Interview

ARD-Rechtsexperte zum Urteil "Das Parlament ist enorm gestärkt"

Stand: 07.09.2011 14:54 Uhr

Die Griechenland-Hilfen und der europäische Rettungsschirm sind verfassungsgemäß - auf den ersten Blick eine Bestätigung der EU-Politik von Kanzlerin Merkel. Bei der Umsetzung soll jedoch das Parlament ein entscheidendes Wörtchen mitreden - mehr als der Bundesregierung lieb ist. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam, welche Folgen das Urteil hat.

tagesschau.de: Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der bisherige EU-Rettungsschirm rechtens war. Andererseits fordert es, dass künftig das Parlament und der Haushaltsausschuss stärker einbezogen werden. Widerspricht sich das nicht?

Frank Bräutigam: Nein, die Richter stellen nicht den Rettungsschirm an sich in Frage, der sei grundsätzlich in Ordnung, also mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie fordern aber, dass bei seiner konkreten Ausgestaltung der Bundestag stärker beteiligt wird. Vor jeder neuen Auszahlung oder Garantie-Übernahme muss künftig immer erst der Haushaltsausschuss zustimmen. Das war von der Regierung anders geplant. Da war nur davon die Rede, dass sie sich um das Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss bemühen muss. Das ist ein großer Unterschied. Das heißt, dass das Begleitgesetz entsprechend geändert werden muss.

tagesschau.de:  Es ging ja bei den Verfassungsbeschwerden um Bürgschaften  und Garantien von bis zu 170 Milliarden Euro. Ob dieses finanzielle Risiko beherrschbar ist, aus dieser Frage hat sich das  Bundesverfassungsgericht bewusst herausgehalten. Warum?

Bräutigam: Ja, es fällt sehr auf, dass die Richter den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers so betonen. Die Summe, um die es geht, sei noch nicht zu hoch, sagen sie, ohne eine Obergrenze zu nennen. Ich glaube, wenn es das Drei-,Vier-, Fünffache des Bundeshaushalts wäre, dann könnten sie schon eingreifen. Aber sie haben diese Einschätzung  bewusst der Politik überlassen, weil das ja auch oft die Kritik am Bundesverfassungsgericht ist, dass es quasi Ersatzgesetzgeber spielt.

tagesschau.de: Was bedeutet das Urteil für die Positionen des Parlaments und der Kanzlerin, auch mit Blick auf die Bundestags-Abstimmung Ende des Monats?

Bräutigam: Auf die grundsätzliche Entscheidung über die Erweiterung des Rettungsschirms hat das Urteil keine Auswirkungen, wohl aber auf die Umsetzung, sprich: wenn der Rettungsschirm in Anspruch genommen werden soll. Dann darf der Bundestag nicht übergangen werden. Das Parlament ist also durch diese Entscheidung enorm gestärkt worden. Wenn es ums Geld geht, muss der Bundestag laut BVerfG Herr der Entscheidungen bleiben. Das hat auch Bedeutung für den dauerhaften Rettungsschirm, der ab 2013 in Kraft tritt. Und: Es darf auch keine Mehrheitsentscheidung auf europäischer Ebene geben, bei der Deutschland, also der Bundestag, einfach überstimmt wird. 

tagesschau.de: Bedeutet das nicht, dass künftig Entscheidungen über Euro-Hilfen noch länger dauern und sich die Märkte noch schwerer beruhigen lassen?

Bräutigam: Das hängt davon ab, wie schnell das Parlament entscheiden kann. Wenn es um Stunden oder Wochenend-Sitzungen geht, kann das durchaus problematisch werden. Aber diesen Preis muss die Politik zahlen. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zählen.

Die Fragen stellte Julia Rauner für tagesschau.de