Chrupalla bleibt AfD-Chef Der beschädigte Sieger
Tino Chrupalla ist nicht mehr allein AfD-Chef, der Parteitag stellte ihm Alice Weidel zur Seite. Der Frust über ihn war deutlich. Klar wurde auch: Der Ex-"Flügel" dominiert die Partei.
Es gibt Siege, die sich wie Niederlagen anfühlen: Als in der Sachsenarena von Riesa das Wahlergebnis für den alten und neuen Parteichef Tino Chrupalla über die Leinwände eingeblendet wurde, brach zwar der erwartete Applaus aus, begleitet von vereinzeltem Johlen unter seinen Anhängern.
Doch es dürfte sich weniger um frenetischen Sieger- als vielmehr um eine Art Erleichterungsjubel gehandelt haben, dass ihr Kandidat durchkam: 53,45 Prozent - das ist ein noch schlapperes Ergebnis als bei Chrupallas erster Wahl zum Parteichef 2019. Es wirkt wie eine Bestätigung der Theorie, dass der ehemalige Malermeister aus Görlitz zwar umstritten ist, es der Alternative für Deutschland aber an Alternativen mangelt.
"Ich habe gewonnen, das ist die Hauptbotschaft", befand Chrupalla anschließend vor Journalisten. Allerdings nehme er "mit Demut zur Kenntnis", dass sich die Delegierten an ihm abgearbeitet hätten.
Einzelspitze ja, aber jetzt lieber noch nicht
Die erste Niederlage jedenfalls hatte Chrupalla schon vor seiner Wahl hinzunehmen: Zwar hatten die Delegierten beschlossen, dass die Partei künftig auch von einer Einzelspitze geführt werden kann. Doch diese Regel sofort in die Praxis umsetzen wollten sie dann doch nicht. Die unterschwellige Botschaft an Chrupalla: "Dir allein trauen wir das derzeit nicht zu."
Nur wenige glauben, dass es ein Zufall ist, dass Björn Höcke, Partei-Rechtsaußen und Gallionsfigur der Ostverbände, den Einzelspitzenantrag zwar geschrieben hat, aber dann vor der sofortigen Umsetzung warnte.
So jedenfalls ist der Weg dafür geebnet, dass der vom Verfassungsschutz als "rechtsextrem" eingestufte Höcke selbst eines Tages an die Spitze der AfD rückt. Diesmal liebäugelte er zwar mit einer Kandidatur, verzichtete aber schließlich.
Deutlich klareres Ergebnis für Weidel
Nun wird das Bundestagsfraktionstandem also künftig auch die Partei anführen: Im zweiten Duell des Tages setzte sich Alice Weidel erwartet problemlos mit 67,29 Prozent gegen den Europaabgeordneten Nicolaus Fest durch. Ob sie kandidieren würde, hatte Weidel lange offengelassen - doch letztlich setzte sich bei ihr wohl die Erkenntnis durch, dass auch sie für die Partei alternativlos sein würde.
Dass Personal- auch Richtungsentscheidungen sind, ist bei all dem keine Frage: Chrupallas Herausforderer Norbert Kleinwächter - Bundestagsabgeordneter aus Brandenburg, der sich selbst dem moderaten Lager zurechnet - hatte eine kämpferische Bewerbungsrede gehalten. Mit sich zeitweilig überschlagender Stimme versuchte er, den Saal für sich zu gewinnen. Und mit Sätzen wie "Ich bin kein Lagerhengst" wollte er Brücken zum radikaleren Teil der Partei schlagen.
Die 36,31 Prozent für den Außenseiter sind aber nicht viel mehr als ein Achtungserfolg. Und der Beweis dafür, dass die weitgehend vom offiziell aufgelösten "Flügel" dominierten Ostlandesverbände in der Lage sind, gut organisiert ihre Kandidaten durchzuboxen.
Die Parteirechte dominiert
Hingegen fällt es den zersplitterten und von Wahlniederlagen gebeutelten Westverbänden schwer, sich hinter einem Kandidaten zu sammeln. Das gilt auch für das neu gewählte Bundesschiedsgericht. Und auch mit den drei Stellvertretern für die Parteispitze - Stephan Brandner, Peter Boehringer, Mariana Harder-Kühnel - kann der Ex-"Flügel" durchaus zufrieden sein. Soll heißen: Die Parteirechte hat die AfD fest im Griff. Und lässt die anderen noch viel deutlicher als bei den vergangenen Parteitagen in Dresden und Kalkar ihre Macht spüren.
Chrupalla hat sich die Einigung der traditionell zerstrittenen Partei zum Ziel gesetzt. Die "destruktive Stimmung" möge der Vergangenheit angehören, hatte er gleich zum Auftakt des Parteitags in den Saal gerufen. Doch das wird eine Sisyphos-Arbeit. Zwar wurde in Riesa endgültig klar, dass die nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gegen Chrupalla angezettelte Revolte verpufft ist.
Großer Frust bei vielen Delegierten
Doch nachdem der in Riesa seinen Rechenschaftsbericht vorgelegt hatte, waren gleich reihenweise Delegierte an die Saalmikrofone gestürmt und hatten den AfD-Chef ihren Frust spüren lassen: "Wir verlieren seit Anfang 2020 beständig Wahlen", kritisierte einer. Einen "massiven Rückgang bei den Mitgliedern" beklagte ein anderer.
Weil die Unmutsbekundungen gar nicht enden wollten, musste sich Chrupalla schließlich von Weidel retten lassen: "Man muss nicht in jede Kamera sprechen, die vor einem aufgestellt wird. Machen wir doch einfach mal Schluss mit den nach außen getragenen Streitigkeiten", empfahl diese. Und siehe da, kurze Zeit später war auch Schluss; die Debatte wurde abgebrochen. Weidel dürfte innerlich hoffen, Chrupalla in den kommenden Jahren nicht zu oft retten zu müssen.