Afghanistan-U-Ausschuss "Lernen - auch für künftige Einsätze"
Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr endete dramatisch. Ein Untersuchungsausschuss arbeitet die letzten Tage der Deutschen am Hindukusch nun auf. Es gehe nicht vorrangig darum, Schuldige zu benennen, sagt der Vorsitzende Stegner.
Die erste Frage, die der Untersuchungsausschuss klären musste, hatte mit Afghanistan herzlich wenig zu tun: Um den Vorsitzenden in geheimer Wahl zu ermitteln, wurde nacheinander vor jedem der zwölf Abgeordneten eine aufklappbare, weiße Papp-Sichtschutzwand aufgestellt, damit auch wirklich niemand beim Kreuzchenmachen zuschauen konnte. Am Ende der Abstimmung stand mit elf Ja-Stimmen und einer Enthaltung fest: Die Sitzungen des Ausschusses leiten wird - wie erwartet - künftig Ralf Stegner von der SPD.
"Das Hauptziel ist natürlich zu lernen - auch für künftige Einsätze", so beschreibt Stegner seinen Anspruch an den Untersuchungsausschuss, den er, wie der Sozialdemokrat im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio betont, nicht als "Kampfinstrument" zum Begleichen politischer Rechnungen verstanden wissen will:
Dass politische Verantwortung immer eine Rolle spielt, ist klar. Aber normalerweise laufen Untersuchungsausschüsse so: Da sind drei Köpfe, wer von denen wird weggeschossen? Das sollte und wird hier nicht so sein.
Macht klar, was er vom U-Ausschuss erwartet - und was nicht: Der Vorsitzende Ralf Stegner.
"Wie konnten wir so blind sein?"
Dass es weniger darum gehe, Schuldige zu suchen, als vielmehr die Wiederholung in Afghanistan gemachter Fehler zu vermeiden, betonen auch die Abgeordneten der anderen Parteien: "Wie konnten wir so blind sein?", fragt sich der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller. Und verweist auf die kolossale Fehleinschätzung des Bundesnachrichtendienstes, dass die Taliban die Macht in Kabul so schnell nicht an sich reißen würden: "Das hatte die katastrophale Situation am Flughafen zur Konsequenz. Aber auch die Räumung der deutschen Botschaft, die im Chaos geendet ist."
Das Ausfliegen des Botschaftspersonals, das um ein Haar schief gegangen wäre. Die hektische Evakuierungsmission in Kabul, die eher einer Flucht glich. Der Umgang mit den afghanischen Ortskräften, die Deutschland entgegen allen Warnungen nicht in Sicherheit brachte, als noch Zeit war, und von denen immer noch Tausende um ihr Leben bangen - all das soll nun intensiv beleuchtet werden.
Wobei die AfD Zweifel am Aufklärungswillen hegt: "Dieser Ausschuss ist bereits jetzt zum Scheitern verurteilt", übte sich der AfD-Abgeordnete Stefan Keuter in Pessimismus.
Verantwortliche sind nicht mehr im Amt
Die entscheidenden Verantwortlichen von damals sind nicht mehr im Amt: Weder Außenminister Heiko Maas (SPD), noch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), noch Innenminister Horst Seehofer (CSU) oder Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Dass auch die ehemalig Bundeskanzlerin und die ehemaligen Bundesminister ihren Beitrag zur Aufklärungkleisten werden", ist sich zumindest der CDU-Abgeordnete Thomas Röwekamp sicher.
Während die einen eher glauben, der Ausschuss werde an Beißhemmungen leiden, erkennt der Grünen-Politiker Robin Wagener gar einen Vorteil darin, dass es vorwiegend um Ex-Ministerinnen und Minister geht: "Weil man aufklären kann, ohne dass die politischen Entscheidungsträger im Amt sind und gerade deswegen auch weniger Rücksichtnahme erforderlich ist", wie Wagener dem ARD-Hauptstadtstudio sagt.
"Dann umsonst, wenn wir daraus nichts lernen"
Ungefähr zwei Jahre werde der Ausschuss wohl brauchen, schätzt der Vorsitzende Stegner. Während dieses Gremium der Schlussphase des weitgehend gescheiterten Einsatzes gewidmet ist, wird sich parallel eine Enquete-Kommission mit den gesamten 20 Jahren am Hindukusch befassen.
Beiden gibt Marcus Grotian vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte eine Botschaft mit auf den Weg. Die Frage aller Fragen, ob dieser Einsatz eigentlich umsonst war, beantwortet er so: "Der Einsatz ist dann umsonst gewesen, wenn wir daraus nichts lernen", sagt Grotian im tagesschau-Social-Live-Interview. Die Messlatte für die Afghanistan-Aufarbeitung hängt also hoch.