Flucht nach Europa Keine Visa-Lotterie für Deutschland
Das Auswärtige Amt warnt vor Betrügern, die im Netz eine Lotterie für deutsche Visa versprechen. Um über solche Fakes aufzuklären, hat das Amt ein Projekt gestartet, das auch auf Kritik stößt.
Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder
Es ist das Geschäft mit der Hoffnung: Verschiedene Internet-Seiten geben vor, Visa für Deutschland zu verlosen. Auf der Seite "Welcome in Germany Lottery" sind angeblich mehr als 300 "Tickets" zu gewinnen. In einem Countdown auf dieser Seite sinkt die Zahl allerdings rasant. Das soll signalisieren: Schnell bei der vermeintlichen Lotterie registrieren, die Fragen dort beantworten, um möglicherweise eines der Visa zu ergattern.
Zunächst wird dafür auf der Seite die Altersgruppe abgefragt; danach wird Auskunft über den Familienstand verlangt. Und schließlich soll man noch angeben, ob man bereits Deutschland besucht habe. Testeingaben zeigen: Egal, welche Optionen man auswählt: angeblich ist der Besucher stets zu 100% geeignet, um an der vermeintlichen Verlosung teilzunehmen.
Kettenbrief per WhatsApp
Doch dann kommt der Haken: Die Teilnahme an der Visa-Lotterie sei nur möglich, wenn man eine Nachricht per WhatsApp an 30 Personen oder Gruppen sendet. In dem zu verschickenden Text heißt es, Deutschland habe im Internet seine Tore für junge Migranten geöffnet, man solle sich daher beeilen und auf der Webseite registrieren. Ein Kettenbrief also, um die Falschmeldung zu streuen und noch weitere Menschen zur Fake-Verlosung zu locken. Wer hinter dem Projekt steckt, ist unklar.
Doch ist diese Seite kein Einzelfall, es finden sich ähnliche Fakes. Auf einem Portal wird sogar behauptet, Deutschland verlose im Netz nicht nur Visa, sondern gleich Staatsbürgerschaften. Auf Anfrage betonte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts, es gebe weder für Schengen-Visa noch für nationale Visa und auch nicht für die deutsche Staatsangehörigkeit eine sogenannte Lotterie".
Projekt gegen Falschmeldungen
Das Auswärtige Amt warnt zudem ausdrücklich vor solchen Fake-Seiten - und hat sogar eine eigene Internet-Seite eingerichtet, auf der es mit Falschmeldungen und Gerüchten über Deutschland aufräumen will: rumoursaboutgermany.info.
Auf mittlerweile sieben Sprachen - Englisch, Französisch, Arabisch, Tigrinya, Farsi, Urdu und Dari - klärt das Amt seit Oktober 2017 beispielsweise über die "Sieben größten Lügen von Schleppern" auf. Seit dem Start hätten mehr als 340.000 Menschen auf die Website zugegriffen, teilte das Auswärtige Amt mit.
"Wird das Leben in Europa einfach?"
Die Aufklärung über Fake News wird allerdings kombiniert mit Berichten über Migranten, die in Deutschland nicht das erhoffte Glück gefunden hätten und in ihre Heimatländer zurückgekehrt seien. Außerdem berichtet man über deutsche Projekte im Ausland, die Arbeitsplätze schaffen sollten.
Dazu kommen Informationen und Einschätzungen, die als Fragen und Antworten verpackt sind: Kann ich in Deutschland mit Englisch klarkommen? Antwort von rumoursaboutgermany: Nein. Wird das Leben in Europa einfach sein? Nein. Werden Flüchtlinge nach zwei Stunden in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer gerettet? Die Antwort wiederum: Nein.
Aufklärung oder Abschreckung?
Das Ziel sei Aufklärung, nicht Abschreckung, betont das Auswärtige Amt. Das Netzwerk Flüchtlingsforschung bezeichnete die Kampagne hingegen als "Werben gegen Asyl" und kritisierte ungenaue Formulierungen auf der Seite, die rechtlich nicht ganz korrekt seien. Tatsächlich passte das Auswärtige Amt daraufhin seine Angaben an.
Netzpolitik.org berichtete, Ziel des Projekts sei es sehr wohl, potentielle Migranten von der Flucht nach Deutschland abzuhalten - und jene, die bereits hier leben, zur Rückkehr in ihre Heimatländer zu bewegen. Ziele der strategischen Kommunikation im Bereich Migration und Flucht sind demnach, die "Bleibebereitschaft in Herkunfts- und Aufenthaltsstaaten", die "Rückkehrbereitschaft in Transit" und die "Rückkehrbereitschaft aus Deutschland (zu) erhöhen". So steht es in einem ursprünglich als Verschlusssache eingestuften Konzept der Abteilung für strategische Kommunikation.
Kritik von der Linkspartei
Die Linkspartei schrieb in einer kleinen Anfrage, die Kampagnen des Auswärtigen Amts stellten nicht in erster Linie sachliche und hilfreiche Informationen zusammen, sondern dienten "vor allem der Abschreckung von (potentiellen) Asylsuchenden". Zum Teil seien die auf rumoursaboutgermany.info angegebenen Antworten falsch oder irreführend.
"Kampf der Narrative"
Das Auwärtige Amt geht mit seiner Strategie im Netz aber noch einen Schritt weiter. Neben dem Kampf gegen Desinformation ruft man auch den "Kampf der Narrative" aus. Vergangene Woche teilte das Amt in einem Artikel mit:
Desinformation wird im Zeitalter vernetzter digitaler Kommunikation nicht mehr verschwinden und erzeugt so einen dauerhaften Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Informationshoheit - mit potentiell nachteiligen Folgen für demokratisch verfasste Gesellschaften.
Im Koalitionsvertrag sei deshalb erstmals die Bedrohung durch Informationsverfälschung betont und eine Stärkung der Kapazitäten zur strategischen Analyse sowie eine Intensivierung der strategischen Auslandskommunikation angemahnt worden.
Deutschland dürfe im "Wettbewerb der Narrative" nicht nur Beobachter sein. Die Bundesregierung beteilige sich daher gezielt an Debatten in digitalen Räumen, präsentiere "verlässliche, objektiv nachprüfbare Informationen sowie ihr darauf basierendes Narrativ".
Und so sind nicht nur Fake News ein Mittel zum Zweck, um bestimmte Erzählungen oder Narrative zu etablieren, sondern auch der Kampf gegen die Desinformation kann dafür genutzt werden.