Treffen zur Atompolitik im Kanzleramt Acht deutsche AKW vorerst außer Betrieb
Von den 17 deutschen Atomkraftwerken werden in den nächsten Monaten nur neun Strom liefern. Kanzlerin Merkel einigte sich mit den Ländern darauf, sieben alte Meiler und das Pannen-AKW Krümmel vorerst abzuschalten. Rein juristisch läuft das ganze als "staatliche Anordnung aus Sicherheitsgründen".
Die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke sowie der Pannen-Reaktor Krümmel werden vorübergehend außer Betrieb gesetzt. Dies teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit den fünf Ministerpräsidenten mit, in deren Ländern Atomkraftwerke stehen.
Als Reaktion auf den GAU in Japan würden die Kraftwerke, die vor 1980 in Betrieb gegangenen sind, "für die Zeit des Moratoriums" vom Netz genommen, sagte Merkel. Diese sieben alten sollen nun eingehenden Sicherheitschecks unterzogen werden, ebenso wie die neueren Atomkraftwerke.
Werden die Kraftwerke danach wieder angefahren?
Die Bundesregierung hatte gestern entschieden, die erst im vergangenen Jahr beschlossene Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke vorläufig auszusetzen - und zwar mit einem Moratorium, also einem Aufschub, um drei Monate. Fraglich ist, ob die alten Reaktoren nun jemals wieder angefahren werden. Dies sei offen, sagte Umweltminister Norbert Röttgen nach dem Treffen im Kanzleramt. Gestern hatte er gesagt, er gehe davon aus, dass ein während des Moratoriums abgeschalteter Atommeiler gar nicht wieder ans Netz gehe.
Betroffen sind die Atommeiler Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 in Baden-Württemberg, Isar I in Bayern, Biblis A und B in Hessen, Unterweser in Niedersachsen sowie das derzeit ohnehin vom Netz getrennte AKW Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Zudem bleibt das 1983 ans Netz gegangene und nach Pannen abgeschaltete AKW Krümmel in Schleswig-Holstein vom Netz getrennt. Er werde den zurzeit stillgelegten Meiler vorerst nicht wieder anlaufen lassen und auch darauf dringen, "dass die Betreiber auf das Wiederanfahren verzichten", sagte Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen.
Das Gesetz zur Verlängerung der Laufzeiten war von der schwarz-gelben Bundesregierung erst im vergangenen Jahr gegen heftigen Widerstand der Opposition beschlossen worden, es ist seit Jahresbeginn in Kraft. Damit verbunden waren weit reichende Vereinbarungen mit der Atomindustrie. Wie die Bundesregierung jetzt ihre Kehrtwende rechtlich umsetzen will, ist noch nicht ganz klar. Die vorübergehende Abschaltung werde rechtlich als "staatliche Anordnung aus Sicherheitsgründen" umgesetzt, sagte Merkel. Die notwendigen Überprüfungen seien wegen ihres Umfanges am besten in abgeschaltetem Zustand zu gewährleisten.
Bund und Länder berufen sich dabei auf Paragraph 19 des neuen Atomgesetzes. In Absatz 3 heißt es dort unter anderem, dass die Aufsichtsbehörden anordnen können, "dass (...) der Betrieb von Anlagen (...) einstweilen oder, wenn eine erforderliche Gehmigung nicht erteilt oder rechstkräftig widerrufen wird, endgültig eingestellt wird."
Altmaier: "Beschluss war kein Muss"
Auch Unionsgeschäftsführer Peter Altmaier sieht keine rechtlichen Probleme - weder mit den AKW-Betreibern noch mit dem Bundestag. "Der Verlängerungsbeschluss war kein Verlängerungsmuss." Er habe die Möglichkeit geschaffen, die Atomkraftwerke länger zu betreiben. Er habe aber keine Aussage darüber getroffen, wie lange sie betrieben werden müssen, so der CDU-Politiker. "Wenn die Bundesregierung und die Betreiber sich darauf einigen, von den Möglichkeiten keinen Gebrauch zu machen, sehe ich darin kein verfassungsrechtliches Problem." Vielleicht setze nun auch ein Nachdenken bei den Betreibern ein. "Sie sind gut beraten, wenn sie sich auf die Debatte einlassen."
Atomindustrie: "Nicht einfach den Schalter umlegen"
Die Atomindustrie äußerte sich bislang zurückhaltend. Ralf Güldner, Präsident des Deutschen Atomforums, sagte, man sei nicht glücklich mit der Situation, werde sich aber dem Votum der Politik natürlich beugen. Im Deutschlandfunk betonte er, man könne jetzt "nicht einfach den Schalter umlegen" und zur alten Gesetzeslage zurückkehren. Wenn nun wieder das Atomgesetz aus der Zeit vor der Laufzeitverlängerung gelten solle, "muss das wieder durch ein Gesetzgebungsverfahren gehen".
Nach Einschätzung von EU-Energiekommissar Günther Oettinger muss die gesamte Europäische Union die Atomkraft auf den Prüfstand stellen. Das AKW-Unglück in Japan werfe die Frage auf, ob "wir in Europa in absehbarer Zeit ohne Kernkraft unseren Strombedarf sichern" können, sagte Oettinger im ARD-Morgenmagazin. Da mit Deutschland ein großes Mitgliedsland die Atomkraft auf den Prüfstand stelle, könne das Konsequenzen für die gesamte EU haben.
Oettinger: Debatte mit den USA, China und Russland
Oettinger zieht auch eine Sicherheitsprüfung für alle Atomkraftwerke in der Europäischen Union in Erwägung. Die Entscheidung über die Technologie sei zwar die Sache der einzelnen EU-Länder, sagte Oettinger. "Aber für die Sicherheit ist Europa unteilbar." Es stelle sich auch die Frage, ob die EU die Debatte auch gemeinsam mit den USA, China und Russland führen müsse und die Folgerungen aus dem AKW-Unglück in Japan nicht weltweit gezogen werden müssten. Oettinger war früher Ministerpräsident von Baden-Württemberg und galt damals als entschiedener Befürworter der Atomenergie.