Zweite Nationale Bologna-Konferenz Was bringen Bachelor und Master?
Fortschritt oder Frust? Bildungsministerin Schavan lädt heute zur Diskussion über den Bologna-Prozess ein. Die Einführung von Bachelor und Master sollte das Studium in Europa vereinheitlichen. Ob die Erwartungen erfüllt wurden, hat tagesschau.de Vertreter von Hochschule und Wirtschaft gefragt.
1. Was erwarten Sie von einer "guten" Universität?
Reinhard Brandt, Philosoph: In einer guten Universität steht die Erkenntnis in einzelnen Disziplinen im Vordergrund. Sie wird aus der Logik des Faches aufgebaut, bemisst sich an internationalen Standards und vernetzt sich nach den überkommenen und neuesten Maßstäben. Ziel ist die Entwicklung einer kritischen Urteilskraft.
Rolf Dobischat, Sozialwissenschaftler: Dass sie ihre Studierenden als Angehörige der Hochschule versteht, dass sie sie ernst nimmt und in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt. Eine gute Universität nimmt die Lehre genauso ernst wie die Forschung. Eine gute Universität weiß, dass sie für die Studierenden da ist – nicht umgekehrt. Und: Eine gute Universität interessiert sich für den sozialen, den finanziellen Background ihrer Studierenden, und sie wehrt sich gegen die eklatante soziale Selektivität unseres Hochschulsystems.
Arend Oetker, Unternehmer: Von einer guten Universität erwarte ich, dass sich alle Studenten gleichermaßen wohl fühlen und ihre Talente und Fähigkeiten entfalten und entwickeln können. Jene, die eine wissenschaftliche Laufbahn anstreben, ebenso wie jene, die später einen anspruchsvollen Beruf in Wirtschaft, Kultur oder Verwaltung ergreifen wollen. Zu dieser Entfaltung gehört auch, Bachelorabsolventen, deren Wunsch und Befähigung vorausgesetzt, nicht vom Masterstudium auszusperren. Eine aktuelle Studie des Stifterverbandes zeigt zum Glück, dass entsprechende Sorgen unbegründet sind.
Mehr als 30 Jahre lang lehrte Brandt Philosophie an der Universität Marburg. Seine Abschiedsvorlesung trug den Titel "Zustand und Zukunft der Geisteswissenschaften". 1982 gründete er zusammen mit Werner Stark das Marburger Kant-Archiv. Lehraufträge führten Brandt nach Caracas, Canberra und Rom.
2. Hat sich die Umstellung auf Bachelor und Master gelohnt?
Brandt: Nein.
Dobischat: Es ist zu früh, als dass ich das schon beantworten könnte. Die Umstellung hat sich dann gelohnt, wenn Bachelor-Absolventen ein gutes, wissenschaftlich fundiertes Wissen haben, gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, gute Möglichkeiten für einen Auslandsaufenthalt schon im Bachelor-Studium. Wenn es tatsächlich gelingt, dass man nach einem Bachelor-Abschluss und einigen Jahren Berufstätigkeit problemlos einen Master draufsatteln kann – und auch genügend Master-Studienplätze zur Verfügung stehen.
Oetker: Ja. Nur ein Grund unter vielen: Es sind für die Studenten vielfältige Möglichkeiten entstanden, sich individuelle Bildungspakete zu schnüren. Endlich ist es möglich, den Bachelor im einen Fach mit einem Master in einem anderen zu kombinieren. Oder nach dem Bachelor in den Beruf einzusteigen und später zielgenau einen Master draufzusatteln. Das machen erst wenige, aber im alten System ging all das gar nicht.
Seit 2006 ist Dobischat Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW). Das DSW will die sozialpolitischen Interessen der Studenten vertreten. Alle drei Jahre liefert das DSW mit der Studie zur "wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden" grundlegende Daten für die studentische Sozialpolitik.
3. Wie müsste eine Reform der Reform aussehen?
Brandt: In einer Reform der Reform ist auf das Erkenntnisinteresse und die Mündigkeit der Studierenden zu setzen: Abbau des Prüfungswahns und freie Gestaltung eines breit angelegten Studiums. Für diejenigen Studierenden, die lediglich eine berufsbezogene Ausbildung suchen, sollten getrennte Angebote geschaffen werden.
Dobischat: Das, was nach den Studierenden-Protesten 2009 angelaufen ist, ist auf jeden Fall die richtige Richtung: Die Hochschulen bessern da, wo es nötig ist, im Dialog mit den Studierenden nach. Knackpunkte bleiben für mich die zu geringe Auslandsmobilität im Bachelor-Studium und die Frage, ob es genügend Master-Studienplätze gibt. Aber ich glaube, die Reform der Reform ist gut angelaufen.
Oetker: Einige Hochschulen haben zu viel Stoff aus den alten Studiengängen unverändert in die neuen gestopft. Andere Universitäten haben es mit der Prüfungslast übertrieben. Doch Universitäten wie Darmstadt oder Bayreuth beweisen mit gut studierbaren Fächern und geringen Abbrecherquoten, dass die Reform gelingen kann. Die Hochschulen, an denen es Probleme gibt, sollten sich an diesen und anderen guten Beispielen orientieren.
Der Unternehmer (Urenkel des legendären Firmengründers August) übernahm 1998 den Vorstandsvorsitz des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Der Zusammenschluss von 3000 Unternehmen, Verbänden und Einzelstiftungen will die Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Bildung verbessern.
Zusammengestellt von Ute Welty, tagessschau.de