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Interview

Katholische Kirche "Wir müssen über das Priesterbild sprechen"

Stand: 21.02.2019 19:34 Uhr

Der Trierer Bischof Ackermann fordert im Interview eine stärkere Kontrolle der Kirchenoberen - und eine neue Studie, die Verantwortliche im Missbrauchsskandal nennen soll.

tagesschau.de: Was dürfen sich die Missbrauchsopfer in Deutschland vom Gipfel im Vatikan erhoffen?

Bischof Stephan Ackermann: Sie dürfen sich erhoffen, dass die Sensibilität, die bei uns in den letzten Jahren wirklich stark zugenommen hat, weltweit Gestalt annimmt. Das wäre auch meine Hoffnung. Ortskirchen sind da schon relativ weit - ob in den USA, Irland oder Australien. Ich würde sagen, auch uns in Deutschland kann man dazu zählen. Aber jetzt geht’s beim Gipfel im Vatikan darum, wirklich auch ein Stück die Kirche in dieser Thematik auf eine Ebene zu heben.

tagesschau.de: Der Papst sagt, es muss auch um konkrete Maßnahmen gehen.

Ackermann: Ja, das erwarte ich mir auch. Es gibt natürlich jetzt schon klare, gesetzliche Vorgaben. Der Papst hat schon vor Jahren festgelegt: Alle Bischofskonferenzen müssen Leitlinien zur Aufdeckung von Missbrauch erlassen. Aber das eine sind Gesetze, die sind da. Es braucht auch die Haltung, das umzusetzen. Nicht zu sagen, das sind die Gesetze und wir lassen uns mal Zeit mit der Umsetzung. Das ist ein wichtiger Punkt.

Und ich würde sagen, im Bereich Prävention sollte es auch konkrete Vereinbarungen geben und auch Instrumente, um zu überprüfen: Wird Präventionsarbeit weltweit in der Kirche gemacht?

tagesschau.de: An was haben Sie da konkret gedacht?

Ackermann: Wir haben in Deutschland klare Maßnahmen von Schulungen oder auch Meldepflichten. Wir arbeiten da natürlich mit dem Staat zusammen, wenn man etwa an ein Führungszeugnis denkt. Da, wo Menschen in der Kirche mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, muss man checken: Sind die Menschen unbescholten?

tagesschau.de: Sie haben sich für eine Veränderung des Kirchenrechts ausgesprochen, die jetzt im Vatikan thematisiert werden soll. Wie soll dieses verschärfte Kirchenrecht aussehen?

Ackermann: Wir haben auf zwei Ebenen Vorschläge: Dezentral für die Bischofskonferenzen, dass es für die Thematik des sexuellen Missbrauchs spezielle Gerichte gibt, um die Dinge zügiger und professioneller bearbeiten zu können. Aber auch im Straf- und Prozessrecht der Kirche insgesamt haben wir Vorschläge, um da auch klarer das Delikt des Missbrauchs zu ahnden - und nicht einfach nur den Verstoß gegen das sechste Gebot (Anm. d. Red.: "Du sollst nicht die Ehe brechen"). Das wollen wir einbringen und ich denke, dass Kardinal (Reinhard) Marx das auch mit nach Rom nimmt.

tagesschau.de: Wird sich auch ändern, dass Betroffene mehr in kirchliche Strafverfahren einbezogen werden? Betroffene kritisieren, dass das bislang nicht der Fall ist.

Ackermann: Wir haben klar gesagt: Wir wollen keine Maßnahmen ergreifen, ohne dass Betroffene einbezogen sind. Denn es gibt sozusagen ein Betroffenenwissen, das kann durch niemand anderen ersetzt werden, auch nicht durch Wissenschaftler. Und das soll einbezogen werden, stärker als bisher.

tagesschau.de: Und wie stellen Sie sicher, dass die Missbrauchsfälle in den Bistümern auch konsequent an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden?

Ackermann: Seit den Leitlinien vom Jahr 2010 haben wir ein ganz klares Reglement, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden muss. Das kirchliche Recht steht nicht über dem staatlichen Recht - im Gegenteil. Insofern ist die Kooperation mit den Staatsanwaltschaften seit 2010 in jedem Fall ganz klar vorgeschrieben.

tagesschau.de: Wie stellen Sie in den Bistümern sicher, dass die Richtlinien auch eingehalten werden?

Ackermann: Das ist die Verantwortung der Diözesanbischöfe. Aber wir sorgen ja auch dafür, dass es eine Verwaltungsgerichtbarkeit in der Kirche geben soll, die es so bisher nicht gibt. Das heißt, wenn jemand den Eindruck hat, ein Bischof, ein Kirchenoberer, ein Generalvikar oder Personalchef kommt seiner Verantwortung nicht in genügendem Maße nach, dann gäbe es hier eine Klageinstanz.

Papst Franziskus betet bei der Eröffnung des Gipfeltreffens zum Thema Missbrauch.

Zum Auftakt der Konferenz in Rom machte Papst Franziskus klar, dass er von dem Treffen konkrete Ergebnisse erwartet.

tagesschau.de: Die Bischofskonferenz hat eine unabhängige Aufarbeitung in Aussicht gestellt. Braucht es dazu nicht externe Gutachter, die in die Diözesen gehen und Akteneinsicht bekommen?

Ackermann: In jedem Fall, das ist auch gemeint. Also wenn es dann entsprechende Kommissionen gibt - und wir unabhängige Aufarbeitung sagen - dann muss es einen Zugriff geben, auch von Menschen, die jetzt nicht aktuell in der Verantwortung der Diözesen stehen, in einer gewissen Abhängigkeit zu dem Bistum.

tagesschau.de: Das heißt, es könnte noch einmal, nach der großen Studie im September, eine Studie geben, bei der nun Originalakten eingesehen werden?

Ackermann: Genau. Aber das wären dann Studien, die auf die Bistümer bezogen werden. Es ist klar, die Bistümer müssen da noch mal jeweils ihrer Verantwortung nachkommen, aber es ist auch klar, hier geht es nicht mehr um Studien in anonymisierter Form, sondern hier geht es um konkrete Verantwortlichkeit.

tagesschau.de: Sie appellieren also an die Bistümer, sich für externe Gutachter zu öffnen?

Ackermann: Ich brauche nicht zu appellieren, wir haben uns als Bischöfe ja darauf verpflichtet.

tagesschau.de: Glauben Sie, dass die Bischöfe da in naher Zukunft mitgehen werden?

Ackermann: Ich gehe davon aus. Wir sind gemeinsam diese Verpflichtungen eingegangen. Ich glaube, es ist wichtig, sich auch von außen Hilfe geben zu lassen.

tagesschau.de: Warum ist das noch nicht geschehen? Es sind ja jetzt schon Jahre, dass das Ausmaß des Skandals zumindest einigermaßen bekannt ist.

Ackermann: Ich würde sagen, wir sind als katholische Kirche da ziemlich weit. Der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung, Herr Rörig, bestätigt mir ja auch, dass wir die Institution sind, die da am weitesten vorangeschritten ist. Aber natürlich sehen auch andere, dass Aufarbeitung mit der Einordnung von einem Geschehen, mit der Nennung von Verantwortlichkeiten ein hochkomplexes Geschehen ist. Und ist gibt ja noch keine öffentlichen Standards, auf die wir jetzt einfach als Bistümer zurückgreifen könnten.

"Macht kontrollieren, Macht teilen"

tagesschau.de: Sie haben in einem Interview gesagt, Machtmissbrauch sei der Knackpunkt des Missbrauchsskandals. Wie bekommen Sie den Machtmissbrauch in den Griff?

Ackermann: Das Mittel gegen Machtmissbrauch heißt: Macht zu kontrollieren und Macht zu teilen. Nötig ist auch eine andere Form von Kollegialität. Wir haben auch gesagt, wir müssen über das Priesterbild sprechen, das Bischofsbild. Also dass es nicht eine falsche Überhöhung gibt, dass Personen nicht als unantastbar dastehen. Wir werden Machtmissbrauch nie völlig ausrotten, das wissen wir. Aber wir können Rahmenbedingungen schaffen, die Machtmissbrauch verhindern, soweit das eben geht.

tagesschau.de: Wie bekommt man solche Dinge schnell umgesetzt? Das ist ja auch ein Kritikpunkt, dass in kirchlichen Verfahren eben vieles sehr, sehr lange dauert.

Ackermann: Da wäre ich jetzt nicht zu pessimistisch - also gerade, wenn es um Strukturveränderungen geht - ich nenne noch einmal das Thema Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es braucht keine Jahrhunderte, bis man da entsprechende Lösungen gefunden hat.

tagesschau.de: Welche Strafen könnten diese Gerichte aussprechen?

Ackermann: Natürlich gibt es kein kirchliches Gefängnis. Im stärksten Falle wird jemand seines Amtes enthoben. Das geschieht ja auch jetzt schon, wir kriegen das vielleicht hier nicht so mit. Aber selbst unter Papst Benedikt sind ja auch schon eine ganze Reihe von Bischöfen ihrer Ämter enthoben worden - etwa, weil sie mit Finanzen nicht verantwortlich umgegangen sind.

tagesschau.de: Aber die Studie vom September hat ja auch gezeigt, dass gerade diese Strafe sehr selten ausgesprochen wurde. Das ist ja ein großer Kritikpunkt gewesen, dass die kirchlichen Verfahren zu selten zu solchen Konsequenzen geführt haben.

Ackermann: Gut, das ist ja auch die Höchststrafe - zu sagen, es hat hier jemand seine Verantwortung nicht genug wahrgenommen. Und das muss ja auch geprüft werden. Es gilt ja bei allen Verfahren - auch denen im staatlichen Bereich -, dass man nicht leichtfertig damit umgeht. Da gilt ja insgesamt im Zweifelsfall die Unschuldsvermutung.

tagesschau.de: Oftmals gab es ja aber auch schon konkrete Hinweise. Also hat das mit der Unschuldsvermutung zu tun, oder werden da auch Prozesse in die Länge gezogen? Es wurden ja auch Akten vernichtet.

Ackermann: Wir sprechen ja von einer Kulturveränderung in der Kirche, die schon begonnen hat. Aber in Ungleichzeitigkeit, das ist ja auch der Anlass für den Gipfel, den der Papst einberufen hat. Natürlich muss man sagen: Es gab auch Dinge, die wurden verschleppt oder vertuscht, weil man die Institution schützen will. Das hat es gegeben. Ich will auch nicht ausschließen, dass sich das heute auch noch abspielt. Aber da ist der klare Wille, diese Auswüchse zu verändern.

tagesschau.de: Es gab ja auch einen Missbrauchsfall im Bistum Trier, bei dem erst zehn Jahre nach einer Strafanzeige von Seiten Ihres Bistums sichtbare Konsequenzen erfolgten. Das war 2016, als Sie auch schon Bischof waren. Wie konnte das passieren?

Ackermann: Ich habe in den letzten Jahren ja schon häufiger gesagt, wir stehen in einem Lernprozess. Also selbst bei dem erklärten Willen, den Missbrauch aufzudecken, sind Fehler nicht ausgeschlossen. Es gibt Fehleinschätzungen. Da stehe ich auch dazu. Das soll das nicht entschuldigen, aber kann es vielleicht ein bisschen erklären.

tagesschau.de: Sehen Sie da auch eine persönliche Verantwortlichkeit bei sich?

Ackermann: Zum Teil ja. Aber ich bin sowieso als Bischof gesamtverantwortlich. Selbst da, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dinge nicht richtig einschätzen, gibt es eine Verantwortung, aus der der Bischof sich nicht einfach entlassen kann.

Das Interview führte Christian Kretschmer, SWR, für tagesschau.de. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und stark gekürzt. Die vollständige Fassung finden Sie als Video in dieser Meldung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 21. Februar 2019 um 17:00 Uhr.