Politologe zur Wahl "Jamaika ist alternativlos"
Für die Union bleibt als einzige Machtoption eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen. "Eigentlich ist das Bündnis alternativlos", sagt der Politologe Faas im tagesschau.de-Interview. Aber was passiert, wenn die Sondierungsgespräche scheitern?
tagesschau.de: Die Union wird erneut stärkste Kraft, hat aber ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1949 eingefahren. Was hat die Union, was hat auch Angela Merkel persönlich falsch gemacht?
Thorsten Faas: Man hat wohl unterschätzt, dass auf der Zielgeraden noch viel Dynamik ins Spiel gekommen ist. Dem nicht sehr polarisierenden Wahlkampf der CDU fehlte hier das mobilisierende Element. AfD und FDP haben beispielsweise gerade auf der Zielgeraden ihre Punkte gemacht.
tagesschau.de: Auch die SPD hat einen Denkzettel erhalten und das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte kassiert. Dabei hat sie in den vergangenen vier Jahren viele ihrer Projekte umgesetzt. Was ist schief gelaufen?
Faas: In der SPD lernt man gerade, dass man als Juniorpartner in der Koalition unter Merkel sehr gute Arbeit machen kann, dass die aber keine guten Wahlergebnisse garantiert. Die SPD ist mit ihrem Wahlkampf, der auf Gerechtigkeit ausgerichtet war, einfach nicht durchgedrungen. Es gab in Teilen der Bevölkerung die Haltung: 'Deutschland geht es wirtschaftlich doch gut, wie kann man da einen Gerechtigkeitswahlkampf führen?'
Zerstrittenheit der Union abgestraft
tagesschau.de: Überraschend schlecht hat auch die CSU in Bayern abgeschnitten.Trägt Horst Seehofer dafür die Verantwortung?
Faas: Das Ergebnis zeigt, dass der von Zerstrittenheit geprägte Kurs der Union von den Wählern abgestraft wurde. Eine Partei, die nicht geschlossen auftritt, hat am Wahltag eher schlechte Karten. Dafür trägt Seehofer einen Teil der Verantwortung, weil er immer wieder Spitzen gegenüber der CDU lanciert hat.
tagesschau.de: Die FDP kommt nach dem Wahldebakel von 2013 nicht nur wieder in den Bundestag, sondern wird sogar zweistellig. Hat die Partei sich wirklich erneuert?
Faas: Optisch in jedem Fall. Es war eine sehr sichtbare Kampagne, die sich abgehoben hat von vielem, was die anderen Parteien gemacht haben. Das kann in einer Zeit, in der wir sehr viele unentschlossene Wähler haben und viele Menschen sich nicht mehr so sehr für die Details von Politik interessieren, funktionieren. Dieses sehr gute Ergebnis ist aber auch ein Signal weg von der Großen Koalition, hin zu eher lagerorientierten Koalitionen wie Schwarz-Gelb, - auch wenn es dafür am Ende nicht gereicht hat.
"... diese Ängste konnte die AfD für sich nutzen"
tagesschau.de: Wie erklären Sie sich das gute Ergebnis der Grünen? Zuletzt lagen sie in den Umfragen deutlich schlechter.
Faas: Für die Grünen ist das ein ambivalentes Ergebnis. Sie sind jetzt kleinste Fraktion im Deutschen Bundestag. Es hätte aber natürlich noch viel schlimmer kommen können. Den Grünen ist es schwer gefallen, im Wahlkampf mit einer eigenen Position durchzudringen.
tagesschau.de: Neben der FDP ist der Wahlsieger des Abends die AfD. Insbesondere in Ostdeutschland hat sie - mit mehr als 20 Prozent der Wählerschaft - große Zustimmung erfahren. Welche Botschaft steckt dahinter?
Faas: Wir haben aktuell eine Lesart, dass es Deutschland insbesondere ökonomisch sehr gut geht, vielleicht besser denn je. Das heißt aber nicht, dass sich auch jeder Einzelne in seiner Situation ökonomisch sicher oder gerecht behandelt fühlt. Und wenn man sich die Ergebnisse im Detail anschaut, ist die AfD gerade dort besonders stark, wo es ökonomisch schwierig ist, wo die Zukunft durch Ängste geprägt ist.
Das sehen wir besonders stark in Ostdeutschland. Dort gibt es auch nicht so starke Bindungen an klassische Parteien, insofern fallen die Reaktionen dort immer sehr deutlich aus. Im Fall der AfD kommt noch das Thema Flüchtlinge hinzu, weil das die ökonomischen Ängste nochmal verstärkt. Gerade, wenn man sich die Altersverteilung anguckt: Die AfD ist besonders stark bei 35 bis 50-Jährigen. Das sind Menschen, die Konkurrenz am Arbeitsmarkt und knappen Wohnraum fürchten. Diese Ängste konnte die AfD für sich nutzen.
"AfD - wir müssen ein wenig entspannter werden"
tagesschau.de: "Die Bundesregierung kann sich warm anziehen, wir werden sie jagen", kündigte AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland bereits an. Wie wird sich der neue Bundestag durch den Einzug der AfD verändern?
Faas: Gauland hat das am Abend extra zweimal gesagt, damit es auch jeder mitbekommt. Das zeigt, worauf wir uns einstellen können: Bewusste Provokationen, die die anderen Parteien und auch Medien und Öffentlichkeit in eine schwierige Lage bringen. Man kann bestimmte Dinge nicht unkommentiert stehen lassen, aber wenn man sie kommentiert, bedient man das strategische Kalkül der AfD: Nämlich, dass man über die Partei spricht, dass sie als anders wahrgenommen wird, dass sie von den anderen Parteien in eine Schmuddelecke gedrängt wird, dass sie sich als Opfer betrachten kann.
Das wird eine Herausforderung für die Debattenkultur. Wir müssen da ein wenig entspannter werden, so schwer das auch ist. Aber wenn die Öffentlichkeit über jedes Stöckchen springt, das die AfD hinhält, bedient sie in letzter Konsequenz das Kalkül der AfD.
"Wahrnehmung von Ungerechtigkeit"
tagesschau.de: Auch die Linkspartei hat hinzugewonnen, wenn sie auch ihre Rolle als stärkste Protestpartei einbüßt. Wie erklären Sie diesen Erfolg der Parteien an den Rändern?
Faas: Wenn man sich die Wählerwanderung anschaut, sieht man, dass es auch Bewegung weg von der Linkspartei hin zur AfD gegeben hat. Das deutet darauf hin, dass es Teile unserer Gesellschaft gibt, die wirklich unzufrieden sind und die wählen Parteien, die nicht in der Mitte stehen. Die sind offen für Experimente und da ist es nicht so wichtig, ob das jetzt links oder rechts ist.
Profitieren konnte die Linke auf der anderen Seite von Stimmen, die sie aus dem SPD-Lager geholt hat. Das zeigt, dass es durchaus eine Wahrnehmung von Ungerechtigkeit in Deutschland gibt, und dass die Linke das in diesem Wahlkampf vielleicht sogar glaubwürdiger vertreten konnte als die SPD. Für die Linke wird es also jetzt - mit einer SPD in der Opposition - schwieriger werden, sich als glaubwürdige Partei für Gerechtigkeit zu etablieren, weil sie dadurch ein gewisses Alleinstellungsmerkmal verliert.
tagesschau.de: Die SPD hat noch am Wahlabend eine erneute Große Koalition ausgeschlossen. Stiehlt sich die Partei aus der Verantwortung?
Faas: Letztlich ist dieser Schritt aus Sicht der SPD alternativlos. Man hat gelernt, dass man nach Großen Koalitionen historisch schlechte Wahlergebnisse einfährt. Wo soll das hinführen? Die Partei liegt jetzt schon nur noch bei 20 Prozent. Und zum Stichwort staatspolitische Verantwortung kann man auch genau andersherum sagen: Wenn die SPD wieder in eine Große Koalition gehen würde, hätten wir einen Oppositionsführer Alexander Gauland und das kann so verhindert werden.
"Jamaika ist alternativlos"
tagesschau.de: Bleibt nur "Jamaika" als einzig verbliebene Koalitionsmöglichkeit. Aber wie lassen sich die zum Teil weit auseinanderliegenden Positionen von Grünen und FDP beziehungsweise CSU in Einklang bringen?
Faas: Das eine sind die thematischen Schwerpunkte. Die Grünen haben gestern Abend schon deutlich gemacht: Klimaschutz ist uns ganz wichtig. Die CSU oder die FDP werden andere Akzente setzen. Da lässt man dem Partner in Koalitionen Spielräume, wo er sich thematisch profilieren kann.
Schwierig wird es, wo echte Gegensätze aufeinander treffen - Stichwort Verbrennungsmotor. Da haben die Grünen mal gesagt: Mit uns gibt es keine Koalition, die nicht das Ende des Verbrennungsmotors besiegelt, die CSU hat das genaue Gegenteil gesagt. Gleichwohl denke ich, dass alle wissen, diese Koalition ist letztlich alternativlos.
"CSU wird nicht größtes Gewicht in Verhandlungen haben"
tagesschau.de: Angela Merkel kündigte an, die AfD-Wähler zurückgewinnen zu wollen, Seehofer sprach davon, die offene Flanke auf der rechten Seite schließen zu wollen. Wie soll ein Rechtsruck der Union mit einer Jamaika-Koalition vereinbar sein?
Faas: Innerhalb der Koalition ist die CSU durch das gestrige Ergebnis sehr geschwächt und wird in den Verhandlungen nicht unbedingt das größte Gewicht haben. Insbesondere die Flüchtlingspolitik dürfte aber eine schwierige Frage werden. Da geht es ja beispielsweise auch um sichere Herkunftsländer, da müssen sich viele bewegen. Aber es stehen auch Mitgliederentscheide über die Koalitionsfrage bevor, insofern braucht jede Partei auch Dinge, die sie für sich und gegenüber ihren Mitgliedern reklamieren kann.
tagesschau.de: Was passiert, wenn die Sondierungsgespräche scheitern?
Faas: Dazu wird es nicht kommen. Allen ist klar, dass die Koalitionsgespräche zu einem guten Ergebnis kommen müssen. Und das dauert jetzt vielleicht eine Weile, aber wir können davon ausgehen, dass sie am Ende erfolgreich sind.
Das Interview führte Sandra Stalinski.