U-Ausschuss zu Afghanistan Evakuierungspläne lagen bereit
Erstmals wurden im Untersuchungsausschuss zum Afghanistan-Abzug Zeugen aus dem Auswärtigen Amt befragt. Die Botschaft in Kabul schätzte die Situation demnach deutlich pessimistischer ein als in Deutschland kommuniziert.
Von einem "klaren Trend" spricht der deutsche Diplomat - dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit Februar 2020 "kontinuierlich verschlechtert" habe. Also von jenem Datum an, als die USA mit den islamistischen Taliban ein Abzugsabkommen schlossen.
So berichtete der ehemalige Gesandte, der an der Deutschen Botschaft Kabul auch für die Sicherheit zuständig war, davon, dass bereits Ende 2020 ein "Krisenberatungsteam" aus Berlin angefordert worden sei - weil man sich wegen des anstehenden Abzugs der internationalen Truppen Sorgen machte. Die Evakuierungspläne für die deutsche Vertretung habe er im Juni 2021 "fertig in der Schublade gehabt". Das war zwei Monate vor der Machtübernahme durch die Extremisten. Auch, wenn da in Berlin noch keine Entscheidung über eine Evakuierung getroffen worden sei.
Damit ist das Lagebild vor dem Abzug der Bundeswehr, das aus der Botschaft in Kabul nach Berlin kommuniziert wurde, eindeutig bedrückender als das, was das Außenministerium und die Bundesregierung insgesamt in Deutschland zu der Zeit vermittelten: So war ursprünglich von Innenminister Horst Seehofer noch für Anfang August, wenige Tage vor der Taliban-Machtübernahme, ein Abschiebeflug nach Afghanistan geplant gewesen.
Szenario eines "dauerhaften Bürgerkriegs"
Der deutsche Diplomat muss allerdings auch einräumen, dass er einen Sturm auf Kabul durch die Extremisten oder ein "Emirat 2.0", also eine erneute Taliban-Herrschaft, so nicht habe kommen sehen. Er habe eher das Szenario eines "dauerhaften Bürgerkriegs" für wahrscheinlich gehalten.
Somit gelangte der Mann, der bis zwei Monate vor der Taliban-Machtübernahme Geschäftsführer der deutschen Botschaft Kabul war, zu einer durchaus optimistischeren Einschätzung als sie in der Zeit im Verteidigungsministerium vorherrschte: Dort galt bereits Ende 2020 als das wahrscheinlichste Szenario, dass die Extremisten auf absehbare Zeit wieder die Kontrolle übernehmen und eben ein "Emirat 2.0" errichten würden.
Eine der Schlüsselfragen - ob nämlich Deutschland auf ein schnelles Ende des Einsatzes, ein Kippen der Lage am Hindukusch vorbereitet war - beantwortete der Vertreter des Auswärtigen Amtes so: "Nein, wir waren nicht ausreichend vorbereitet. Aber mir ist kein anderes Land bekannt, das ausreichend vorbereitet war." Am 15. August vergangenen Jahres hatten die Taliban die Macht in Kabul an sich gerissen - gefolgt von einer hektischen Evakuierungsmission des Westens.
"Unzufriedenheit" mit dem US-Abkommen
Einig war man sich in Deutschland aber über die verheerenden Auswirkungen des Abkommens, das die USA zur Amtszeit von Präsident Donald Trump mit den Taliban schlossen und das den Abzug der internationalen Truppen vorsah: Von einem "Geburtsfehler" spricht der deutsche Diplomat in seiner Anhörung.
In einer vertraulichen Notiz aus dem Auswärtigem Amt vom 5. März 2020, die dem ARD-Hauptstadtstudio und WDR Investigativ vorliegt, ist von "Unzufriedenheit" mit dem US‐Taliban‐Abkommen die Rede, die den "USA auf geeignetem Wege mitgeteilt werden" sollte. Auch andere Dokumente erlauben Einblicke in die Vielzahl von Alleingängen, zu denen die USA in dieser Zeit ansetzten.