Scholz' China-Reise Keine Scheu vor kritischen Themen
Kanzler Scholz hat - anders als im Vorfeld von seinen Kritikern befürchtet - bei seinem Peking-Besuch die kritischen Themen nicht ausgespart. Im Gegenteil. Das ist mehr als "Business as usual" - aber auch noch lange keine China-Strategie.
Es ist ein Bild, das für eine schnelle Pointe herhalten könnte: Als Olaf Scholz in Peking die Gangway des Regierungsfliegers herunterkommt, gerät sein letzter Schritt - der erste auf chinesischem Boden - holprig. Er knickt leicht ein.
Daraus könnte man ein Symbol für den ganzen China-Tagesauflug machen - doch bei den offiziellen Terminen danach zeigt sich der Kanzler durchaus trittfester in schwierigem Gelände. Direkter und ausführlicher als manche erwartet hatten, spricht er auch die kritischen Themen an. Der Beginn einer neuen China-Strategie ist das aber noch nicht.
Wenig Stoff für Chinas Propaganda
Vorab war befürchtet worden, dass diese Reise besonders intensiv von der chinesischen Propaganda ausgenutzt wird - gerade zu diesem Zeitpunkt: wenige Monate vor Xi Jinpings 10-jährigem Präsidentenjubiläum und kurz nach dem Parteitag, auf dem er seine Macht für weitere Jahre zementiert hat.
Scholz wurde in chinesischen Medien oft als Verteidiger Chinas dargestellt. Er löse sich vom Druck der USA und "radikalen Anti-China-Kräften", schrieb etwa die Parteizeitung "Global Times". Offenbar war in China allerorten die "pragmatische Zusammenarbeit" als Schlagwort für die Reise ausgegeben worden.
Genau diese Formulierung - "pragmatische Zusammenarbeit" - nutzte dann auch Ministerpräsident Li Keqiang in seinem Statement auf einer Pressekonferenz, bei der keine Fragen zugelassen waren. Olaf Scholz, das werden die Kritiker dieser Reise anerkennen müssen, bot aber wenig Zitate an, die in diese Richtung interpretiert werden können.
Klare Worte zu Russlands Angriffskrieg
Scholz hat fast alle strittigen Themen angesprochen - mal mit mehr, mal mit weniger Nachdruck. Die Verfolgung der Uiguren deutete Scholz nur an. Den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verurteilte er dagegen ausführlich bei einem Pressetermin. Was dazu hinter verschlossenen Türen gesprochen wurde, bleibt freilich unklar.
"Bei aller Kritik am Zeitpunkt der Reise: Genau bei diesem Thema gab es da auch eine Chance", sagt Johannes Vogel, Vize-Chef der FDP. "Die Chance, jetzt China auf seine Rolle hinzuweisen." In den nächsten Tagen und Wochen werde er genau darauf achten, so Vogel: "Gibt es Signale, ob mit Blick auf Russland etwas erreicht werden konnte?"
BioNTech bekommt Zugang zu Chinas Markt
Andere Auswirkungen dieses Kurztrips lassen sich jetzt schon absehen. Für die Wirtschaft war es wichtig, dass Scholz keine Abkehr von China signalisiert. Und einen Erfolg konnte Scholz direkt vor Ort vermelden: Dem Impfstoffhersteller BioNTech wird der Zugang zum riesigen chinesischen Markt gewährt. Erst einmal sollen nur "Expatriates", also in China lebende Ausländer, sich damit impfen lassen können. Er hoffe, so Scholz, dass es bald mehr Berechtigte gebe, "bis hin zu einer allgemeinen Verfügbarkeit des BioNTech-Impfstoffes".
Also doch alles Geschäftemacherei - das könnten Kritiker der Reise nun einwenden. Immerhin war, wie in der Merkel-Ära, eine hochrangige Wirtschaftsdelegation dabei. Und Scholz sprach, neben aller Kritik, immer wieder von "Zusammenarbeit" und "Partnerschaft".
Aber der Kanzler nutzte immerhin auch den Geschäftserfolg für eine politische Botschaft: Deutschland und China würden Corona sehr unterschiedlich bekämpfen, sagte Scholz mit Blick auf die restriktive Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung. Mithilfe des Impfstoffes habe Deutschland "die massiven Einschränkungen des täglichen Lebens wieder lockern können".
China stehe der Weg offen, das auch zu tun. Wer da nicht zugreift, will vielleicht auch gar keine Kontrolle lockern - das ist das Signal an den Gastgeber. Ob es gehört wird, wird der Winter zeigen.
Stoff für neuen Ampelstreit
Weitaus mehr dürfte diese Reise - und alle Diskussionen vorab - innerhalb der Ampel-Koalition auslösen. Die China-Strategie, die die Bundesregierung in den kommenden Monaten erarbeiten will, ist jetzt viel stärker im Fokus. Und Grüne wie FDP erhöhen den Druck auf den Kanzler.
Im Koalitionsvertrag habe man China noch als "Systemrivalen, Wettbewerber und Partner" bezeichnet, so Agnieszka Brugger, stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion. "Aus meiner Sicht hat sich das Verhältnis mittlerweile verschoben." Die Frage stehe im Raum: "Will China noch Partner sein oder dominiert die Systemkonkurrenz?" In jedem Fall müsse die neue China-Strategie einen "Kurswechsel" einleiten, meint sie. "Weg von Merkel-Business as usual", so formuliert es Brugger bei Twitter, noch während der Kanzler in China ist.
FDP setzt auf abgestimmte China-Strategie
Auch die FDP fordert, dass Chinas Weg unter Xi Jinping anders beantwortet werden muss. "Wir brauchen neue Regelungen im Außenwirtschaftsgesetz", fordert Johannes Vogel. Chinesische Investitionen in kritische Infrastruktur, wie im Fall des Hamburger Hafens, müssten erschwert werden. Als übergeordnetes Ziel sieht Vogel: "Wir brauchen eine China-Strategie gemeinsam mit anderen Demokratien."
Vor künftigen Kanzlerreisen nach China könnte man zum Beispiel fragen: "Warum europäisieren wir solche Reisen nicht?" Scholz könnte zusammen mit Macron fahren oder mit einem Vertreter der EU-Ebene, schlägt Johannes Vogel vor. "Das würde an China viel stärker das Signal senden: Ihr redet hier mit den Europäern. Und ihr könnt uns nicht gegeneinander ausspielen."
Scholz‘ Tagesausflug nach Peking war also noch lange nicht der Beginn einer neuen China-Strategie, aber vielleicht das Ende der alten.