Ukraine-Botschafter Melnyk Alles andere als diplomatisch
Andrij Melnyk ist als Botschafter der Ukraine in Deutschland alles andere als vornehm diplomatisch. Für die Bundesregierung ist das oft unbequem. Dabei sagt er, was viele in Osteuropa denken.
Der Krieg ist zehn Stunden alt, als Andrij Melnyk vor die Kameras der Hauptstadtmedien tritt. In dunklem Anzug und dunkler Krawatte, wie immer elegant, spricht der Botschafter der Ukraine über die Ereignisse in seiner Heimat: Russland habe einen Vernichtungskrieg begonnen, Panzer rollten aus Belarus auf Kiew zu, die militärische Aggression habe eine Dimension, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben habe.
Melnyk spricht frei heraus, mit weichem Akzent. Er habe wenig schlafen können. Seine Nichte in Kiew habe die Nacht in einem Luftschutzbunker verbracht, das bedrücke ihn. Seine Worte lassen den Krieg für einige Momente nah erscheinen in dem Botschaftsgebäude in Berlin unweit der Friedrichstraße. Es vermittelt schon beim Eintreten eine Atmosphäre, als sei man im 1200 Kilometer entfernten Kiew.
Der Botschafter warnt, Russland habe auch Europa den Krieg erklärt. Es drohe eine Flüchtlingswelle. Wie in den Wochen zuvor fordert er einen Stopp von Nordstream II und Waffenlieferungen. Die Bundesregierung müsse Putin dazu bringen, den "Wahnsinn" zu stoppen.
Unermüdlicher Mahner
Vor dem Gebäude legen in diesen Stunden die ersten Menschen Blumen und Kerzen nieder. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kommt zum Gespräch in die Botschaft, während vor dem Bundeskanzleramt Tausende von der Bundesregierung fordern, sich endlich zu bewegen. Drei Tage später läutet Kanzler Olaf Scholz im Bundestag die Wende in der deutschen Außenpolitik ein. Melnyk wird mit lang anhaltendem Applaus auf der Zuschauertribüne begrüßt.
Gauck umarmt Melnyk auf der Zuschauertribüne des Bundestages.
Mitten im Krieg bleibt er der unermüdliche Mahner, der den Deutschen ins Gewissen redet, ob es um die Waffen geht, eine Flugverbotszone über der Ukraine oder den Stopp der Öl- und Gaslieferungen aus Russland.
Seit Kriegsbeginn trifft er auf mehr Verständnis. Aber nach dem ersten Schock über den russischen Angriffskrieg äußern sich auch wieder jene, die Putin entgegenkommen wollen. Mancher Experte fordert ein Kriegsende durch Kapitulation der Ukraine - ohne zu berücksichtigen, was die Menschen dort wollen.
"Unerträglich"
Mit seiner so gar nicht diplomatischen und eleganten Art, Vorwürfe gegen hochrangige Politiker zu äußern und bisweilen Kraftausdrücke zu verwenden, stößt er allerdings seit längerem auf Unmut in Berlin.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier machte er im Februar schwere Vorwürfe, als dieser Nord Stream II als "fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa" verteidigte. "Zynisch" nannte Melnyk es, dass der Bundespräsident in diesem Zusammenhang auf das "größere Bild" von der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg verwies. Der Ukrainer kritisierte scharf, dass Steinmeier Russland mit der Sowjetunion gleichgesetzt habe. Das unermessliche Leid anderer Völker der UdSSR werde komplett ausgeblendet.
Auch den Bundeskanzler ging er an. Dass Scholz bisher einen Lieferstopp von Energieträgern aus Russland ablehnt, sei ein "Messer in den Rücken der Ukraine", sagte Melnyk der "Welt". Ein paar Tage später platzte einem SPD-Politiker der Kragen. "Ich finde diesen 'Botschafter' mittlerweile unerträglich", schrieb Sören Bartol, Staatssekretär im Bauministerium, am 16. März in einem Tweet. Später allerdings löschte er ihn und bat um Entschuldigung.
Mangelnde Differenzierung
Melnyk liefert seinen Gegnern Argumente mit Aussagen zum Asow-Regiment. Die rechtsextreme Bewegung hatte sich im 2014 beginnenden Krieg um die Ostukraine gebildet. Der politische Arm pflegt Verbindungen zu Rechtsextremen in Europa. Der militärische Teil wurde in die Nationalgarde eingegliedert und untersteht dem Innenministerium in Kiew. Die UN-Menschenrechtsorganisation OHCHR wirft dem Asow-Regiment Menschenrechtsverletzungen vor. Auch in den neuerlichen Kampf um Mariupol ist es involviert, stellt mit etwa 2000 Mann aber nur einen kleinen Teil der ukrainischen Kräfte.
Melnyk sieht vor allem, dass die russische Propaganda das Asow-Regiment als "Fake-Narrativ" von der "Entnazifizierung" der Ukraine verwendet, mit der der "Vernichtungskrieg gegen Frauen und Kinder in Mariupol" gerechtfertigt werde. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit einem Nationalismus zwischen Rechtsextremismus und Selbstbehauptungs- und Überlebenswillen ist in dieser Lage schwer zu führen.
Das trifft auch auf die kontroverse historische Figur Stepan Bandera zu. Melnyk legte 2015 am Grab des ukrainischen Nationalisten in München Blumen nieder. Im Zweiten Weltkrieg kollaborierte Bandera zeitweise mit der Wehrmacht. Später war er aber Gefangener im Konzentrationslager Sachsenhausen und wurde schließlich vom KGB ermordet. Auch für diesen Fall bleibt in der aktuellen Lage wenig Raum für Differenzierung und die Anerkennung von Versäumnissen bei der Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges - auf beiden Seiten.
Melnyk gibt Stimmung in Russlands Nachbarschaft wieder
Melnyk selbst erlebte als Kind die letzten Jahre der Sowjetunion. Der 46-Jährige wuchs in einem Akademikerhaushalt im westukrainischen Lwiw auf und erhielt nach der Wende die Chance, an der Universität von Lwiw internationale Beziehungen zu studieren. Zu den Stationen seiner diplomatischen Laufbahn zählen das Konsulat der Ukraine in Hamburg und die Botschaft in Wien. Nach Posten in der Regierung in Kiew kam er 2014 als Botschafter nach Deutschland - das Jahr, in dem der Krieg in der Ostukraine begann.
Wenn er davon spricht, dass Europa in der Ukraine verteidigt werde, so gibt er die Ansicht vieler in seinem Heimatland und in der Nachbarschaft Russlands wieder. Auch Abgeordnete des ukrainischen Parlaments zum Beispiel warnten in Gesprächen vor Putin. Ähnliches konnte man in Estland, Georgien oder auch Schweden hören.
Der heutige Wirtschaftsminister Habeck ließ sich schon im vergangenen Jahr bei einem Besuch in der Ostukraine davon überzeugen, dass die Ukraine Verteidigungswaffen brauche.
"Deutsche Politikelite lebt in eigener Welt"
Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy, der für deutsche Medien aus Kiew schreibt, sieht Melnyk in einer Reihe mit dem vergleichbar jungen Außenminister Dmytro Kuleba: "Auch er spricht sehr deutlich und sagte auch den G7-Botschaftern immer klar, wenn er mit etwas unzufrieden war oder sie sich nach seiner Auffassung zu sehr in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einmischten."
Grundsätzlich finde er das gut, so Trubetskoy. Hinsichtlich Melnyks Ton und dessen deutlichen Ansagen an die Deutschen war der Journalist "ein bisschen skeptisch". Doch im Endeffekt habe Melnyk oft recht gehabt, auch mit seinen ständigen Forderungen nach Waffenlieferungen. Trubetskoy erinnert an die viel kritisierte Bundestagssitzung nach der Rede von Präsident Wolodymyr Selenskyj und sagt: Dass die deutsche Politikelite über ihn verärgert sei, finde er unter den aktuellen Umständen nicht so schlimm. "Sie lebt immer noch in ihrer eigenen Welt und wird es ertragen können, zumal viele seiner Punkte grundsätzlich stimmen."
Im Überlebenskampf seines Landes achtet Melnyk nicht auf Sympathie für seine Person. Er sieht neben den russischen Panzern und Raketen in seinem Land auch die Propagandamaschinerie des Kreml, dessen internationale Vertreter vom UN-Botschafter in New York bis zu Außenminister Sergej Lawrow nicht nur arrogant auftreten, sondern zur Rechtfertigung des Angriffskrieges auch Lügen verbreiten.