Interview zum Dioxin-Aktionsplan "Zwei Schritte in die richtige Richtung"
Auf 14 Punkte im Kampf gegen Dioxin-Skandale haben sich Bund und Länder geeinigt - zwei davon hält der Sprecher der Verbraucherschutzorganisation foodwatch, Martin Rücker, für wirklich wichtig: verpflichtende Eigenkontrollen der Futtermittelhersteller und eine bessere Verbraucherinformation. Aber nur, wenn sie nicht durch Ausnahmeregeln abgeschwächt werden, sagt er im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Kann mit dem nun vorgelegten Plan ein neuer Dioxin-Skandal vermieden werden?
Martin Rücker: Das hängt sehr stark von der Umsetzung des Plans ab. Es gibt Vorschläge, die in die richtige Richtung gehen. Die entscheidende Maßnahme ist, dass die Futtermittelhersteller per Gesetz verpflichtet werden, selbst jede Lieferung jeder einzelnen Komponente für Futtermittel auf Dioxin zu testen, dies zu dokumentieren und zu hoch belastete Chargen nachweislich zu entsorgen.
tagesschau.de: Überzeugt klingen Sie aber nicht ...
Rücker: Die große Frage ist: Werden die angekündigten Maßnahmen auch so umgesetzt, oder wird es zu einem Gesetz kommen, das sich durch viele Ausnahmeregeln selbst aushebelt. Schon im 10-Punkte-Plan von Frau Aigner sind Ausnahmen angekündigt, zum Beispiel für "risikoarme" Futtermittelkomponenten. Was soll alles als risikoarm definiert und von der Testpflicht ausgenommen werden? Unsere Forderung ist: Es sollte keine Ausnahmen geben. Denn es ist bekannt, dass Dioxin auf unterschiedlichen Wegen in unterschiedliche Komponenten von Futtermitteln gelangen kann.
Die Unternehmen müssen selbst testen
tagesschau.de: Diese Kontrollen sollten von den Herstellern und nicht von staatlichen Kontrolleuren durchgeführt werden?
Rücker: Das ist von amtlichen Kontrolleuren überhaupt nicht zu leisten. Selbst wenn wir zehn Mal so viele Kontrolleure hätten wie heute, könnten sie nur Stichproben nehmen und nicht mehr. Um eine wirklich flächendeckende Kontrolle hinzubekommen, müssen wir die Unternehmen verpflichten, dies selbst zu tun. Das muss natürlich von den Behörden überwacht werden.
tagesschau.de: Warum ist es so wichtig, dass die Hersteller die Zutaten selber kontrollieren?
Rücker: Im Unterschied zur bisherigen freiwilligen Selbstkontrolle müssten die Betriebe bei einer gesetzlichen Pflicht tatsächlich jede einzelne Charge der Futtermittelzutaten untersuchen und das Ergebnis gegenüber den Behörden dokumentieren. Das würde erstens sicherstellen, dass jede zu hoch belastete Charge auch erkannt wird. Zweitens können die amtlichen Futtermittelkontrolleure dann die Unterlagen prüfen und diese mit ihren Stichproben verifizieren. Im aktuellen Fall war es der Berichterstattung zufolge ja so, dass das Unternehmen in Schleswig-Holstein schon seit vielen Monaten aus eigenen Tests wusste, dass einzelne Komponenten zu hoch belastet sind. Die staatlichen Kontrolleure haben aber im Juli nichts gefunden, und sie konnten auch nicht wissen, dass es so viele Testergebnisse gibt. Sie hatten deshalb keine Möglichkeit, das zu prüfen. Also ist zunächst eine verpflichtende Eigenkontrolle nötig.
Der Streit zwischen Bund und Ländern lenkt nur ab
tagesschau.de: Bund und Länder haben sich im Vorfeld um die Zuständigkeit für die Kontrollen gestritten. War das nötig?
Rücker: Der Streit um die Zuständigkeit lenkt nur ab von dem, was jetzt für mehr Lebensmittelsicherheit getan werden muss. Die Verpflichtung der Hersteller zu Dioxin-Tests bei jeder Lieferung von Futtermittelzutaten kann im Bund geregelt werden. Für die entscheidende Maßnahme liegt also ganz eindeutig die Zuständigkeit bei Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner.
tagesschau.de: Halten Sie denn die Positivliste, in der die erlaubten Zutaten für Inhaltsstoffe festgelegt werden, für wichtig?
Rücker: Das kann man machen, ist aber nicht entscheidend. Denn wenn man regelt, welche Zutaten in Futtermittel hineinkommen dürfen, ist längst noch nicht sichergestellt, dass diese erlaubten Zutaten nicht mit Dioxin belastet werden. Einen ausreichenden Schutz bietet eine Positivliste nicht.
Lückenlose Informationspflicht für die Behörden?
tagesschau.de: Welchen Punkt des Plans halten Sie noch für wichtig?
Rücker: Falls doch Produkte in den Handel gelangen, die nicht den Vorgaben entsprechen, müssen die Verbraucher zeitnah und vollständig informiert werden. Frau Aigner übernimmt im Aktionsplan erstmals unsere langjährige Forderung, dass durch eine Reform des Verbraucherinformationsgesetzes die Behörden keinen Spielraum mehr haben sollen. Laut Aktionsplan müssten sie künftig Grenzwertüberschreitungen und andere Verstöße gegen das Lebensmittelrecht an die Bürger weitergeben.
Entscheidend ist wiederum die Frage der Umsetzung. Auch der ehemalige Verbraucherschutzminister Horst Seehofer hat versprochen, dass "schwarze Schafe" genannt werden müssen, als er das Verbraucherinformationsgesetz 2008 eingeführt hat. Dazu ist es aber nicht gekommen, weil das Wort "müssen" auch in keinem Gesetz steht.
Es wurden so viele Ausnahmeregelungen und Einschränkungen verabschiedet, die dazu führen, dass die Behörden den Verbrauchern die entscheidenden Informationen vorenthalten. Wir erwarten daher eine klare Regelung: Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen und gesundheitsrelevante Informationen über Produkte müssen unverzüglich veröffentlicht werden, und zwar mit den Namen der betroffenen Produkte und der Hersteller oder Händler.
Mehr Lebensmittelsicherheit möglich
tagesschau.de: Wie schätzen Sie den Plan insgesamt ein?
Rücker: Es sind viele oberflächliche Maßnahmen dabei und viele, die nur auf diesen einen aktuellen Dioxin-Fall gemünzt sind, aber das Problem nicht an der Wurzel angehen. Aber im Plan stehen auch die beiden entscheidenden, schon genannten Maßnahmen drin: Eine bessere Verbraucherinformation und verpflichtende Dioxin-Tests bei jeder Futtermittelzutat. Wenn sie richtig umgesetzt werden, dann kann das tatsächlich mehr Lebensmittelsicherheit bringen.
tagesschau.de: Für wie glaubwürdig halten Sie das Vorhaben?
Rücker: Die Erfahrung lehrt uns, skeptisch zu sein. Schon jetzt wird von Ausnahmen gesprochen - es darf aber nicht wieder nur bei Ankündigungen bleiben, wie Horst Seehofers Versprechen, dass die schwarzen Schafe beim Namen genannt werden müssten. Es ist seit langem bekannt, dass Futtermittel eine Risikoquelle sind. Dieses Problem hätte man schon seit Jahren angehen können - Frau Aigner hat in ihrer Amtszeit bislang ebenso wenig die entscheidenden Maßnahmen ergriffen wie zuvor ihre Vorgänger Horst Seehofer oder Renate Künast. Bisher wollte sich kein zuständiger Minister mit der Agrar- und Futtermittelindustrie anlegen. Das ist aber nötig, im Sinne der Verbraucher.
Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de