Politologe Faas "Die Verlierer spielen auf Zeit"
Ein "historisches Debakel" war die gestrige Wahl für CSU und SPD, meint Politologe Faas im tagesschau.de-Interview. Trotzdem könnte erstmal alles weiterlaufen wie bisher. Zumindest bis zur Hessen-Wahl.
tagesschau.de: Es ist für die CSU nicht ganz so schlimm gekommen, wie befürchtet, dennoch hat sie das schlechteste Ergebnis seit 1950 eingefahren. Welche Konsequenzen wird das haben?
Thorsten Faas: So oder so muss man festhalten: Das ist ein Debakel für die CSU. Aber da die Umfragen im Vorfeld auf ein noch viel schlechteres Ergebnis hingedeutet haben, gibt es jetzt wohl so etwas wie erleichterte Betroffenheit bei der CSU. Bislang deutet sich nicht an, dass irgendwelche Konsequenzen gezogen werden. Auffällig war, dass der Ministerpräsident Markus Söder sehr früh auf allen Kanälen präsent war, um seine Botschaften zu platzieren. Daran kann man eine gewisse Nervosität und Unsicherheit ablesen.
"Potenzial für Personaldiskussionen gedämpft"
tagesschau.de: Insbesondere Horst Seehofer wird von den Wählern für den schlechten Zustand der CSU verantwortlich gemacht. Wird er sich nach diesem Ergebnis halten können?
Faas: Der zeitliche Druck, eine Regierung zu bilden, ist durch die bayerische Verfassung sehr hoch. Das dämpft das Potenzial für Personaldiskussionen. Zugleich muss man sagen: Bei der Dimension der Verschiebungen, die wir gestern gesehen haben - bei CSU wie bei SPD - wäre es dem Wähler schwer vermittelbar, wenn alle einfach so weitermachten.
Dass Seehofer in den Fokus der Schuldzuweisungen geraten wird, war im Vorfeld schon klar, und die Zahlen aus Umfragen sind ja hier sehr eindeutig. Andererseits ist es auch für Söder gefährlich, wenn jetzt Personaldebatten losgehen, denn dann kann auch er schnell in diesen Strudel geraten. Insofern war es interessant zu sehen, dass er sich gestern erstmal moderat geäußert hat, auch zur Frage nach Seehofer. Dieses Spitzenduo, auch wenn es sich nicht wirklich als solches versteht, hat jetzt dennoch ein gemeinsames Interesse, erstmal die Regierungsbildung hinzubekommen und so Zeit zu gewinnen.
"Söder und Seehofer rücken zusammen"
tagesschau.de: Aber wann wäre denn dann der Zeitpunkt, wo man diese Diskussion nochmal aufrollen soll oder könnte, wenn nicht unmittelbar nach der Wahl?
Faas: Es stimmt. Die zeitlichen Abläufe spielen Söder und Seehofer gerade in die Hände. Es scheint, als ob man jetzt in der Stunde der Niederlage doch zusammenhält. Seehofer hat sich gestern ja auch strategisch klug an Söder gekettet, indem er ihm seinen Dank und seine Anerkennung für den Wahlkampf ausgesprochen hat. Es könnte also sein, dass für die absehbare Zukunft erstmal alles so bleibt. Das wäre angesichts des Wahlergebnisses zwar paradox, aber ist die wahrscheinlichste Variante.
tagesschau.de: Noch härter hat es gestern die SPD getroffen. Sie haben ihre Wählerschaft mehr als halbiert. Wie kann diese Partei weitermachen nach so einem Ergebnis?
Faas: Für die SPD ist das ebenfalls ein historisches Debakel. Sie hat sich nicht nur halbiert. Es ist sogar noch schlimmer: Sie ist einstellig geworden. Und die Symbolkraft, die das auch für die öffentliche Wahrnehmung hat, sollte man nicht unterschätzen. Man ist nun endgültig keine große Partei mehr, und das bringt die SPD wirklich nah an den Abgrund.
Ihre Spitzenkandidatin Natascha Kohnen hat ja gestern - anders als Seehofer und Söder - zumindest implizit angedeutet, dass man jetzt alles in Frage stellen müsse, inklusive ihrer eigenen Person. Da werden Konsequenzen gezogen werden müssen, zunächst einmal mit Blick auf Bayern. Aber auch die Partei insgesamt taumelt und es ist eine offene Frage, wie es mit der Großen Koalition weitergeht. Was die SPD derzeit allerdings zunächst befriedet oder ruhig stellt, ist die bevorstehende Wahl in Hessen, die ihre Schatten vorauswirft. Wenn es in Hessen ein annähernd ähnlich schlechtes Ergebnis gibt, hat das für die Partei unabsehbare Konsequenzen.
"GroKo noch fragiler geworden"
tagesschau.de: Unabsehbar? Wäre dann nicht endgültig klar, dass die Profilierung und Erneuerung mit diesem Personal, in dieser Regierung gescheitert ist?
Faas: Man darf nicht vergessen, dass die SPD in den vergangenen Jahren viele Turbulenzen an der Parteispitze erlebt hat, und das hat der Partei sicher nicht gut getan. Und ich glaube schon, dass es Andrea Nahles gelungen ist nach innen das eine oder andere positiv zu beeinflussen. Trotzdem wird durch solche Wahlergebnisse in Frage gestellt werden, ob sie die Richtige ist. Andererseits kann ich derzeit auch nicht erkennen, wer eine glaubwürdige Alternative sein könnte.
Eigentlich müsste man jetzt sagen: In solch turbulenten Zeiten sind Ruhe und Stetigkeit angezeigt. Der gestrige Abend hat ja gezeigt, dass es gar nicht so sehr auf bestimmte präzise Positionierungen ankommt, sondern darauf, als Partei glaubwürdig zu wirken und authentisch zu sein. Vertrauen kann die SPD nur dann wieder zurückgewinnen, wenn sie glaubwürdig für Positionen der Gerechtigkeit eintritt. Aber die Große Koalition ist sicherlich durch die gestrige Wahl noch fragiler geworden.
tagesschau.de: Wie wird sich das auf die Zusammenarbeit auswirken?
Faas: Sicherlich wird die SPD den Druck auf Angela Merkel erhöhen, um endlich in einen echten Arbeitsmodus zu finden. Die Notwendigkeit der SPD, sich selber mehr zu profilieren, wird die Zusammenarbeit in der Koalition nicht erleichtern. Ähnlich ist es mit der CSU. Andererseits wissen alle drei Parteien, dass die Große Koalition eine verheerende Außenwirkung hat und dass der Eindruck, sie seien vor allem mit sich selbst beschäftigt, vom Wähler nicht goutiert wird. Aus diesem Dilemma hat man in den vergangenen Monaten keinen Ausweg gefunden. Es wird aber spannend sein, ob das Debakel in Bayern hier nicht ein positives Momentum entfalten könnte.
"Die Grünen gewinnen insgesamt an Stärke"
tagesschau.de: Die eigentlichen Wahlgewinner des Abends waren ja die Grünen. Aber wird ihnen das überhaupt etwas nützen?
Faas: Es läuft insgesamt sehr gut für die Grünen, und das könnte durchaus nachhaltig sein. Dass sie weder im Bund, noch - so wie es derzeit aussieht - in Bayern mitregieren, kann man ihnen ja nicht selber anlasten, sondern das liegt an den anderen Parteien. Aber die Grünen werden durchaus als Alternative gesehen und als glaubwürdiger potenzieller Regierungspartner.
Eine Lehre der vergangenen Wochen ist auch, dass sich die politischen Konfliktlinien verschoben haben. Die Grünen sind der natürliche Gegenpol von CSU und AfD, wenn wir über eher kulturelle Fragen streiten. Und auch die Rolle als stärkste Oppositionspartei im bayerischen Landtag sollte man nicht unterschätzen. Sie gewinnen insgesamt an Stärke und werden sicher auch in Zukunft noch stärker thematische Akzente setzen können.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.