Wahl in Thüringen Wer ist denn nun "die Mitte"?
"Politische Mitte" - gefühlt war das der Begriff, der von Politikern nach der Thüringen-Wahl am häufigsten gebraucht wurde. Doch wer gehört zur Mitte? Und meinen Wähler und Politiker hier wirklich dasselbe?
Wo sich die CDU selbst verortet, wird schon daran deutlich, dass auf Plakaten hinter ihren Rednerpulten gerne groß "Die Mitte" geschrieben steht. Ihr Thüringer Spitzenkandidat Mike Mohring machte aber schon in einem seiner ersten Statements am Wahlabend klar, dass er diesen Platz nicht alleine für seine Partei beansprucht.
"Dass es in der Mitte keine Mehrheiten mehr gibt, verlangt jetzt neue Antworten", sagte Mohring, und meinte mit Mitte neben der CDU wohl SPD, FDP und mutmaßlich auch die Grünen. Selbst zu viert hätten diese Parteien im Thüringer Landtag keine Mehrheit.
Auch Politologen - wie etwa der Leipziger Hendrik Träger - nennen mittlerweile alle vier, wenn sie von "Parteien der Mitte" sprechen. Aber was ist dann mit den beiden Wahlsiegern der Thüringen-Wahl? Sind die automatisch die Pole am Rand?
AfD nennt sich selbst gerne "bürgerlich"
Die AfD behauptet von sich selber in jüngster Zeit gerne, "bürgerlich" zu sein - ein Begriff, den man gemeinhin in der Mitte der Gesellschaft verortet. Die Linke hingegen trägt schon im Namen, dass sie sich selbst am Rand verortet. Die Wähler in Thüringen sehen das aber offenbar eher andersherum. Das zeigt ein Blick auf die Daten, die infratest dimap am Wahltag und kurz davor erhoben hat.
Viele halten Linke für Partei der Mitte
So sagt fast die Hälfte der Befragten, die Linke sei für sie in Thüringen eine Partei der Mitte. Der nahe liegende Schluss: Aus ihrer eigenen Sicht haben sich viele Wähler, die ihr Kreuz bei der Linkspartei gemacht haben, ausdrücklich nicht für eine Polarisierung entschieden.
Ein weiteres Indiz dafür: Die Linkspartei, die fünf Jahre lang eine von Vielen als erfolgreich bewertete rot-rot-grüne Koalition angeführt hat, bekommt mittlerweile von den Wählern auch Kompetenzen zugeschrieben, die man gemeinhin nicht mit Parteien am linken Rand verbindet - etwa in der Wirtschaftspolitik.
Nachdenken über neue Koalitionen
Sollte die CDU, für die einst auch Koalitionen mit den Grünen undenkbar gewesen wären, also ihr Verhältnis zur Linkspartei überdenken? Die Meinung der Thüringer dazu ist ziemlich deutlich: 69 Prozent sagen, sie sollte nochmal drüber nachdenken, ob sie eine Koalition mit der Linkspartei weiter kategorisch ausschließt. Und selbst die CDU-Anhänger sind in ähnlichem Maß dieser Meinung.
Ganz anders sieht es bei einem möglichen Bündnis der CDU mit der AfD aus. 65 Prozent der Thüringer sagen, die CDU sollte das auch weiterhin ausschließen, von den CDU-Anhängern sagen das sogar 81 Prozent.
Auch vielen AfD-Wählern ist Höcke zu rechts
Im Gegensatz zur Linkspartei wird die AfD von den Menschen in Thüringen weiterhin klar als eine Partei am Rand wahrgenommen. Ein Indiz dafür: 82 Prozent sagen, die Partei distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen. Selbst von denen, die die AfD tatsächlich wählen, sagen das noch etwas mehr als die Hälfte.
Allerdings sagen auch 39 Prozent der Thüringer, die AfD sei eine demokratische Partei - wie alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien. Und das, obwohl der Thüringer Landesverband unter Björn Höcke auch innerhalb der ohnehin schon rechten AfD als besonders weit rechts gilt.
AfD-Chef Alexander Gauland versuchte zwar, dem am Wahlabend entgegenzutreten, indem er sagte: "Herr Höcke rückt die Partei nicht nach rechts. Herr Höcke ist die Mitte der Partei." Die Wähler kommen allerdings zum großen Teil zu einer anderen Einschätzung - auch diejenigen, die selbst AfD-Anhänger sind: 44 Prozent von ihnen sagen, Höcke sei ihnen zu nah an rechtsextremen Positionen.
Den Begriff "politische Mitte" klar zu definieren, war in Deutschland nie möglich. Aber am Beispiel der Grünen wird klar, dass man ihn ohnehin immer wieder neu justieren muss.
Gerade von Konservativen wurden die Grünen lange als "linker Bürgerschreck" gebrandmarkt. Heute hat der einstige Bürgerschreck viele seiner Wählen in klassisch bürgerlichen Schichten - und regiert in mehreren Bundesländern in Koalitionen mit der CDU.