsprachigen Datum versehen. Darüber hinaus werden sie in einem für die USA üblichen Format angezeigt: 5/22/17, 6:32 PM - der Monat steht also vorne, gefolgt von Tag und Jahr. Der Tweet der "Washington Post" dagegen wird Nutzern in Großbritannien mit folgendem Zeitstempel angezeigt: 12:19 AM - 23 May 2017. Twitter macht Usern in Großbritannien damit deutlich, dass der Tweet am frühen Morgen des 23. Mai veröffentlicht wurde - also nach der Tat von Manchester. Die Screenshots des Accounts @owys663 stammen dagegen von Nutzern, die sich das Datum im US-Format anzeigen ließen.
Mit der Mitarbeit von Fiete Stegers.