Interview

Ex-Spiegel-Chef Aust zur Wulff-Affäre "So etwas Irres ist mir noch nie vorgekommen"

Stand: 02.01.2012 20:23 Uhr

Bundespräsidiale Tiraden auf der Mailbox: Wulffs Interventionen bei der "Bild"-Zeitung haben für Wirbel gesorgt. WDR 2 sprach mit Ex-"Spiegel"-Chefredakteur Aust über ein "politisches Selbstmordkommando", die journalistischen Interessen der "Bild"-Zeitung und die Zukunft des Staatsoberhaupts.

WDR 2: Wie kann es sein, dass der Bundespräsident persönlich den Chefredakteur einer der einflussreichsten Zeitungen in Deutschland von einer Auslandsreise anruft und ihm droht?

Stefan Aust: Das kann ich Ihnen auch nicht erklären. Das macht einen ja wirklich fassungslos - das klingt fast wie ein politisches Selbstmordkommando, was er da vollzogen hat. Ich kann das gar nicht verstehen.

Natürlich habe ich auch in meiner Zeit als "Spiegel"-Chefredakteur häufig Anrufe von Leuten gehabt, von Politikern, Wirtschaftsleuten, über die wir berichtet haben. Entweder haben sie sich nachträglich beschwert oder sie haben vorher mal angerufen. Aber dass jemand Drohungen, für die er sich dann ja auch anschließend offenbar entschuldigt hat, auf Mailbox, also auf den Anrufbeantworter, auf Tonband spricht - das habe ich noch nie erlebt. Und so etwas Irres, ehrlich gesagt, ist mir noch nie vorgekommen.

Zur Person

Stefan Aust arbeitete bis 1986 für das NDR-Fernsehmagazin "Panorama", bevor er 1988 Kopf und Moderator von "Spiegel-TV" wurde. Von 1994 bis 2008 war Stefan Aust der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Er gilt als einer der besten Kenner der RAF. 1985 erschien sein Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex".

WDR 2: Vor allen Dingen schienen ja auch gerade die "Bild" und Wulff ein gutes Verhältnis zu haben. Die "Bild" schien immer pro-Wulff - und jetzt passiert das. Was könnte da zwischen Kai Diekmann und dem Bundespräsidenten vorgefallen sein?

Aust: Ich glaube nicht, dass das persönliche Gründe hat. Ich kenne ja Kai Diekmann nun ganz gut, der ist natürlich primär Journalist. Und er ist primär jemand, der, wenn er eine Geschichte hat, sie auch veröffentlicht. Auch wenn er denen vielleicht politisch einmal nahe gestanden hat - oder nahe steht -, kennt die "Bild"-Redaktion dann im Endeffekt keine Kameraden, wenn es eine gute und interessante und wichtige Geschichte gibt, die veröffentlicht werden muss.

Und natürlich war die Geschichte mit den Krediten und den Umständen dieser Kredite eine außerordentlich fragwürdige Geschichte, die auch jeder andere veröffentlicht hätte, wenn er sie gehabt hat. Dahinter eine politische Strategie zu vermuten, ist - glaube ich - falsch.

K. Hermes, WDR 2 Zwischen Rhein und Weser, 02.01.2012 19:38 Uhr

Keine Erpressung - einfach eine gute Geschichte

WDR2: Aber wie konnte die "Bild" Wulff offensichtlich im Hintergrund derart unter Druck setzen, dass er sich zu diesem Telefonat hat hinreißen lassen? Sie kennen ja das Geschäft: Wurde da Angst geschürt, gibt es vielleicht sogar Erpressung?

Aust: Nein, das glaube ich nicht. Natürlich denkt man immer - das hat man beim "Spiegel" früher auch immer gedacht -, dass da in der Schublade gewaltige Dinge liegen, die nur veröffentlicht werden können. Dass man nur auf den Zeitpunkt wartet, wo sie aus politischen Gründen veröffentlicht werden sollten.

Ich sage Ihnen: Das ist alles Mumpitz. Normalerweise ist es so, dass, wenn man eine Geschichte hat, die gut recherchiert und relevant ist, die auch hält - auch im Zweifel vor Gericht - dann veröffentlicht man sie. So wird es auch gewesen sein.

Ob nun der Bundespräsident vermutet, dass da noch mehr in der Schublade liegt - von dem vielleicht auch nur er weiß - und dass er deshalb Angst hat, das kann ich auch nur mutmaßen. Denn eine solche Reaktion, eine solche Aktion, auch eine solche Unvorsichtigkeit, sozusagen das auf Mailbox zu sprechen... Wissen Sie, wenn man jemandem was unter vier Augen sagt, nun gut, das mag man tun - aber wenn man sozusagen ganz bewusst es auf die Mailbox spricht, dann muss man von allen guten Geistern verlassen sein.

WDR 2: Aber warum ist dann die "Bild" damit nicht selbst an die Öffentlichkeit gegangen, dass Wulff angerufen hat und eben derartiges getan hat?

Aust: Ich nehme an, weil es natürlich sozusagen eine Grauzone ist. Telefongespräche darf man erstens nicht aufzeichnen, und man darf sie dann auch weder vor Gericht noch sonst irgendwie verwenden. Wenn man ein Telefongespräch führt und etwas mitschreibt, dann gibt es hinterher immer zwei Aussagen darüber, was man tatsächlich gesagt hat. Wenn jemand etwas auf einen Anrufbeantworter spricht, dann kann man sagen: "Na gut, jetzt hat er sich auch noch dafür entschuldigt, jetzt machen wir erstmal nichts daraus."

Aber wenn das dann durchsickert - und ich sage Ihnen, es sickert alles durch -, und wenn in irgendeiner Redaktionskonferenz darüber gesprochen wird, dann muss man gar nicht mutmaßen, dass die das jetzt an die Kollegen von der "Süddeutschen" oder so gezielt weitergegeben haben - sondern dann spricht sich das rum. Sie können in dieser Branche überhaupt nichts unterm Deckel halten.

Ich habe sehr häufig, wenn mich vorher Leute angerufen haben, als erstes gesagt: "Haben Sie mit den Redakteuren geredet?" Dann habe ich mit den Redakteuren geredet, habe gefragt "Habt Ihr den konfrontiert mit den Vorwürfen?", und ich habe den Leuten meistens gesagt: "Wissen Sie, die Zahnpasta, die einmal aus der Tube ist, die kriegen Sie nicht wieder zurück!" Und wenn jemand auf einen Anrufbeantworter spricht, dann muss er davon ausgehen, dass das irgendwann bekannt wird. Warum sollte jemand das auch geheim halten, wenn er solche Anrufe bekommt?

"Für Wulff wird es sehr eng"

WDR 2: Also, man kann zumindest von unserem Bundespräsidenten sagen, das war auf jeden Fall sehr ungeschickt - und Sie finden es auch ungeheuerlich, wie Sie eben sagten. Alles in allem, nach dem, was jetzt heute noch rausgekommen ist: Muss Wulff aus Ihrer Sicht zurücktreten, Herr Aust?

Aust: Ach Gott, wissen Sie: Ich glaube, wenn nicht der vorherige Bundespräsident aus, ja nun wirklich etwas dürftigen Gründen zurückgetreten wäre, und wenn es diesen Staat nicht geradezu in eine Krise bringen würde - oder sagen wir mal die Politik in eine Glaubwürdigkeitskrise -, wenn jetzt schon wieder nach kurzer Zeit ein Bundespräsident zurücktritt - dann würde ich fast davon ausgehen, dass er das auf Dauer nicht übersteht.

Es wird ja nicht besser für ihn, es wird ja immer schlimmer. Und die Glaubwürdigkeit eines Bundespräsidenten ist sein wichtigstes Kapital. Wenn man das auf diese Weise verspielt, dann wird es schon sehr eng.

Das tut mir richtig leid, ehrlich gesagt, auch für ihn. Aber für den Staat in Wahrheit noch mehr.

Das Interview führte Kerstin Hermes, WDR 2